Überfluss. (Schöne Künste) Der Reichtum in Werken der Kunst, der ihrer Wirkung schadet. Es ist eine bekannte Anmerkung, dass man auch des Guten zu viel tun könne. Wir wollen dieses besonders auf die Werke der Kunst anwenden und einigen Künstlern, denen dieses nützlich sein kann, begreiflich machen, dass man auch zu viel Schönes zusammen häufen könne. Die Künste haben hierin mit den Veranstaltungen des gemeinen Lebens nichts voraus, noch der Geschmack am Schönen, vor dem gröbern Geschmack, der auf die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse abzielt. Der Überfluss schwächt überall die Annehmlichkeit des Genusses.
Diejenigen, denen die Wahl der Mittel zur Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse schwerer wird als die Anschaffung derselben, genießen unstreitig weniger Vergnügen als die, deren Begierden durch einige Schwierigkeiten sie zu befriedigen gereizt, und deren Geschmack durch Mäßigkeit in seiner natürlichen Lebhaftigkeit erhalten wird. Eben so geht es in Sachen, die bloß auf die feinere Bedürfnisse der Seele abzielen. Was für ein entzückendes Vergnügen ist es nicht, sich der Wollust der Freundschaft und der Zärtlichkeit zu überlassen, wenn die Gelegenheit dazu etwas selten ist? Mit was für durchdringendem Vergnügen wird man nicht eingenommen, wenn man sich in einer guten Gesellschaft befindet, wo Geist, Munterkeit und Vergnügen mit Verstand und Kenntnis herrscht, wenn man sie selten genießt?
Eine reiche Bildergallerie rührt anfänglich durch den Reichtum und die Mannigfaltigkeit, aber der Geist wird bald durch die Menge der Gegenstände zerstreuet; man hat Mühe seine Aufmerksamkeit zu sammeln, um das Vergnügen von einem Meisterstück ganz zu genießen. Ein Gemälde von der ersten Art in einem Zimmer, sammelt alle unsere Sinne zusammen und wir genießen es ganz. Ein einziger Diamant an dem Hals oder auf der Brust einer Schönen, reizt das Auge ungemein; aber die Menge derselben macht einen Augenblick erstaunt und verliert bald allen Reiz.
Der Künstler versteht seinen Vorteil gewiss nicht, der das Schöne in seinen Werken aufzuhäufen sucht; denn je höher seine Gattung ist, je sparsamer muss es vorkommen. Die vortreflichsten Gleichnisse, die häufig sind, verlieren ihre Kraft; in einem Gemälde von viel Figuren, wo jede eine Hauptfigur zu sein verdient; im Drama, wo jede Person unserer ganzen Aufmerksamkeit wert wäre, in einem Tonstück, wo jeder Ton mit allen Vorteilen des Reizes und des Nachdrucks vorgetragen wird, wo jede Figur tief ins Herz dringt, an allen solchen Werken ist ein schädlicher Überflus. Nichts ist vortreflicher als die Metaphern und die starken Gedanken des englischen Dichters Young, aber ihr Überflus macht sie ermüdend und gebiehrt Ekel.
Es scheint als wenn die ersten Kenner, sowohl unter den Alten als unter den Neueren die vornehmsten Werke der Bildhauer mehr bewunderten als die ersten Werke der Maler. Sollte der Grund hiervon in der Sparsamkeit des Schönen liegen, die in jenen größer ist? Dass die feinsten Kenner den Schriften aus den Zeiten des Augustus und Ludwig des XIV vor denen, die unter Trajan und unter Ludwig dem XV erschienen sind, den Vorzug geben, kommt größtenteils daher, dass die letztern an Schönheiten überfließen, die in jenen mit kluger Sparsamkeit angebracht sind.
Es ist ein ungemein schädliches Vorurteil, zu glauben, dass man Schlag auf Schlag unaufhörlich den Geist und die Empfindung angreifen müsse. Denn dieses ist der gewisseste Weg nur schwach zu rühren. Der Künstler versteht sein Interesse am besten, der jeden großen Eindruck so weit von anderen entfernt, dass er Zeit hat, sich völlig dem Gemüte einzudrücken und sich darin ganz auszubreiten. Je größer die Schönheiten in einem Werk sind, je sparsamer müssen sie vorkommen.
Ist diese Sparsamkeit auch bei der höchsten Schönheit nötig, so ist sie es noch sehr vielmehr bei Dingen, die bloß als Zierraten anzusehen sind, wo der Überflus schnellen Ekel gebiehrt. Die Anmerkungen, welche wir im Artikel über die edle Einfalt vorgetragen, können hierher gezogen werden. Diese ganze Betrachtung aber ist für den deutschen Künstler vorzüglich notwendig; damit er nicht durch den Schein geblendet, die Werke anderer Völker aus dem Zeitpunkt der Üppigkeit zu Mustern annehme, wie die ersten italienischen Baumeister getan haben.