Überredung

 Überredung. (Beredsamkeit) Wir machen einen Unterschied zwischen Überredung und Überzeugung. Jene setzen wir in dem Beifall, der mehr erschmeichelt als erzwungen wird. Von der Überzeugung ist sie darin unterschieden, dass diese aus unumstößlichen und völlig unzweifelhaften Gründen notwendig erfolgt. Die Überredung wirkt Beifall und Glauben, die Überzeugung unumstößliche Kenntnis der Wahrheit.

 Man kann, ohne sich in tiefe psychologische Betrachtungen einzulassen, aus der Erfahrung annehmen, dass die Menschen sich von jeder Sache, gegen die sie kein Vorurteil haben, sehr leicht überreden lassen. Wer in Absicht auf die Wahrheit oder Falschheit einer Sache ganz ohne Vorurteil ist, kann, wie eine im Gleichgewicht stehende Waage, durch jeden scheinbaren Grund überredet werden. Hingegen ist auch der, der durch Vorurteile gegen eine Sache eingenommen ist, kaum zu überreden,1 es sei denn, dass die Vorurteile ihm vorher benommen werden.

  Also kommt es bei der Überredung vornehmlich auf Wegräumung aller vorhandener Vorurteile gegen die Sache, der man die Menschen bereden will, an. Ist dieses Haupthindernis gehoben, so ist das übrige sehr leicht. Das erste, dessen sich ein Redner zu versichern hat, ist die genaue Kenntnis der Meinungen und Vorurteile seiner Zuhörer, über die Sache, deren er sie zu überreden hat: eher kann er weder Plan, noch Anordnung für seine Rede machen. Man sieht aber leichte, was für große Kenntnis des Menschen überhaupt und was für genaue Bekanntschaft mit denen, die man zu überreden hat, hierzu erfordert werden. Wer nicht in die Gemüter feiner Zuhörer hineinschauen und mit seinen Blicken so gar in die dunklen Winkel derselben zu dringen vermag, kann nicht sicher sein, sie zu überreden. Die scheinbaresten Gründe für eine Sache sind ohne Kraft, so lange das Vorurteil gegen sie ist.

 Nur eine gründliche Psychologie kann dem Redner die Mittel an die Hand geben, wie er die Vorurteile der Menschen erfahren könne und wie er sie zu heben habe. Mit wenigem lässt sich eine so sehr wichtige und schwere Sache nicht abhandeln: darum können wir uns auch hier in diese Materie nicht einlassen. Wir bemerken nur, dass der Redner sich ein besonderes Studium daraus zu machen habe, die Natur und die verschiedenen Arten der Vorurteile überhaupt und die besondere Sinnesart seiner Zuhörer genau zu kennen. Fehlet es ihm hieran, so ist alle seine Bemühung zu überreden vergeblich, es sei denn, dass er ganz freie und uneingenommene Zuhörer habe.

 Setzen wir nun voraus, dass die Hindernisse der Überredung gehoben sind, so braucht es in der Tat sehr wenig die Überredung zu bewirken. Dieses kann durch zweierlei Wege geschehen. Der eine geht gerade gegen den Zweck, durch Gründe, die die Sache wahrscheinlich machen. Von den Beweisen, Beweisarten und Beweisgründen, haben wir in besonderen Artikeln gesprochen. Wir merken hier nur noch an, dass in den Beweisen, die bloß Überredung bewirken sollen, die Hauptsach auf Klarheit, Sinnlichkeit und Faßlichkeit der Vorstellungen ankomme. Diese Eigenschaften bedecken das Schwache derselben. Wo man sich einbildet eine Sache zu sehen oder zu fühlen, da braucht man weiter keinen Beweis ihrer Wirklichkeit. Man muss also bei diesen Beweisen mehr auf das Anschauen der Dinge als auf das deutliche Erkennen derselben arbeiten. Gar oft liegt ein zur Überredung schon hinlänglicher Beweis bloß in der Art, wie die Sachen vorgestellt oder in dem Gesichtspunkt, aus dem sie angesehen werden. »Wenn du auch mit Müh und Anstrengung etwas gutes und rühmliches thust (sagte der Philosoph Musonius) so vergehet die Mühe und das Gute bleibt. Thust du etwas schändliches mit Vergnügen, so ist auch dieses vorübergehend, aber die Schande bleibt.«2 Diese Art gute und böse Handlungen anzusehen, führt schon ohne weiten Beweis auf die Überredung, dass man sich jener befleißigen und dass man diese vermeiden soll.

Höchst wichtig zur Überredung ist es, dass die Gründe mit einem Ton der Zuversichtlichkeit, mit Lebhaftigkeit und Würde vorgetragen werden. Denn oft tut dieser das meiste zur Überredung. Der große Haufe, so gar schon ein großer Teil derer, die selbst denken, getraut sich selten an einer Sache zu zweifeln, die mit großer Zuversichtlichkeit und eindringender Lebhaftigkeit versichert wird. Man glaubt die Sache zu fühlen, die als wirklich, mit lebendigen Farben geschildert wird.

 Ein anderer Weg zur Überredung zu gelangen, besteht darin, dass man die Sache gar nicht beweißt und sich so gar nicht einmal merken lässt als wenn der Zuhörer daran zweifeln könnte. Man setzt stillschweigend voraus, das Urteil des Zuhörers sei der Sache günstig und spricht so davon als wenn man bloß das, was er selbst davon denkt, vorzutragen habe. Da merkt er nicht, dass man ihn führen will; er glaubt seinen Weg zu gehen und den Redner bloß zur Begleitung bei sich zu haben: und so kann man ihn, da er selbst kein Ziehl hat und bloß dahin zu gehen glaubt, wohin die Phantasie ihn leitet, unvermerkt dahin führen, wo man ihn haben will.

 Man setze, ein Geschichtschreiber erzähle in der Geschichte Peters des I. seine Heirat mit Catharina. Wann er, ohne die Frage zu berühren, ob es anständig oder nützlich sei, dass ein großer Monarch eine Person von niedrigem Stande zur Gemahlinn nehme und neben sich auf den Thron setze, die Sache dem Ansehen nach bloß historisch behandelt, aber mit einiger Lebhaftigkeit sich bei der Erzählung verweilt, um den vortreflichen Charakter der Catharine zu schildern; wenn er erzählt, dass dieser Schritt den Beifall des Hofes und der ganzen Nation erhalten habe u.

d. gl.; so wird kein uneingenommener Leser sich leicht unterstehen, von der Sache anders zu urteilen, und jeder wird stillschweigend aus diesem Falle sich überhaupt bereden, dass der größte Monarch ohne Verlezung seiner Ehre, ohne Unanständigkeit, aus der niedrigsten Klasse seiner Unterthanen, sich eine Gemahlinn wählen könne.

 Würde man aber im Gegenteil die Geschichte von der geheimen Vermählung Ludwigs des XIV mit der Maintenon so erzählen, dass man die Bestürzung des Hofes lebhaft schilderte; dass man beschriebe, wie der Minister sich dem König zu Füßen wirft und ihn in pathetischem Tone beschwöhrt seinen Thron nicht zu befleken u. d. gl.; so würde bei dem Leser gerade die entgegengesetzte Wirkung folgen. Er würde nun dafür halten, dass ein großer Herr nichts schimpflicheres tun könne als eine so ungleiche Heirat einzugehen. So leicht ist es, das Urteil der Menschen zu lenken; wenn sie noch nicht eingenommen sind.

 Es kommt also bei der Überredung nicht sowohl auf die Richtigkeit der Beweise als auf die Lebhaftigkeit womit sie vorgetragen werden, an. Gegen Vorurteile kommt nicht leicht ein bloß wahrscheinlicher Beweis auf und wo diese nicht sind, da lässt man sich auch durch schwache Beweise, durch bloße Versicherungen und so gar auch ohne diese, durch Erschleichung bereden. Sehr wichtig ist es dabei dass der Redner die Kunst besitze dem Zuhörer in seinem Urteil vorzugreifen, ohne dass er es merke und seinen Verstand durch die Empfindung zu lenken. Er muss schlechterdings wissen jede Sache in dem seinem Zwecke günstigstem Lichte vorzustellen und dass Herz dafür zu intreßiren. Es muss aber so natürlich, so gar ohne Zwang geschehen, dass der Zuhörer den Gesichtspunkt, aus dem man ihm die Sache sehen lässt, für den eigentlichsten hält, um die Sache richtig zu beurteilen. Denn muss Ton und Ausdruck genau auf diesen Gesichtspunkt passen. Was in ein günstiges Licht gestellt worden, muss auch mit den vorteilhaftesten Namen genannt und mit einnehmendem Ausdruck beschrieben werden: Und was in ein widriges Licht gesetzt worden, muss auch in einem Ausdrucke vorgetragen werden, der ihm angemessen ist. Dieses hat vornehmlich Cicero verstanden, dessen Ausdruck allemal einnehmend, schonend, vergrößerend oder verkleinernd, hart oder sanft ist, nachdem er für oder gegen eine Sache einzunehmen sucht.

 

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1 Nihil facile persuadetur invitis. Quintil. Inst. L. IV. c. 4. 2 S. Gell. Noct. Att. L. XVI. c. 1.

 


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