Übergang

 Übergang. (Redende Künste) Die verschiedenen Arten wie Redner und Dichter von einem Gedanken auf den folgenden, von einem vorgetragenen Punkt auf einen anderen übergehen, verdient in der Theorie der redenden Künste besonders betrachtet zu werden; weil sie sehr viel zur Annehmlichkeit, Klarheit und dem Charakter der Rede überhaupt beitragen. Dieser Übergang geschiehet entweder unmittelbar, so dass zwei ganz verschiedene Gedanken, ohne etwas dazwischen gesetztes auf einander folgen oder mittelbar durch Bindewörter oder kurze Bindesätze und Formeln, wodurch der Grund oder die Art der Verbindung angezeigt wird.

 Wir betrachten hier vornehmlich die Übergänge, die mittelbar durch einzelne Wörter oder Formeln geschehen, was von den römischen Lehrern der Redner transitus und transitio genannt wird.1 Was die Bindewörter oder Conjunktionen in einzelnen Perioden sind, das sind die Übergangsformeln in Absicht auf die ganze Rede. »Ohne die Bindewörter, sagt ein großer Kunstrichter, kämen in der Rede nur abgerissene zerstückte Glieder heraus, die nichts festes ausmachten. Die Rede würde, wie eine Liste von gesammelten Ausdrücken und Redensarten aussehen. Sie dienen zu verknüpfen, zu erweitern, zu vermehren, zu bedingen, entgegen zu setzen, gegen zu halten, zu entwickeln, den Zeitpunkt, die Ursache, den Schluss anzudeuten; die Rede fortzusetzen und abzuführen.«2 Der historische, der lehrende, der unterhaltende Vortrag und überhaupt die Schreibart, darin mehr Verstand, als Einbildungskraft und Empfindung herrscht, können den mittelbaren Übergang nicht entbehren und gewiss hängt ein großer Teil der Deutlichkeit und Annehmlichkeit des Vortrages davon ab.

In dem Vortrag einer ganz strengen Lehrart, wie z.B. in mathematischen und philosophischen Beweisen, ist man sorgfältig jeden zum Beweis dienenden Satz durch ein Bindewort an den vorhergehenden zu hängen: man findet da immer die Wörter; darum, nun aber, also, deswegen, folglich u. d. gl. Denn da ist es sehr wesentlich, dass der Leser überall den genauesten Zusammenhang aller Sätze vor Augen habe. Zum erzählenden Vortrage schicken sich diese Formeln nicht; weil da die Sachen nicht einen wesentlichen, sondern mehr zufälligen Zusammenhang haben. Deswegen findet man da ganz andere Arten des Überganges: hierauf; inzwischen; dessen ungeachtet; nunmehr; darauf u.s.w. Andre Gattungen des Vortrages haben wieder ihre Formeln. In dem lyrischen Gedicht aber fallen sie fast ganz weg und der Übergang geschieht, der Empfindung gemäß, meistenteils unmittelbar. Doch kommen auch da noch Übergangswörter vor, die aber mehr die Art der Ausrufungswörter, (Interjektionen) als der Bindewörter haben.

 Man kann überhaupt anmerken, dass die verschiedenen Gemütslagen, darin die redende Person sich befindet, auch die Verschiedenheit des Überganges natürlicher Weise verursache und dass deswegen drei verschiedene Gattungen desselben vorkommen müssen, nach dem die Folge der Rede durch den Verstand oder durch die Einbildungskraft oder durch die Empfindung bestimmt wird. In Werken, die bloß auf deutlichen Unterricht gehen, werden zum Übergang Formeln gebraucht, die auf eine gerade, einfache Weise den Zusammenhang der Gedanken anzeigen; sie zeigen uns zum voraus, ob das Folgende ein Schluss sei, der aus dem vorhergehenden gezogen wird; oder ob es eine Erweiterung, eine Einschränkung und nähere Bestimmung, ein Gegensatz des vorhergegangenen sei; ob es wesentlich zur Sache diene oder nur beiläufig angemerkt werde; ob es eine Fortsetzung der vorgetragenen Materie oder etwas davon verschiedenes sei u.s.w. Kurz, diese Formeln lassen uns die ganze Methode, nach welcher der Redner denkt, in völliger Klarheit sehen und der Vortrag bekommt dadurch ein sehr helles Licht und mancherlei angenehme Wendungen.

 In Werken, wo schon mehr auf Annehmlichkeit, mannigfaltige Befriedigung des Geschmacks gesehen wird, kommen künstliche, dem Geschmack schmeichelnde Formeln des Überganges vor, die in dem Witz oder in der Laune des Redenden ihren Ursprung haben. Es gibt zierliche, lustige, satirische, possierliche und andere Arten des Überganges, die vielleicht eben sowohl als die Figuren, über die so sehr viel geschrieben worden, verdienten in der Rhetorik betrachtet zu werden, da sie gewiss viel zur Vollkommenheit der Schreibart beitragen.

 Ein unmittelbarer Übergang von einem Hauptpunkt oder von einem geendigtem Hauptteile der Rede auf einen neuen, hat oft etwas hartes. Man erwartet einen Wink, dass ein Hauptpunkt geendigt sei und nun etwas neues anfange. Die Griechen bedienten sich in ihrem lehrendem Vortrag gar oft der kurzen Formel: so viel hiervon oder eines diesem ähnlichen Schlusses und zeigten alsdenn, ohne Umschweif den neuen Punkt an, auf den sie übergingen. Diese Art pflegte auch Winkelmann bisweilen nachzuahmen; z.B. Nach der Betrachtung über die Bildung der Schönheit ist zum zweiten von dem Ausdrucke zu reden. In dem einfachen lehrenden Vortrage dient dieses zur Deutlichkeit. Die Redner pflegen auf eine ähnliche Weise von einem Hauptpunkte zum folgenden überzugehen, worüber die vorher angeführte Stelle aus den Rhetoricis ad Herennium zum Beispiele dient.

Die epischen Dichter bedienen sich bisweilen sehr feierlicher Übergänge, wobei sie wohl gar eine neue Anrufung an die Muse tun. Ein merkwürdiges Beispiel eines solchen höchstpathetischen epischen Überganges ist der Anfang des dritten Buches im verlorenen Paradies. Diese Art ist sehr schicklich, die Aufmerksamkeit aufs neue zu erwecken und den Leser in große Erwartung zu setzen; daher fast alle Dichter in der Epopöe sich derselben bedient haben.

  So hingegen sind Übergänge die erzwungene, bloß eingebildete Verbindungen der auf einander folgenden Materien enthalten, sehr frostig und kindisch, welches Quintilian an den rhetorischen Schulübungen seiner Zeit und am Ovidius tadelt.3

 

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1 Der Verfasser der IV Bücher über die Rhetorik an Herennius, sagt: Transitio vocatur quæ, cum ostendit breviter, quod dictum sit, proponit item brevi quod sequatur, hoc modo; In patriam eujusmodi fuerit habetis, nunc in parentes qualis extiterit considerate. Quintilian spricht von den Übergängen an mehr Orten unter dem Namen transitus.

2 Bodmer in den Grundsätzen der deutschen Sprache im VIII Abschnitt.

3 Illa vero srigida et puerilis est in scholis affectatio, ut ipse transitus efficiat aliquam ubique sententiam – ut Ovidius lascivire in Metamorphosi solet. Inst. L. IV. c. 2.

 


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