I. [Die typische Beziehung zwischen Geld und Prostitution, ihre Entwicklung analog der Mordsühne]
Nun aber begegnet uns die auffällige Tatsache, daß in vielen primitiveren Kulturen die Prostitution gar nicht als entwürdigend oder deklassierend empfunden wird. Es wird ebenso aus dem alten Asien berichtet, daß sich die Mädchen aller Klassen prostituieren, um eine Aussteuer oder eine Darbringung an den Tempelschatz zu erwerben, wie wir jetzt von gewissen Negerstämmen dieselbe Sitte um des ersteren Zweckes willen hören. Die Mädchen, zu denen in diesem Falle oft auch die Fürstentöchter gehören, verlieren weder in der öffentlichen Achtung, noch wird ihr späteres eheliches Leben dadurch in irgendeiner Weise präjudiziert. Dieser tiefe Unterschied gegen unsere Empfindungsweise bedeutet, daß die beiden Faktoren: weibliche Sexualehre und Geld - in prinzipiell verschiedenen Verhältnissen stehen müssen. Markiert sich die Stellung der Prostitution bei uns an dem unüberbrückbaren Abstand, der völligen Inkommensurabilität zwischen jenen beiden Werten, so müssen dieselben in Verhältnissen, die eine ganz andere Ansicht von der Prostitution zeitigen, näher aneinander gerückt sein. Dies entspricht den Resultaten, in denen die Entwicklung des Wergeldes, der Geldbuße für die Tötung eines Menschen, geführt hat. Die steigende Wertung der Menschenseele und die sinkende Wertung des Geldes begegneten sich, um das Wergeld unmöglich zu machen. Ebenderselbe Kulturprozeß der Differenzierung, der dem Individuum eine besondere Betonung, eine relative Unvergleichbarkeit und Unaufwiegbarkeit verschafft, macht das Geld zum Maßstab und Äquivalent so entgegengesetzter Objekte, daß seine dadurch entstehende Indifferenz und Objektivität es zum Ausgleich personaler Werte immer ungeeigneter erscheinen läßt. Jene Unverhältnismäßigkeit zwischen Ware und Preis, die der Prostitution in unserer Kultur ihren Charakter gibt, besteht in niederen noch nicht im gleichen Maße. Wenn Reisende von sehr vielen rohen Stämmen berichten, daß die Frauen eine auffallende körperliche, oft auch geistige Ähnlichkeit mit den Männern zeigen, so fehlt ihnen eben jene Differenzierung, die der höher kultivierten Frau und ihrer Sexualehre selbst dann einen nicht mit Geld aufzuwiegenden Wert verleiht, wenn sie im Vergleich mit den Männern desselben Kreises als weniger differenziert und tiefer im Gattungstypus wurzelnd erscheint. Die Beurteilung der Prostitution zeigt so genau dieselbe Entwicklung, die man an der Kirchenbuße und am Blutgeld beobachten kann: die Totalität des Menschen wie seine inneren Werte sind in primitiven Epochen relativ unindividuellen Charakters, das Geld dagegen wegen seiner Seltenheit und geringen Verwendung relativ individueller. Indem die Entwicklung beides auseinandertreibt, macht sie das Aufwiegen des einen durch das andere entweder unmöglich oder, wo es doch weiterbesteht, wie in der Prostitution, führt es zu einer furchtbaren Herabdrückung des Persönlichkeitswertes. -