I. [Die Kaufehe und der Wert der Frau]
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Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das römische Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält. Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozeß statuierte, war eine Buße, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bosheit zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte leiden lassen. Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern außerdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt, einen Schadenersatz festzusetzen nicht für den objektiven, einer bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für die böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt. Es wird hier also einerseits empfunden: die persönlichen Werte, die das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Objektes begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen hinausgehende Buße; zugleich aber ist diese Buße nun wieder durch die Hingabe einer bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des objektiven Geldinteresses erlittene Schädigung wird doch durch Geld ausgeglichen. Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber andrerseits eine größere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand. Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine Wichtigkeit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen Interessenkosmos wird und, den so erhaltenen Anstoß über seine zukommende Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie entfernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt eher die Geltendmachung personaler Werte, als daß sie ihnen ein so inadäquates Äquivalent zuspräche. Die Unbefriedigtheit des unmittelbaren Rechtsgefühls, durch die das momentane Resultat des Zusammenwirkens dieser Motive hinter jenem römischen Zustand zurücksteht, darf doch die Erkenntnis nicht verhindern, daß es sich hier wirklich um die Kombination weiter vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die freilich die Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen in der Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen zeigen, in denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen. - Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch durch Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spezielleren, die sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte. Die Kaufehe, ihre außerordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit vorgeschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug. Es handelt sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Tatsachen auf das Wesen der gekauften Werte gestatten. Das Gefühl von Entwürdigung, das der Kauf einer Person für Geld oder Geldeswert im modernen Menschen hervorbringt, ist in seiner Beziehung auf frühere historische Verhältnisse nicht immer gerechtfertigt. Wir sahen: solange einerseits die Persönlichkeit noch mehr in den Gattungstypus eingesenkt ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu völliger Farblosigkeit verallgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich näher, und die persönliche Würde der alten Germanen hat sicher nicht darunter gelitten, daß das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken ließ. Entsprechend liegt die Sache beim Frauenkauf. Die ethnologischen Tatsachen zeigen nämlich, daß der Frauenkauf sich keineswegs nur oder vorzugsweise auf den niedrigsten Stufen der Kulturentwicklung findet. Einer der besten Kenner dieses Gebietes stellt fest, daß die unzivilisierten Völker, die die Kaufehe nicht kennen, meistens außerordentlich rohe Rassen sind. So erniedrigend der Kauf der Frau in höheren Verhältnissen erscheint, so erhöhend kann er in niedrigen wirken, und zwar aus zwei Ursachen. Zunächst findet der Frauenkauf niemals, soviel wir wissen, nach Art der individualistischen Wirtschaft statt. Strenge Formen und Formeln, Berücksichtigung der Familieninteressen, genaue Konventionen über Art und Höhe der Zahlung binden ihn selbst bei recht tiefstehenden Völkern. Die ganze Art seines Vollzuges trägt ausgesprochen sozialen Charakter; ich erwähne nur, daß der Bräutigam vielfach berechtigt ist, von jedem Stammesgenossen einen Beitrag zum Brautpreise zu fordern, und daß dieser selbst oft in dem Geschlechte der Braut verteilt wird - gerade wie z.B. bei den Arabern das Sühnegeld für einen Mord von der ganzen Kabile, dem Stammverband des Mörders, aufgebracht wurde. Bei einem indianischen Stamme wird dem Werber, der nur die Hälfte des geforderten Brautpreises besitzt, die »halbe Heirat« gestattet; d.h. statt die Frau als Sklavin in sein Haus zu führen, muß er bis zur Erlegung des ganzen Preises als Sklave in ihrem Hause leben. Überhaupt begegnet es an vielen Stellen, wo patriarchale und matriarchale Zustände nebeneinander bestehen (also die Frau in die Sippe des Mannes, aber auch der Mann in die Sippe der Frau übertritt), daß nur nach Bezahlung des Brautpreises die patriarchalische Form gilt, der Arme muß sich der matriarchalischen fügen. Gewiß wird durch diese Geschäftsmäßigkeit die Individualität der Personen und ihres Verhältnisses völlig vergewaltigt. Dennoch ist die Organisation der Eheangelegenheiten, wie sie im Frauenkauf vorliegt, ein ungeheurer Fortschritt gegenüber etwa den roheren Zuständen der Raubehe oder den ganz primären Sexualverhältnissen, die zwar wahrscheinlich nicht in völliger Promiskuität, aber ebenso wahrscheinlich auch ohne jenen festen normierenden Halt verliefen, den der sozial geregelte Kauf darbietet. Die Entwicklung der Menschheit gelangt immer wieder zu Stadien, wo die Unterdrückung der Individualität der unausbleibliche Durchgangspunkt für ihre spätere freie Entfaltung, wo die bloße Äußerlichkeit der Lebensbestimmungen die Schule der Innerlichkeit wird, wo die vergewaltigende Formung eine Aufsammlung der Kräfte bewirkt, die später alle persönliche Eigenart tragen. Von dem Ideal der vollentwickelten Individualität aus erscheinen solche Perioden allerdings roh und würdelos, aber sie legen nicht nur die positiven Keime der späteren Höherentwicklung, sondern sie sind auch an und für sich schon Erweisungen des Geistes in seiner organisierenden Herrschaft über den Rohstoff fluktuierender Impulse, Betätigungen der spezifisch menschlichen Zweckmäßigkeit, die sich die Normen des Lebens - wie brutal, äußerlich, ja stupid auch immer - eben doch selbst gibt, statt sie von bloßen Naturgewalten zu empfangen. Es gibt heute extreme Individualisten, welche dennoch praktische Anhänger des Sozialismus sind, weil sie diesen als die unentbehrliche Vorbereitung und, wenn auch noch so harte, Schule für einen geläuterten und gerechten Individualismus ansehen. So ist jene relativ feste Ordnung und äußerliche Schematik der Kaufehe ein erster, sehr gewaltsamer, sehr unindividueller Versuch gewesen, die Eheverhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu bringen, der für rohe Stufen ebenso angemessen war, wie individuellere Eheformen für höher entwickelte. Diese Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt zeigt schon der Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine Vorstufe des Frauenkaufes nennen könnte. Bei den australischen Narinyeri findet die eigentliche, legale Eheschließung durch Austausch der Schwestern der Männer statt. Wenn statt dessen ein Mädchen mit ihrem Auserwählten davonläuft, so gilt sie nicht nur als sozial minderwertig, sondern sie verliert auch den Anspruch auf Schutz, den ihr im anderen Fall die Horde schuldet, in der sie geboren ist. Damit kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art der Eheschließung zu klarem Ausdruck. Die Horde schützt das Mädchen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm ab, weil sie keinen Gegenwert für dasselbe erhalten hat.
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