I. [Das Wergeld]
[Das Wergeld. Der Übergang von der utilitarischen zu der objektiven und der absoluten Wertung des Menschen. Die Geldstrafe und die Kulturstufen. Das Vorschreiten der Differenzierung des Menschen und der Indifferenz des Geldes als Ursache ihrer wachsenden Inadäquatheit. Die Kaufehe und der Wert der Frau. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und die Mitgift. Die typische Beziehung zwischen Geld und Prostitution, ihre Entwicklung analog der Mordsühne. Die Geldheirat. Die Bestechung. Das Vornehmheitsideal und das Geld.]
Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an der Entwicklung der Geldstrafe meßbar. Zuerst tritt uns auf diesem Gebiet, als seine auffälligste Erscheinung, die Sühnung des Totschlags durch Geldzahlung entgegen - eine in primitiven Kulturen so häufige Tatsache, daß sich, wenigstens für ihre einfache und direkte Form, einzelne Beispiele erübrigen. Weniger beachtet indes als ihre Häufigkeit ist die Intensität, mit der der Zusammenhang von Wert des Menschen und Geldwert oft die rechtlichen Vorstellungen beherrscht. Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des Königs ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf 2700 sh. Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse ganz imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben. Ihre reale Bedeutung war, daß, um sie einigermaßen zu ersetzen, der Mörder und seine ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden mußten, wenn nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt, die Differenz so groß blieb, daß sie - als bloße Geldschuld! - nur durch den Tod ausgeglichen werden konnte. Erst auf dem Umwege über die Geldstrafe also hielt man sich an die Persönlichkeit, jene erscheint als der ideale Maßstab, an dem man die Größe des Verbrechens ausdrückt. Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben Königreiche das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman 200 sh. betrug und das für andere Stände nach Bruchteilen oder Vielfachen dieser Norm gerechnet wurde, so offenbart dies nur in anderer Weise, eine wie rein quantitative Vorstellung vom Werte des Menschen das Geld ermöglicht hatte. Von eben dieser aus begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die Behauptung, Ritter, Baron und Graf verhielten sich zueinander wie Schilling, Mark und Pfund - da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle sei; eine Vorstellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung tatsächlich ganz ungenau war: denn sie beweist die Tendenz, den Wert des Menschen auf einen geldmäßigen Ausdruck zu bringen, als eine so kräftige, daß sie sich selbst um den Preis einer sachlichen Unangemessenheit verwirklicht. Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld zum Maß für den Menschen, sondern auch der Mensch zum Maß für das Geld. Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt werden muß, begegnet uns hier und da als monetarische Einheit. Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe getötet oder verwundet; daher dann: ich bin bußpflichtig geworden. Nun war tatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in den Volksrechten die Bußen berechnet wurden. Man hat deshalb in der Konsequenz jener Bedeutung von skillan angenommen, daß das Wort »Schilling« die Bedeutung von »Strafsimplum« hätte. Der Wert des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des Geldsystems, als Bestimmungsgrund des Geldwertes. Eben dies Motiv klingt an, wenn der Normalsatz des Wergeldes bei den Beduinen, das Mahomed in den Islam aufnahm, hundert Kamele, zugleich als typisches Lösegeld für den Gefangenen und als Brautgeld auftritt. Dieselbe Bedeutung des Geldes tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe nicht nur für Mord, sondern für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im merovingischen Zeitalter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40, sondern nur zu 12 Denaren gerechnet. Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es sollten damals die nach Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt werden, und hierzu sei angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus bestimmt sei, nicht mehr 40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden. Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der schließlich der allgemein herrschende geworden sei. Und von den Palauinseln wird berichtet, daß dort jede Art von Bezahlung schlechthin Strafgeld heißt. Es gibt hier also nicht mehr die Bestimmtheit der Münze die Skala an, an der die relative Schwere des Vergehens sich mißt; sondern umgekehrt, die Taxierung des Vergehens schafft einen Maßstab für die Festsetzung der Geldwerte.