II. [Die Erzwingbarkeit]
Daß despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen auf Geldleistungen streben, läßt sich aus sehr prinzipiellen Zusammenhängen herleiten. Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz ungenauer und schlaffer Weise angewendet. Man pflegt zu sagen, daß jemand »gezwungen« sei, den zu seinem Handeln die Androhung oder Befürchtung einer sehr schmerzlichen Konsequenz für den Unterlassensfall, einer Strafe, eines Verlustes usw. bestimme. Tatsächlich liegt in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang niemals vor, denn wenn jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu nehmen, so steht ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen werden soll, völlig frei. Wirklicher Zwang ist ausschließlich der, der unmittelbar durch physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird. Z.B. meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen werden, daß jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift, und die Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, daß er es mir in der Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu zwingen. Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann tatsächlich niemanden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf die Strafen für die Gesetzesverletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle erzwingen kann, ist nur, daß der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben (wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann allerdings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird. Und zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung, nicht einmal auf ökonomische Leistungen irgendeiner anderen Art. Wenn jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so kann er gerade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl aber kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und zu Gelde gemacht werden. Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und kann in dieser, wenn auch vielleicht in keiner einzigen anderen Beziehung für jenes eintreten. Die despotische Verfassung, die die Unbedingtheit des Zwanges den Untertanen gegenüber erstrebt, wird deshalb am zweckmäßigsten von ihnen gleich von vornherein nur Geldleistungen verlangen. Der Geldforderung gegenüber gibt es überhaupt denjenigen Widerstand nicht, den die Unmöglichkeit, anderweitige Leistungen absolut zu erzwingen, gelegentlich des Anspruchs auf solche erzeugen mag. Es ist deshalb von innerlicher und äußerlicher Nützlichkeit, ein Quantum von Forderungen, denen gegenüber jegliche Art von Widerstand zu befürchten ist, auf bloßes Geld zu reduzieren. Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, weshalb wir im allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Begünstigung der Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen Despotien z.B. hatten die durchgängige Tendenz, die Domänen zu veräußern), und weshalb das Merkantilsystem mit seiner gesteigerten Wertung des Geldes in der Zeit der unumschränktesten Fürstenmacht ins Leben gerufen wurde. So ist von allen Forderungen die auf Geld gerichtete diejenige, deren Erfüllung am wenigsten in den guten Willen des Verpflichteten gestellt ist. Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die allen anderen gegenüber besteht und deren Beweis und Bewährung nur davon abhängt, was man dafür auf sich zu nehmen willens ist. Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr hervorzuhebende Tatsache, daß die Umwandlung der Naturalleistung in Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt. Denn der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forderung wählen, welche dem Untertanen möglichste Freiheit in seinen rein individuellen Beziehungen läßt. Die furchtbaren Tyrannien der italienischen Renaissance - sind doch zugleich die Pflanzstätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten - vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. - hat der politische Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eigenen Vorteils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Maß und Art desselben dadurch erträglich machen, daß er in allem übrigen möglichst große Freiheit gibt. Die Forderung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar zweckmäßigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.