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I. [Die Bestechung]

 

Dieser Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei dem »Kauf« eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses Wortes: bei der Bestechung. Zu der Erörterung derselben, in ihrer spezifisch geldmäßigen Form, gehe ich jetzt über. Schon der Diebstahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der herrschenden sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl großer. Das hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt. Dann schließt man nämlich, daß die Seele, die nicht einmal einer so kleinen Versuchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache sein muß, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochenwerden - der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung - als um so gemeiner, durch eine je kleinere Summe es geschieht. So wird die Bestechung tatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit empfunden, die danach rangiert, ob sie überhaupt »unbezahlbar« ist, ob sie teuer oder ob sie billig fortgegeben wird. Die soziale Schätzung erscheint hier in ihrer Richtigkeit dadurch garantiert, daß sie nur der Reflex der Eigenschätzung des Subjektes ist. Aus dieser Beziehung der Bestechung zur ganzen Persönlichkeit stammt jene eigentümliche Würde, die der Bestechliche zu bewahren oder wenigstens zu markieren pflegt, und die entweder als Unzugänglichkeit für kleine Summen auftritt, oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine gewisse Grandezza, eine Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den Geber in die Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint. Dieses äußere Gebaren soll die Persönlichkeit als eine unangreifbare, in ihrem Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine Komödie ist, wirft es doch, insbesondere da die andere Partei wie durch eine stillschweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener Selbstvernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines Persönlichkeitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müßte. Bei den alten Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und Verkauf unter der Höflichkeitsformel statt, daß der Käufer den Gegenstand als Geschenk annehmen möge. Also sogar bei 60 legitimen Transaktionen scheint es, als ob die eigentümliche Würde des Orientalen auf ein Verstecken des eigentlichen Geldinteresses hinwirkte.

Das derartige Verhalten des Bestechlichen und die ganze Tatsache der Bestechlichkeit überhaupt wird durch nichts so erleichtert und ausgedehnt, als durch die Geldform derselben. Ganz prinzipiell ermöglicht das Geld eine Heimlichkeit, Unsichtbarkeit, Lautlosigkeit des Besitzwechsels, wie keine andere Wertform. Seine Komprimierbarkeit gestattet, mit einem Stück Papier, das man in die Hand jemandes gleiten läßt, ihn zum reichen Manne zu machen; seine Formlosigkeit und Abstraktheit gestattet, es in den mannigfaltigsten und entferntesten Werten anzulegen und es dadurch dem Auge der nächsten Umgebung ganz zu entziehen; seine Anonymität und Farblosigkeit macht die Quelle unerkennbar, aus der es dem jetzigen Besitzer geflossen ist: es trägt kein Ursprungszeugnis an sich, wie, klarer oder verhüllter, so viele konkrete Besitzgegenstände es tun. Während die Ausdrückbarkeit aller Werte in Geld dem Wirtschaftenden selbst die klarste und unverhüllteste Einsicht in den Stand seines Besitzes ermöglicht, erlaubt sie Anderen gegenüber eine Verstocktheit und Unkenntlichkeit des Besitzes und der Transaktionen, wie die Formen des extensiven Eigentums sie niemals zuließen. Die Versteckbarkeit des Geldes ist das Symptom oder die extreme Ausgestaltung seiner Beziehung zum Privatbesitz. Dadurch, daß man es von allen Gütern am meisten dem Anderen unsichtbar und wie nicht vorhanden machen kann, nähert es sich dem geistigen Besitz; und wie dessen privater, sozusagen solipsisäscher Charakter mit dem Schweigen-Können beginnt und zugleich sich vollendet, so findet das Private, Individualistische des Geldwesens seinen vollkommenen Ausdruck an jener Möglichkeit des Verheimlichens. Darin liegt nun freilich eine große Gefahr für diejenigen, welche Ansprüche und Interessen an einer Wirtschaftsführung haben, ohne sie selbst und unmittelbar kontrollieren oder beeinflussen zu können. Wenn die modernen Rechte die Öffentlichkeit für die Finanzgebarungen der Staaten wie der Aktiengesellschaften vorschreiben, so haben die Gefahren, die man so vermeiden will, einen ihrer wesentlichen Quellpunkte in der Geldform des Wirtschaftens, in der ihr eigenen Leichtigkeit des Verheimlichens, des irreführenden Ansatzes, der illegitimen Verwendung - Bedenklichkeiten für alle Außenstehenden, aber daran Interessierten, die nur durch prinzipielle Offenheit der Geschäftsführung einigermaßen zu paralysieren sind. Innerhalb und vermittels der Geldverhältnisse offenbart sich so eine allgemeine kulturelle Differenzierung: das öffentliche wird immer öffentlicher, das Private immer privater. Früheren und engeren Kreisen liegt diese Sonderling ferner; in ihnen können sich die privaten Verhältnisse des Einzelnen nicht so verbergen, sich nicht so gegen das Hineinsehen und Sich-Einmischen Anderer schützen, wie der Stil des modernen Lebens es gestattet, andrerseits ist in solchen Kreisen den Trägern der öffentlichen Interessen eine mystische Autorität und Verschleierung eher und zweckmäßigererweise eigen als in weiten Kreisen, wo ihnen schon durch die Ausdehnung ihres Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität ihrer Technik, durch ihre Distanz von jeder Einzelperson die Kraft und Würde zuwächst, die sie die Öffentlichkeit ihres Gebarens vertragen läßt. So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in demselben Maße ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das Individuum die Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurückziehens und Abschlusses seiner Privatangelegenheiten gegen alle Draußenstehenden gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der deutschen zu vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in großen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation zu erkennen. Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungsprozeß, und zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die katholische Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe über dem Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen, jede Kritik, jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch seinerseits kein ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich zur Mitwisserin und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen Verhältnisse. Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation umgekehrt Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte prinzipiell alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen des einzelnen Gläubigen ab. Dieser hingegen gewann zugleich eine viel ungestörtere Freiheit der religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis zu seinem Gott wurde ein privates, das er nur mit sich selbst auszumachen hatte.

 


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