I. [Der Übergang von der utilitarischen zu der objektiven und der absoluten Wertung des Menschen]
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Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und wenn schon nicht rein privatrechtlich, so doch jenem Indifferenzzustand privaten und öffentlichen Rechtes zugehörig, mit dem allenthalben die soziale Entwicklung beginnt. Der Stamm, die Gens, die Familie forderte einen Ersatz für den ökonomischen Verlust, den der Tod eines Mitgliedes für sie bedeutete, und ließ sich damit für die impulsiv naheliegende Blutrache abfinden. Diese Umwandlung fixiert sich schließlich in Fällen, wo die Blutrache, die abgelöst werden soll, selbst unmöglich wäre: bei den Goajiro-Indianern muß jemand, der sich selbst zufällig verletzt, der eigenen Familie einen Ersatz leisten, weil er das Blut der Familie vergossen hat. Sehr charakteristisch bezeichnet bei einigen Malaienvölkem das Wort für Blutgeld zugleich: aufstehen, sich aufrichten. Es gilt also die Vorstellung, daß mit dem erlegten Blutgeld der Erschlagene für die Seinigen wieder aufersteht, daß die Lücke, die sein Tod gerissen hat, nun ausgefüllt ist. Allein ganz abgesehen davon, daß neben der Zahlung an die Verwandten, wenigstens bei den Germanen, schon sehr früh auch eine besondere Buße für die Störung des Gemeinfriedens zu erlegen war; daß in einigen angelsächsischen Königreichen das der Familie zukommende Wergeld für den König noch einmal seitens des Volkes für das Leben seines Königs gefordert wird; daß das Wergeld in Indien überhaupt von der Familie auf die Brahmanen überging abgesehen von solchen Weiterentwicklungen des Wergeldes, die es von seinem privatökonomischen Ursprung lösten, enthält doch schon dieser von vornherein ein objektiv-überindividuelles Element, indem seine Höhe durch Sitte oder Gesetz fixiert war, wenn auch für die verschiedenen Stände sehr verschieden hoch. So war jedem Menschen sein Wert von der Geburt an bestimmt, ganz gleichgültig, welchen Wert er dann in Wirklichkeit für seine Angehörigen repräsentierte. Damit wurde also nicht nur gleichsam der Mensch als Substanz im Unterschied von der Summe seiner konkreten Leistungen gewertet, sondern die Vorstellung eingeleitet, daß er an sich und nicht nur für andere so und so viel wert sei. Eine bezeichnende Übergangserscheinung von der subjektiv- ökonomischen zu einer objektiven Wertung ist die folgende. Im jüdischen Reiche etwa des dritten Jahrhunderts war der Normalpreis eines Sklaven 50, der einer Sklavin 30 Schekel (ca. 45 bzw. 27 Mark). Als Schadenersatz für die Tötung eines Sklaven oder einer Sklavin mußte man dennoch durchweg 30 Sela (ca. 73 Mark) geben, da man hierfür den pentateuchischen Ansatz von 30 Schekel festhielt und darin irrtümlich 30 Sela erblickte. Man hielt sich also nicht an die ganz sicher feststellbare wirtschaftliche Größe des zugefügten Schadens, sondern an eine aus ganz anderen als wirtschaftlichen Quellen stammende Bestimmung, die - sowohl durch ihre absolute Große wie durch den Mangel an Differenzierung - mit jener in einem auffallenden Gegensatz stand. So war damit zwar noch nicht die Vorstellung begründet, daß dieser Sklave einen ganz bestimmten Wert, abgesehen von seiner Nützlichkeit für seinen Besitzer, hatte. Allein der Unterschied zwischen seinem Preise, der diese Nützlichkeit ausdrückte, und dem Sühnegeld für seine Tötung - wenn auch durch ein theologisches Mißverständnis hervorgerufen - wies doch darauf hin, daß eine ökonomische Wertbestimmtheit des Menschen aus einer objektiven Ordnung hervorgehen konnte, die seine Wertung aus der bloßen privaten Nützlichkeit für den Berechtigten durchbrach. Dieser Über gang wird in dem Maße erleichtert und bezeichnet, in dem das Wergeld eine rein staatliche Institution wird. An vielen Stellen wurde das Gewicht des gerichtlichen Eides der Höhe des Wergeldes proportional eingeschätzt. Und bezeichnenderweise kommt es vor, daß nur der Freie Wergeld hat, der Unfreie aber überhaupt nicht. Im florentiner Gebiet finden wir während des Mittelalters eine reiche Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes, quilini, inquilini, adscripticii, censiti usw. - deren Bindungen wahrscheinlich im umgekehrten Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so daß für die gänzlich Unfreien überhaupt kein Wergeld mehr bestand. Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete und rein formell gewordene Kriterium z.B. vor Gericht festgestellt, um die Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren. Vom individualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müßte umgekehrt das Wergeld um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das Eigentum eines Dritten ist. Daß es anders geschah, und daß jene Ordnung als Symbol für das Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte, das zeigt den Punkt an, auf dem das Wergeld zum Ausdruck des objektiven Persönlichkeitswertes geworden war.
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