I. [Die Geldheirat]
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 Weiter »
Von dem weiten Komplex von Erwägungen über die »Geldheirat«, die sich dem anschließen, scheinen mir die drei folgenden für die hier behandelte Bedeutungsentwicklung des Geldes wichtig. Heiraten, bei denen die ökonomischen Motive die allein wesentlichen sind, hat es nicht nur zu jeder Zeit und auf jeder Kulturstufe gegeben, sondern sie sind gerade in primitiveren Gruppen und Verhältnissen ganz besonders häufig, so daß sie in solchen keinerlei Anstoß zu erregen pflegen. Die Herabsetzung der persönlichen Würde, die heute mit jeder nicht aus individueller Neigung geschlossenen Ehe gegeben ist - so daß die schamhafte Verhüllung des ökonomischen Motives als Anstandspflicht erscheint - wird in jenen einfacheren Kulturverhältnissen nicht empfunden. Der Grund dieser Entwicklung ist, daß die steigende Individualisierung es immer widerspruchsvoller und unwürdiger macht, rein individuelle Verhältnisse aus anderen als rein individuellen Gründen einzugehen; denn unter den sozialen Momenten der Ehe steht heute nicht mehr die Personenwahl (außer soweit sich der Gedanke der Nachkommenschaft als ein solches zeigen wird), diese vielmehr gehört ihrer bloß individuellen, nach innen gerichteten Seite an, soweit die Gesellschaft nicht etwa auf Standesgleichheit der Gatten hält - was immerhin eine große Latitude gibt und nur selten zu Konflikten zwischen dem individuellen und dem sozialen Interesse zu führen pflegt. In einer Gesellschaft mit relativ undifferenzierten Elementen mag es ebenso relativ gleichgültig sein, welches Paar sich zusammentut - gleichgültig nicht nur für das Zusammenleben der Gatten selbst, sondern auch für die Nachkommenschaft: denn wo im ganzen die Konstitutionen, der Gesundheitszustand, das Temperament, die inneren und äußeren Lebensformen und -richtungen in der Gruppe übereinstimmen, da wird das Geraten der Nachkommenschaft nicht von einer so diffizilen Auswahl des zueinander passenden und einander ergänzenden Elternpaares abhängen, wie in einer hoch differenzierten Gesellschaft. Deshalb ist es in jener durchaus natürlich und zweckmäßig, die Ehewahl noch durch andere Gründe, als solche rein individueller Herzensneigung bestimmen zu lassen. Wohl aber sollten solche in einer stark individualisierten Gesellschaft den Ausschlag geben, in der das Zueinanderpassen je zweier Individuen immer seltener wird: die abnehmende Heiratsfrequenz, die sich allenthalben in sehr verfeinerten Kulturverhältnissen findet, ist sicher teilweise dadurch veranlaßt, daß äußerst differenzierte Menschen überhaupt schwer die völlig sympathische Ergänzung ihrer selbst finden. Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung. Da das bloß persönliche Glück ein Interesse ist, das schließlich die Ehegatten mit sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng durchgeführten offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine zwingende Veranlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des Geratens der Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses Motives bestehen müßte. Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag - und zwar besonders in höheren Verhältnissen, deren Komplikationen gerade die reinsten Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen - und so sehr ein gedeihlicher Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert, so ist es in seinem Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den Geldbesitz gegebenen Auswahlmomente unendlich überlegen, ja ihm gegenüber das schlechthin und einzig richtige. Die Geldheirat schafft direkt den Zustand der Panmixie - der auswahllosen, ohne Rücksicht auf die individuellen Qualitäten stattfindenden Paarung -, den die Biologie als die Veranlassung der unmittelbarsten und verderblichsten Entartung der Gattungen nachgewiesen hat. In der Geldheirat wird die Vereinigung des Paares durch ein Moment bestimmt, das mit der Rassenzweckmäßigkeit absolut nichts zu tun hat - gerade wie die Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen Paare oft genug auseinander hält -, und man muß sie in demselben Maße als ein Degenerationsmoment betrachten, in dein die entschiedenere Differenziertheit der Individuen gerade die Auswahl nach individuellem Zusammenpassen immer wichtiger macht. Es ist also auch in diesem Fall nichts anderes, als die gestiegene Individualisiertheit innerhalb der Gesellschaft, die das Geld zu einem immer ungeeigneteren Vermittler rein individueller Beziehungen macht.
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 Weiter »