Home  Impressum  Copyright

II. [Die Umsetzung von Sachwerten in Geldwert: der negative Sinn der Freiheit und die Entwurzelung der Persönlichkeit]

 

Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung gerade eine Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine zweite Ergänzung der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate. Wir haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern bedeutete, wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte. Der entgegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die Umsetzung des Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her geschieht, d.h. sobald der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er bisher zu besseren oder schlechteren Rechten besessen hat. Die Verbote, die im 18. Jahrhundert und bis tief in das 19. hinein auf dem Gebiet des alten Deutschen Reiches gegen das Auskaufen des Bauern ergehen, haben zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemein agrarpolitische Gründe; allein gelegentlich scheint doch das Gefühl mitgewirkt zu haben, daß dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man ihm sein Land selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt. Man mag freilich die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst als eine Befreiung empfinden. Mit Hilfe des Geldes können wir den Wert des Objektes in jede beliebige Form gießen, während er vorher in diese eine gebannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Konservierung und Fruktifizierung abhängig machte. Die Verpflichtung gegen die Sache scheint sich so von der gegen eine Person gar nicht prinzipiell zu unterscheiden, denn nicht weniger streng bestimmt jene als diese unser Tun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten Folgen vermeiden wollen: erst die Reduktion des ganzes Verhältnisses auf Geld - mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben - löst uns aus den Determinierungen, die uns von einem Außer-Uns gekommen sind. So geben die häufigen Zugeldesetzungen des Bauern im 18. Jahrhundert ihm allerdings eine momentane Freiheit. Allein sie nehmen ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Wert gibt: das zuverlässige Objekt persönlicher Betätigung. In dem Lande steckte für den Bauern noch etwas ganz anderes als der bloße Vermögenswert: es war für ihn die Möglichkeit nützlichen Wirkens, ein Zentrum der Interessen, ein Richtung gebender Lebensinhalt, den er verlor, sobald er statt des Bodens nur seinen Wert in Geld besaß. Gerade die Reduktion seines Landbesitzes auf dessen bloßen Geldwert stößt ihn auf den Weg des Proletariertums. Eine andere Stufe der Agrarverhältnisse zeigt die gleiche Entwicklungsform. Auf Bauerngütern z.B. in Oldenburg herrscht vielfach noch das Heuermannsverhältnis; der Heuermann ist verpflichtet, dem Bauern eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahre Arbeit zu leisten, und zwar für einen geringeren Lohn als den der freien Tagelöhner; dafür erhält er vom Bauern Wohnung, Landpacht, Fuhren usw. zu einem billigeren Preise als dem ortsüblichen. Es ist also, wenigstens partiell, ein Austausch von Naturalwerten. Von diesem Verhältnis nun wird berichtet, es charakterisiere sich durch die soziale Gleichstellung zwischen dem Bauern und dem Heuerling: dieser habe nicht das Gefühl, ein durch seine weniger vermögende Lage zur Lohnarbeit gezwungener Mann zu sein; zugleich aber, daß die vordringende Geldwirtschaft dieses Verhältnis zerstöre, und daß die Umwandlung des naturalen Tausches der Dienste in eine glätte Bezahlung dieser den Heuermann deklassiere - wenngleich er auf diese Weise doch eine gewisse Freiheit des Schaltens mit seinem Arbeitsertrag gegenüber der Gebundenheit an vorherbestimmte naturale Empfänge gewinnen müßte. Dasselbe Gebiet zeigt dieselbe Entwicklung noch an einer anderen Stelle. Solange die Drescher auf den Gütern durch einen bestimmten Anteil am Erdrusch gelohnt wurden, hatten sie ein lebhaftes persönliches Interesse am Gedeihen der Wirtschaft des Herrn. Die Dreschmaschine verdrängte diese Löhnungsart und der dafür eingeführte Geldlohn läßt es zu jenem persönlichen Bande zwischen Herrn und Arbeiter nicht kommen, aus dem der letztere ein Selbstgefühl und einen sittlichen Halt, ganz anders als aus dem erhöhten Geldeinkommen, gezogen hatte.

 


 © textlog.de 2004 • 25.11.2024 01:40:30 •
Seite zuletzt aktualisiert: 27.09.2004