II. [Die Umsetzung von Sachwerten in Geldwert: der negative Sinn der Freiheit und die Entwurzelung der Persönlichkeit]
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So ordnet sich die ungeheure Gefahr, die die Zugeldesetzung für den. Bauern bedeutete, einem allgemeinen System der menschlichen Freiheit ein. Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Freiheit zu allem - weil sie eben bloß negativ war -, tatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und bestimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischen Impuls Ausbreitung ohne Widerstand gestattete - entsprechend dem Schicksal des ungefesteten Menschen, der seine Götter dahingegeben hat und dessen so gewonnene »Freiheit« nur den Raum gibt, jeden beliebigen Augenblickswert zum Götzen aufwachsen zu lassen. Nicht anders ergeht es manchem Kaufmann, für den, von den Sorgen und Arbeiten seines Geschäftes belastet, der Verkauf desselben das ersehnteste Ziel ist. Wenn er dann aber endlich, mit dem Erlös dafür in der Hand, wirklich »frei« ist, so stellt sich oft genug jene typische Langeweile, Lebenszwecklosigkeit, innere Unruhe des Rentiers ein, die ihn zu den wunderlichsten und allem inneren und äußeren Sinne zuwiderlaufendsten Beschäftigungsversuchen treibt, damit er nur seiner »Freiheit« einen substanziellen Inhalt einbaue. Ganz so verhält es sich vielfach mit dem Beamten, der nur möglichst rasch eine Stufe erreichen will, deren Pension ihm ein »freies« Leben ermöglicht. So erscheint uns mitten in den Qualen und Ängsten der Welt oft der Zustand bloßer Ruhe als das absolute Ideal, bis der Genuß derselben uns sehr bald belehrt, daß die Ruhe vor bestimmten Dingen nur wertvoll, ja, nur erträglich ist, wenn sie zugleich die Ruhe zu bestimmten Dingen ist. Während sowohl der ausgekaufte Bauer wie der Rentier gewordene Kaufmann oder der pensionierte Beamte ihre Persönlichkeit aus dem Zwange befreit zu haben scheinen, den die spezifischen Bedingungen ihrer Besitztümer oder Positionen ihnen antaten, ist - in den hier vorausgesetzten Fällen - tatsächlich das Umgekehrte eingetreten: sie haben die positiven Inhalte ihres Ich für das Geld dahingegeben, das ihnen keine ebensolchen gewährt. Sehr bezeichnend erzählt ein französischer Reisender von den griechischen Bäuerinnen, die Stickereien fabrizieren und außerordentlich an ihren sehr mühseligen Arbeiten hängen: elles les donnent, elles les reprennent, elles regardent l'argent, puis leur ouvrage, puis l'argent: l'argent finit toujours par avoir raison, et elles s'en vont désolées de se voir si riches. Weil die Freiheit, die das Geld gibt, nur eine potenzielle, formale, negative ist, so bedeutet sein Eintausch gegen positive Lebensinhalte - wenn sich nicht sogleich andere von anderen Seiten her an die leergewordene Stelle schieben - den Verkauf von Persönlichkeitswerten. Darum hat die preußische Gemeinheitsteilung im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts das Aufkommen eines unsteten, wurzellosen Tagelöhnerstandes sehr begünstigt. Die nationalen Wiesen- und Waldrechte waren eine Beihilfe für die Existenz des ärmeren Bauern, die das in abstracto ermittelte Äquivalent absolut nicht aufwog - in Geld ausbezahlt, war es sehr bald verloren, in Land war es zu klein, um selbständige Bewirtschaftung zu lohnen; so daß auch diese Landentschädigungen möglichst schnell zu Gelde gemacht wurden und den Weg zur Proletarisierung und Lockerung der Lebenssubstanz eher verbreiterten als einengten. - Ganz entsprechend dem Verhalten der griechischen Bäuerinnen berichten die Ethnologen von der außerordentlichen Schwierigkeit, bei Naturvölkern Gebrauchsgegenstände zu erstehen. Denn jeder derselben trägt - so hat man dies begründet - nach Ursprung und Bestimmung ausgesprochen individuelles Gepräge; die ungeheure Mühe, die auf Herstellung und Ausschmückung des Objekts verwendet wird, und sein Verbleiben im persönlichen Gebrauch läßt es zu einem Bestandstück der Person Selbst werden, von dem sich zu trennen, einem der Art nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem Körpergliede; so daß statt der Expansion des Ich - die die unendlichen »Möglichkeiten« des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich versprechen - eine Kontraktion desselben eintritt. Die Klarheit hierüber ist nicht ohne Belang für das Verständnis unserer Zeit. Seit es überhaupt Geld gibt, ist, im großen und ganzen, jedermann geneigter zu verkaufen als zu kaufen.. Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit immer stärker und ergreift immer mehr von denjenigen Objekten, welche gar nicht zum Verkauf hergestellt sind, sondern den Charakter ruhenden Besitzes tragen und vielmehr bestimmt scheinen, die Persönlichkeit an sich zu knüpfen, als sich in raschem Wechsel von ihr zu lösen: Geschäfte und Betriebe, Kunstwerke und Sammlungen, Grundbesitz, Rechte und Positionen allerhand Art. Indem alles dies immer kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die Persönlichkeit immer schneller und öfter aus der spezifischen Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt, wird freilich ein außerordentliches Gesamtmaß von Freiheit verwirklicht; allein weil nur das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren Direktionslosigkeit die nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so bleiben sie bei der Tatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft genug zu keinem neuen Wurzelschlagen über. Ja, indem jene Besitze bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Kategorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, kommt es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig determinierende Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt gibt. So erklärt es sich, daß unsere Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgendeine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird. Das Geld ermöglicht nicht nur, uns von den Bindungen anderen gegenüber, sondern auch von denen, die aus unserem eigenen Besitz quellen, loszukaufen; es befreit uns, indem wir es geben und indem wir es nehmen. So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen außerordentlich breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte den tieferen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des Liberalismus enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend, weshalb die Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis und Unbefriedigung erzeugt hat.
Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre Richtung gebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Veränderung unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion. Wenn sich jene geldwirtschaftliche Unsicherheit und Treulosigkeit gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Gefühle rächt: daß die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein Erlangtes knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst, daß der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der Hand gleitet - so entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen eine neue Bedeutsamkeit, einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu verleihen. Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die Flüchtigkeit ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz: die Folgen und Korrelationen des Geldes, haben sie ausgehöhlt und vergleichgültigt. Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen nach neuen Stilen, nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die Theosophie, sind Symptome für das Verlangen nach einer neuen, tiefer empfindbaren Bedeutung der Dinge - sei es, daß jedes für sich wertvollere, seelenvollere Betonung erhalte, sei es, daß es diese durch die Stiftung eines Zusammenhanges, durch die Erlösung aus ihrer Atomisierung gewinne. Wenn der moderne Mensch frei ist - frei, weil er alles verkaufen, und frei, weil er alles kaufen kann - so sucht er nun, oft in problematischen Velleitäten, an den Objekten selber diejenige Kraft, Festigkeit, seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge des Geldes veränderte Verhältnis zu ihnen verloren hat. Wenn wir früher sahen, daß durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangensein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich, Richtung und Bestimmtheit doch mit konkreten Besitztümern soweit solidarisch, daß das fortwährende Verkaufen und Wechseln derselben, ja, die bloße Tatsache der Verkaufsmöglichkeit oft genug einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.
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