I. [Die Geldstrafe und die Kulturstufen]
Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an dem Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich geschehenen Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich die Vorstellung entwickelt hat, daß der Mensch, der Angehörige dieses bestimmten Standes, dieses bestimmte Wergeld wert wäre. Hier setzt nun die weitere Evolution an, infolge deren die Sühneleistung des Verbrechers nicht als eine Entschädigung für den von ihm vernichteten Wert, sondern als Strafe auftritt, und zwar nun nicht nur für den Mord, sondern auch für andere schwere Vergehen. Alle Strafe, als ein unter der Idee der Zweckmäßigkeit zugefügter Schmerz, kann, soviel ich sehe, nur zwei Ausgangspunkte haben: das Schutzbedürfnis der Gesellschaft und die Entschädigungspflicht für den oder die Beschädigten - so sehr ihre später erworbenen ideellen Bedeutungen sich über diese Ursprünge erheben. Denn wenn man die Strafe auf den Rachetrieb zurückgeführt hat, so scheint mir dieser selbst noch der Erklärung bedürftig, und sie darin zu finden, daß das Schutzbedürfnis die Menschen zwingt, den Schädiger unschädlich zu machen, was eben oft nur durch Schmerzzufügung oder Tötung geschehen kann - und daß diese Nützlichkeit und Notwendigkeit zu einem eigenen Triebe ausgewachsen ist: die Beschädigung des Beschädigers, ursprünglich ein bloßes Mittel, sich vor weiterer Schädigung zu schützen, hat ein selbständiges Lustgefühl, einen von seinen utilitarischen Wurzeln gelösten Trieb für sich erworben. Der Ursprung der Strafe aus der Rache würde also schließlich auch nur auf den Schutztrieb zurückgehen. Grade dieses macht es auch erklärlich, daß sehr zivilisierte Zeiten auf den Mord völlige Unschädlichmachung des Täters, rohere aber eine gelinde Abfindung setzen. Denn heute werden im ganzen doch Morde nur von völlig zuchtlosen und moralisch depravierten Individuen begangen, in roheren oder heroischeren Zeiten aber auch von ganz anders qualifizierten, deren Überlegenheit und Tatkraft die Gesellschaft zu konservieren alles Interesse hatte. Es ist also die Wesensverschiedenheit der Mörder auf den verschiedenen historischen Stufen, auf die hin die soziale Selbsterhaltung einmal auf Vernichtung, ein anderes Mal auf eine den Täter selbst konservierende Sühne hindrängt. Hier interessiert uns indes nur der andere Ursprung der Strafe, aus der Entschädigungspflicht. Solange oder insoweit die Konsequenz einer schädigenden Handlung für den Täter selbst von dem Beschädigten vollzogen wird, so wird sie - abgesehen von jenen Abwehr- und Racheimpulsen - sich auf eine Schadloshaltung dieses letzteren beschränken; ihn wird der subjektive Zustand des Täters nicht interessieren, seine Reaktion wird durch die Nützlichkeit für ihn selbst, nicht durch eine Rücksicht auf jenen bestimmt werden. Das ändert sich, sobald eine objektive Macht, wie der Staat oder die Kirche, die Sühne der Missetat übernimmt. Weil nun die Schädigung des Beschädigten nicht mehr als persönliches Ereignis, sondern als Störung des öffentlichen Friedens oder als Verletzung eines ethischreligiösen Gesetzes das Motiv der Reaktion bildet, so wird der Zustand, den diese in dem Missetäter hervorruft, ihr definitiver Zweck, während er vorher für denjenigen, der nur seine Entschädigung suchte, ein gleichgültiges Akzidenz gewesen war; so daß man erst jetzt von Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann. Jetzt handelt es sich darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Buße als äußerliches Geschehen ist das bloße Mittel dazu. Die Geldstrafe hat so einen ganz anderen Sinn als jener frühere Geldersatz für Verwundungen und Tötungen; sie soll nicht den angerichteten Schaden ausgleichen, sondern dem Täter ein Schmerz sein, weshalb sie denn auch in modernen Rechten, im Falle der Unbeitreibbarkeit, durch Freiheitsstrafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld bringt, sondern ihn noch erhebliches kostet. Indem die Geldstrafe so nur um ihres subjektiven Reflexes willen gehandhabt wird, mit dem der Missetäter sie empfindet, kann sie allerdings einen dem Geld als solchem fremden, individuellen Zug erhalten. Dieser dokumentiert sich in einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe vor anderen Strafen voraus hat: in ihrer großen Abstufbarkeit, in ihrer eventuellen völligen Widerruflichkeit, endlich darin, daß sie nicht wie die Freiheitsstrafen oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer Zeiten die Arbeitskraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern sie umgekehrt wegen des Ersatzes des Dahingegebenen gerade anstachelt. Dieses personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr äußerlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll, reicht indes nicht sehr tief hinab. Das zeigt sich z.B. schon darin, daß heutzutage die Verurteilung zur höchsten Geldstrafe die gesellschaftliche Position des Betroffenen nicht entfernt so herabsetzt, wie die zur geringsten Gefängnisstrafe; nur wo das Persönlichkeitsgefühl überhaupt noch nicht sehr stark entwickelt ist, wie in der russischen Bauernschaft, konnte es vorkommen, daß vom Missetäter selbst die Prügelstrafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird. Ferner zeigt sich die Schwäche des personalen Momentes in der Geldstrafe, wie sie wenigstens bis jetzt gehandhabt wird, darin, daß ihre prinzipielle Abstufbarkeit der wirklichen Individualität der Verhältnisse keineswegs folgt. Das Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, daß selbst das Mindestmaß für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchstmaß für den ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe vielleicht einen Tag hungern muß, werden die paar Tausend Mark, zu denen dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die geringste Entbehrung auferlegen., so daß der subjektive Strafzweck dort übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird. Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den Vorschlag erreichen wollen, das Gesetz solle überhaupt nicht bestimmte Summen als Strafgrenzen fixieren, sondern prozentuale Quoten vom Einkommen des Schuldigen. Dagegen wird indes richtig eingewendet, daß die Strafe einer ganz geringfügigen Übertretung für einen vielfachen Millionär dann viele Tausende betragen müßte, was zweifellos als sachlich unangemessen empfunden wird. Dieser innere Widerspruch des Versuches, zu einer wirklichen Individualisierung der Geldstrafe zu gelangen, der bei sehr stark differenzierten Vermögensverhältnissen unvermeidlich scheint, beweist wiederum, wieviel geringer deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch entwickelten (d.h. sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen Kultur ist, als in primitiveren, also nivellierteren Verhältnissen. Insbesondere aber muß die Geldstrafe sich schließlich da als ganz unzutreffend erweisen, wo überhaupt nur die allerinnerlichsten Beziehungen des Menschen in Frage stehen: bei der Kirchenbuße, die vom 7. Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden konnte. Die Kirche hatte einen großen Teil der Strafrechtspflege übernommen, die eigentlich dem Staate zufiel, und der umherreisende Bischof als Richter strafte die Sünder vom Gesichtspunkte der verletzten göttlichen Ordnung aus, so daß ihre sittliche Besserung, die Umkehr der Seele auf dem Sündenwege, das eigentliche Absehen war, von jener tiefstgelegenen und wirksamsten Tendenz der religiösen Moral aus: daß die definitive sittliche Pflicht des Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe - während die weltliche Moral ihr letztes Ziel gerade aus dem Ich heraus in den Anderen und seine Zustände verlegt. Von diesem Gesichtspunkt der Verinnerlichung und Subjektivierung der Strafe aus wurden selbst Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbuße bestraft. Diese kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch Geldzahlung abgelöst werden. Daß dies im Lauf der Zeit als eine ganz unzulängliche und unzutreffende Buße empfunden wurde, ist kein Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes; gerade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, kann es nicht zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentliche der Persönlichkeit getroffen werden soll; und nicht trotzdem man so gut wie alles für Geld haben kann, sondern gerade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen Anforderungen, auf denen die Kirchen büße ruhte, zu begleichen. Die steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung der Geldbußen beschleunigt und gesichert wird. Den Charakter kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit gegenüber allen spezifischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Maß, in dem es zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und für immer verschiedenartigere wird. Solange es, erstens, überhaupt noch nicht so viel Gegenstände gibt, die eventuell um Geld erworben werden könnten, und solange, zweitens, von den vorhandenen ökonomischen Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf entzogen ist (wie es sehr lange Perioden hindurch z.B. der Grundbesitz ist) - solange hat das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter, es steht noch nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt entgegengesetzte Wesen, sakrale Würde, der Akzent eines Ausnahmewertes kann ihm in primitiven Verhältnissen zukommen. Ich erinnere an die früher angeführten strengen Normen, die gewisse Geldsorten ausschließlich für wichtige oder feierliche Transaktionen bestimmten, besonders aber an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel. Die Insulaner, heißt es, bedürfen für den Lebensunterhalt keines Geldes, denn alle seien Selbstproduzenten. Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Erwerb einer Frau, die Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die politische Bedeutung der Gemeinde hänge ausschließlich von dem Geldbesitz ab. Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, weshalb das Geld nicht so gemein ist wie bei uns, wo es gerade die niedrigsten Bedürfnisse unmittelbarer als jene höheren deckt. Ja, die bloß quantitative Tatsache, daß es überhaupt noch nicht so viel Geld gibt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, läßt es in den. Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so daß es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die vorschreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes und schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen.