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II. [Die Wertdifferenz zwischen persönlicher Leistung und Geldäquivalent]

 

Nun ist weder das Hinausragen der Leistung über ihr Geldäquivalent immer von merkbarer Größe, noch, wenn es dies ist, immer so zum Ausdruck zu bringen, wie in den angeführten Fällen des Künstlers und des Arztes, des Beamten und des Gelehrten. Wenn die Leistung sehr unindividuell ist und die Persönlichkeit sich mit ihr nicht aus dem Durchschnitt heraushebt, wie etwa bei dem ungelernten Arbeiter, so fehlt der Punkt der Inkommensurabilität, das Hineinwachsen der mit nichts vergleichbaren Persönlichkeit in das Werk, die sich immer nur in einer irgendwie singulären Qualität zu erkennen geben kann. Andrerseits, ob der Leistende eine Begleichung jenes Saldo auf die angegebenen Arten erlangte hängt im Prinzip davon ab, ob seine soziale Stellung ihm überhaupt derartige ideale Anerkennungen zugänglich macht; wo sie wegen seiner allgemeinen Untergeordnetheit aufbleiben, erscheint er natürlich um so herabgewürdigter, je persönlicheres er für Geld und nur für Geld zu geben gezwungen ist. So wurden die mittelalterlichen Spielleute verachtet, mit der gelegentlichen Begründung, daß sie auf Bestellung Lustiges wie Trauriges sängen, ihre persönlichen Empfindungen damit prostituierten, daß sie »Geld für Ehre nahmen«. Um die Ausschließung jenes idealen Lohnes aufrechtzuerhalten, war es deshalb durchaus konsequent, daß man sie wenigstens in bezug auf den ökonomischen Lohn auch streng gewissenhaft behandelte: obgleich die Spielleute allenthalben schlechtes Recht hatten, so wurde ihnen doch, wie ich schon erwähnte, gerade in bezug auf Hab und Gut unparteilich Recht gemessen. Wo der eigentlich personale Wert schlechthin gegen Geld, ohne eine darüber hinausgehende ideelle Entschädigung, fortgegeben werden muß, da findet deshalb eine Lockerung, gleichsam ein Substanzverlust des individuellen Lebens statt. Das Gefühl der Tatsache, daß im Geldverkehr personale Werte für einen inadäquaten Gegenwert ausgetauscht werden, ist sicher einer der Gründe, aus denen in Kreisen von wirklich vornehmer und stolzer Gesinnung der Geldverkehr so oft perhorresziert und sein Gegenpol, die Landwirtschaft, als das allein Geziemende gepriesen worden ist. So war es zum Beispiel bei den Adligen der schottischen Hochlande, die bis zum achtzehnten Jahrhundert ein ganz isoliertes und rein autochthones Dasein führten, das aber ganz unter dem Ideal der denkbar höchsten persönlichen Freiheit stand. Denn so sehr das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng gesponnener Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat, so stark muß man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten und sich selbst genügenden Existenz aus empfinden, daß der Austausch von Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert. Wenn die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst gesondert haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die letzteren immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der ersteren dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muß es umgekehrt als eine Unverhältnismäßigkeit und ein Verlust gelten, wenn Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich gewährt, bloß zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand seiner objektiven Gesetzmäßigkeiten werden. Bei dem Übergange der mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu der modernen Landwirtschaft ist zu konstatieren, daß seine Standesbegriffe sich zwar dahin erweitern: außer der Kriegstätigkeit sei doch auch Erwerbstätigkeit für ihn zulässig - aber dies sei eben nur der Betrieb der eigenen Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den Kaufmann, den Händler womöglich noch mehr verachten ließ, als es vor seiner Wendung zum Ökonomischen der Fall war. Das spezifische Gefühl der Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier gerade deshalb so schroff hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt nahe aneinander gerückt sind. Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen, daß der Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt, als wenn derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt: Sekten der gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz verschiedene Religionsgemeinschaften, die Feindschaften kleiner benachbarter Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch, leidenschaftlicher als die großer Staaten mit ihren räumlich und sachlich getrennten Interessengebieten, ja, man hat behauptet, daß der glühendste Haß, den es gibt, der zwischen Blutsverwandten wäre. Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem Hintergrund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann ein Maximum zu erreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit in der Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, daß der Unterschied und Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Bestand wenigstens eine der Parteien lebhaft interessiert ist. Je mehr ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander nähern, desto energischer wird das letztere die noch bestehenden Differenzpunkte betonen, desto höher sie werten. So entsteht der leidenschaftliche und aggressive Klassenhaß nicht dann, wenn die Klassen noch durch unüberbrückbare Klüfte geschieden sind, sondern erst in dem Augenblick, wo die niedere Klasse sich schon etwas erhoben hat, die höhere einen Teil ihres Prestige verloren hat und ein Nivellement beider diskutiert werden kann. So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozeß in den wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich von dem geldwirtschaftenden Kaufmann abzuscheiden. Er trieb Wirtschaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf, er gab doch nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das tat, so war es doch schließlich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der Kaufmann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst des Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus - wenngleich unter dem wesentlichen Mitwirken anderer - dem spartanischen Vollbürger zwar gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht, es selbst zu bebauen. Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war im Interesse der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das Geldgeschäft demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der sozial Höherstehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger der sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander »gemein«. Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als deklassierend, während der Bauer, wenn er statt seiner Naturalleistungen dem Herrn in Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.

Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte als das Unvergleichliche des Geldes, daß es allen Entgegengesetztheiten historisch- psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äußerster Entschiedenheitausbildet. In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint das Geld, die verkörperte Relativität der Dinge, gleichsam als das Absolute, das alles Relative mit seinen Gegensätzen umschließt und trägt.

 


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