III. [Das Nacheinander und das Nebeneinander beider Tendenzen, die Entwicklungen des Geldes als Analogie und als Träger derselben]
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Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Daseinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen, und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegensatz nicht immer, wie in den bisherigen Beispielen, durch Einstellung in Entwicklungsgänge versöhnbar ist, sondern die dauernden Charaktere von Individuen und Gruppen abschließend bezeichnet. Die systematische Lebensform ist nicht nur, wie ich schon hervorhob, die Technik zentralistischer Tendenzen, mögen sie despotischer oder sozialistischer Art sein, sondern sie gewinnt außerdem einen Reiz für sich: die innere Ausgeglichenheit und äußere Geschlossenheit, die Harmonie der Teile und Berechenbarkeit ihrer Schicksale verleiht allen symmetrisch-systematischen Organisationen eine Anziehung, deren Wirkungen weit über alle Politik hinaus an unzähligen öffentlichen und privaten Interessen gestaltende Macht übt. Mit ihr sollen die individuellen Zufälligkeiten des Daseins eine Einheit und Durchsichtigkeit erhalten, die sie zum Kunstwerk macht. Es handelt sich um den gleichen ästhetischen Reiz, wie ihn die Maschine auszuüben vermag. Die absolute Zweckmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Bewegungen, die äußerste Verminderung der Widerstände und Reibungen, das harmonische Ineinandergreifen der kleinsten und der größten Bestandteile: das verleiht der Maschine selbst bei oberflächlicher Betrachtung eine eigenartige Schönheit, die die Organisation der Fabrik in erweitertem Maße wiederholt und die der sozialistische Staat im allerweitesten wiederholen soll. Aber diesem Reize liegt, wie allem Ästhetischen, eine letztinstanzliche Richtung und Bedeutsamkeit des Lebens zum Grunde, eine elementare Beschaffenheit der Seele, von der auch die ästhetische Anziehung oder Bewährung nur eine Erscheinung an äußerem Stoffe ist; wir haben jene nicht eigentlich, wie wir ihre Ausgestaltungen im Material des Lebens: ästhetische, sittliche, soziale, intellektuelle, eudämonistische, haben, sondern wir sind sie. Diese äußersten Entscheidungen der menschlichen Naturen sind mit Worten nicht zu bezeichnen, sondern sie sind nur aus jenen einzelnen Darstellungen ihrer als deren letzte Triebkräfte und Direktiven herauszufühlen. Darum ist der Reiz der entgegengesetzten Lebensform ebenso indiskutabel, in dessen Empfinden sich die aristokratischen und die individualistischen Tendenzen - in welcher Provinz unserer Interessen sie auch auftreten mögen - begegnen. Die historischen Aristokratien vermeiden gern die Systematik, die generelle Formung, die den Einzelnen in ein ihm äußeres Schema einstellt, jedes Gebilde - politischer, sozialer, sachlicher, personaler Art - soll sich gemäß der echt aristokratischen Empfindung als eigenartiges in sich zusammenschließen und bewähren. Der aristokratische Liberalismus des englischen Lebens findet deshalb in der Asymmetrie, in der Befreiung des individuellen Falles von der Präjudizierung durch sein Pendant, den typischsten und gleichsam organischsten Ausdruck seiner Innersten Motive. Ganz direkt hebt Macaulay, der begeisterte Liberale, dies als die eigentliche Stärke des englischen Verfassungslebens hervor. »Wir denken,« so sagt er, »gar nicht an die Symmetrie, aber sehr an die Zweckmäßigkeit; wir entfernen niemals eine Anomalie, bloß weil sie eine Anomalie ist; wir stellen keine Normen von weiterem Umfang auf, als es der besondere Fall, um den es sich gerade handelt, erfordert. Das sind die Regeln, die im ganzen, vom König Johann bis zur Königin Viktoria, die Erwägungen unserer 250 Parlamente geleitet haben.« Hier wird also das Ideal der Symmetrie und logischen Abrundung, die allem Einzelnen von einem Punkte aus seinen Sinn gibt, zugunsten jenes anderen verworfen, das jedes Element sich nach seinen eigenen Bedingungen unabhängig ausleben und so natürlich das Ganze eine regellose und unausgeglichene Erscheinung darbieten läßt. Und es ist ersichtlich, wie tief in die persönlichen Lebensstile dieser Gegensatz heruntersteigt. Auf der einen Seite die Systematisierung des Lebens: seine einzelnen Provinzen harmonisch um einen Mittelpunkt geordnet, alle Interessen sorgfältig abgestuft und jeder Inhalt eines solchen nur soweit zugelassen, wie das ganze System es vorzeichnet; die einzelnen Betätigungen regelmäßig abwechselnd, zwischen Aktivitäten und Pausen ein festgestellter Turnus, kurz, im Nebeneinander wie im Nacheinander eine Rhythmik, die weder der unberechenbaren Fluktuation der Bedürfnisse, Kraftentladungen und Stimmungen, noch dem Zufall äußerer Anregungen, Situationen und Chancen Rechnung trägt - dafür aber eine Existenzform eintauscht, die ihrer selbst dadurch völlig sicher ist, daß sie überhaupt nichts in das Leben hineinzulassen strebt, was ihr nicht gemäß ist oder was sie nicht zu ihrem System passend umarbeiten kann. Auf der anderen Seite: die Formung des Lebens von Fall zu Fall, die innere Gegebenheit jedes Augenblickes mit den koinzidierenden Gegebenheiten der Außenwelt in das möglichst günstige Verhältnis gesetzt, eine ununterbrochene Bereitheit zum Empfinden und Handeln zugleich mit einem steten Hinhören auf das Eigenleben der Dinge, um ihren Darbietungen und Forderungen, wann immer sie eintreten, gerecht zu werden. Damit ist freilich die Berechenbarkeit und sichere Abgewogenheit des Lebens preisgegeben, sein Stil im engeren Sinne, das Leben wird nicht von Ideen beherrscht, die in ihrer Anwendung auf sein Material sich immer zu einer Systematik und festen Rhythmik ausbreiten, sondern von seinen individuellen Elementen aus wird es gestaltet, unbekümmert um die Symmetrie seines Gesamtbildes, die hier nur als Zwang, aber nicht als Reiz empfunden würde. - Es ist das Wesen der Symmetrie, daß jedes Element eines Ganzen nur mit der Rücksicht auf ein anderes und auf ein gemeinsames Zentrum seine Stellung, sein Recht, seinen Sinn erhält; wogegen, sobald jedes Element nur sich selbst gehorcht und sich nur um seiner selbst willen und aus sich selbst entwickelt, das Ganze unvermeidlich unsymmetrisch und zufällig ausfallen wird. Gerade angesichts seines ästhetischen Reflexes zeigt dieser Widerstreit sich als das grundlegende Motiv aller Prozesse, die zwischen einem sozialen Ganzen - politischer, religiöser, familiärer, wirtschaftlicher, geselliger und sonstiger Art - und seinen Individuen spielen. Das Individuum begehrt, ein geschlossenes Ganzes zu sein, eine Gestaltung mit eigenem Zentrum, von dem aus alle Elemente seines Seins und Tuns einen einheitlichen, aufeinander bezüglichen Sinn erhalten. Soll dagegen das überindividuelle Ganze in sich abgerundet sein, soll es mit selbstgenugsamer Bedeutsamkeit eine eigene objektive Idee verwirklichen - so kann es jene Abrundung seiner Glieder nicht zulassen - man kann keinen Baum aus Bäumen erwachsen lassen, sondern nur aus Zellen, kein Gemälde aus Gemälden, sondern aus Pinselstrichen, deren keiner für sich Fertigkeit, Eigenleben, ästhetischen Sinn besitzt. Die Totalität des Ganzen - so sehr sie nur in gewissen Aktionen Einzelner, ja vielleicht innerhalb jedes Einzelnen praktische Wirklichkeit gewinnt - steht in einem ewigen Kampfe gegen die Totalität des Individuums. Das ästhetische Bild desselben ist deshalb so besonders nachdrücklich, weil sich gerade der Reiz der Schönheit immer nur an ein Ganzes knüpft - habe es unmittelbare, habe es durch Phantasie ergänzte Anschaulichkeit, wie das Fragment; es ist der ganze Sinn der Kunst, aus einem zufälligen Bruchstück der Wirklichkeit, dessen Unselbständigkeit durch tausend Fäden mit dieser verbunden ist, eine in sich ruhende Totalität, einen jedes Außerhalbseiner unbedürftigen Mikrokosmos zu gestalten. Der typische Konflikt zwischen dem Individuum und dem überindividuellen Sein ist darstellbar als das unvereinbare Streben beider, zu einem ästhetisch befriedigenden Bilde zu werden.
Das Geld scheint zunächst nur der Ausprägung einer dieser Gegensatzformen zu dienen. Denn es selbst ist absolut formlos, es enthält in sich nicht den geringsten Hinweis auf eine regelmäßige Hebung und Senkung der Lebensinhalte, es bietet sich jeden Augenblick mit der gleichen Frische und Wirksamkeit dar, es nivelliert durch seine Fernwirkungen wie durch seine Reduktion der Dinge auf ein und dasselbe Wertmaß unzählige Schwankungen, gegenseitige Ablösungen von Distanz und Annäherung, Schwingung und Stillstand, die dem Individuum sonst allgemeingültige Abwechslungen in seinen Betätigungs- und Empfindungsmöglichkeiten auferlegten. Es ist sehr bezeichnend, daß man das kursierende Geld flüssig nennt: wie einer Flüssigkeit fehlen ihm die inneren Grenzen, und nimmt es die äußeren widerstandslos von der festen Fassung an, die sich ihm jeweilig bietet. So ist es das durchgreifendste, weil für sich völlig indifferente Mittel für die Überführung eines uns überindividuell zwingenden Rhythmus von Lebensbedingungen in eine Ausgeglichenheit und Schwankungslosigkeit derselben, die unseren persönlichen Kräften und Interessen eine freiere, einerseits individuellere, andrerseits reiner sachliche Bewährung gestattet. Dennoch: gerade dieses an sich wesenlose Wesen des Geldes ermöglicht, daß es sich auch der Systematik und Rhythmik des Lebens leihe, wo das Entwicklungsstadium der Verhältnisse oder die Tendenz der Persönlichkeit darauf hindrängt. Während wir gesehen haben, daß zwischen liberaler Verfassung und Geldwirtschaft eine enge Korrelation besteht, war doch nicht weniger bemerkbar, daß der Despotismus im Gelde eine unvergleichlich zweckmäßige Technik findet, ein Mittel, die räumlich fernsten Punkte seiner Herrschaft an sich zu binden, die bei Naturalwirtschaft immer zu Abschnürung und Verselbständigung neigen. Und während die individualistische Sozialform Englands an der Ausbildung des Geldwesens groß geworden ist, zeigt sich dasselbe nicht nur in dem Sinn als Vorläufer sozialistischer Formen, daß es durch einen dialektischen Prozeß in diese als in seine Negation umschlage, sondern ganz direkt geben, wie wir an manchen Stellen sahen, spezifisch geldwirtschaftliche Verhältnisse die Skizze oder den Typus der vom Sozialismus erstrebten ab.
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