b) Halbkantianer
Bildet Schiller auch die kritische Philosophie in bestimmter Richtung weiter, so bleibt er doch ihrer Methode treu und kann deshalb als selbständiger »Kantianer« bezeichnet werden. Unter dem Titel »Halbkantianer« lassen wir eine Reihe unbedeutenderer Denker zusammen, die zwar auch vom Kritizismus mehr oder weniger ausgehen, dann aber nach verschiedenen Seiten hin abschwenken und eine geeignete Überleitung zur Darstellung Fichtes bilden, an den übrigens auch bei Schiller schon einzelnes erinnert. Zu ihnen gehören: Reinhold, Maimon, Beck.
1. Karl Leonhard Reinhold (1758-1823) wurde in Österreich von Jesuiten erzogen, geriet dann in josephinische Kreise und floh nach Deutschland. In Jena Schwiegersohn Wielands geworden, veröffentlichte er in des letzteren Teutschem Merkur 1786/87 seine populär gehaltenen Briefe über die Kantische Philosophie, die den Kritizismus, freilich in ziemlich oberflächlicher Form, in den weitesten Kreisen verbreiteten; in gleichem Sinne wirkte Reinhold als Professor in Jena von 1787 an. Allein seiner beweglichen, wandlungsfähigen Natur genügte bald die Kantische Philosophie, an der ihn zumeist ihr sittlich-religiöser Geist angezogen hatte, nicht mehr. Er ist der erste von den zahlreichen Nachfolgern Kants, der, über die »Kritik« hinausstrebend, ein »System« verlangt. Kants Kritik bedürfe eines Unterbaus, den Reinholds Neue Theorie des Vorstellungsvermögens (1789) ihr geben will: in der Urtatsache des Bewußtseins. Aus dem Ursatze: »Die Vorstellung wird im Bewußtsein vom Vorgestellten und Vorstellenden unterschieden und auf beide bezogen«, wird dann alles weitere abgeleitet: aus dem gegebenen Objekte nämlich die Mannigfaltigkeit des Stoffes, aus der Spontaneität des Subjekts die synthetische Einheit der Form. Dem entspricht auf dem Gebiete des Wollens der sinnliche, auf Lust ausgehende Stofftrieb und der auf die Erfüllung des Sittengesetzes gerichtete Formtrieb. Verwandtes findet sich, wie wir sahen, schon bei Schiller. Nur wenige Gelehrte fielen dieser von Kant als »hyperkritisch« bezeichneten Reinholdschen »Elementarphilosophie« zu. Da ihr Urheber selbst sich bald wieder von ihr abwandte, um erst zu Fichte, dann zu Jacobi, später zu Bardili, endlich zu einer »Philosophie ohne Beinamen« überzugehen, verlor er bald jeden Einfluß auf die philosophische Entwicklung; er starb 1823 fast vergessen als Professor in Kiel.
2. Salomon Maimon (1754-1800), ein polnisch-litauischer Jude, der sich, von glühendem Wissensdurste getrieben, durch eiserne Willenskraft aus den drückendsten Verhältnissen zu den Höhen deutschen Denkens emporgearbeitet hatte (vgl. seine Selbstbiographie von 1792), schrieb, als er 1790 Kants Kritik kennen gelernt hatte, sofort seine Bedenken in einem Versuch über die Transzendentalphilosophie nieder, der Kant das Geständnis entlockte, keiner von seinen Gegnern habe ihn in der Hauptfrage so wohl verstanden. Maimon bildet in dieser und späteren Schriften (darunter namentlich Versuch einer neuen Logik 1794) den Kritizismus einesteils nach der idealistischen (weshalb er auch von Fichte anerkannt wurde), anderseits nach der skeptischen Seite hin weiter. Nicht nur die Formen, sondern auch der Stoff unserer Vorstellungen stammt aus dem Bewußtsein. Ein ›Ding an sich‹ ist unmöglich, so imaginär wie die v(-a); es bezeichnet nur die irrationalen Grenzen unseres Erkennens. Ein sicheres Erkennen ist außerhalb der Logik und Mathematik nicht anzutreffen; selbst das Kausalitätsgesetz begründet keine unbedingte Notwendigkeit, wie er mit Hume erklärt. Auch mit dem Kantischen Moralprinzip war Maimon nicht einverstanden. Näher an Kant schloß sich dessen Schüler
3. J. Sigismund Beck (1761-1842, die letzten vier Jahrzehnte seines Lebens Professor in Rostock) an, der Überarbeiter des gewöhnlich unter Kants Namen gehenden Aufsatzes Über Philosophie überhaupt, dessen bedeutsamere Schriften sämtlich schon in die neunziger Jahre fallen. Sein Hauptwerk: Einzig- möglicher Standpunkt, aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß (1796) erblickt diesen »einzig-möglichen« Standpunkt, mit Reinhold und Maimon, in dem Ausgehen von der Einheit des Bewußtseins, dem »ursprünglichen Vorstellen« Erst aus ihm folgt der Gegenstand, von dem wir außerdem gar nichts wissen können. Das sei auch der wahre Standpunkt Kants, der nur aus Rücksicht auf den dogmatischen Standpunkt seiner Leser von »äußeren Gegenständen« gesprochen habe. Eine Affektion durch »Erscheinungen« dagegen will Beck, im Unterschiede von Berkeley, nicht leugnen. In der Ethik schließt er sich nahe an Kant an.
Wie Reinhold und Maimon, so wurde auch Beck bald durch das glänzendere Gestirn Fichtes verdunkelt. Sie gerieten alle drei früh in Vergessenheit.
Literatur: Über S. Maimon vgl. das umfangreiche Buch von F. Kuntze, Die Philosophie Salomon Maimons, Heidelberg 1912. Maimons, Versuch einer neuen Logik ist jetzt neu herausg. von B. C. Engel (Neudrucke der Kantgesellschaft III) Berlin 1912. - Über Beck vgl. Dilthey im Archiv f. Gesch. d. Philos. II, 592-650.