5. Einfluß Schleiermachers


Schleiermachers vielseitiger Geist hat auch auf anderen Gebieten wertvolle Anregungen gegeben, so die aus seinem Nachlaß herausgegebenen Vorlesungen über Psychologie, Pädagogik, Staatslehre und Ästhetik. Dazu kamen geistvolle Abhandlungen auf dem Gebiete der Altertumsforschung und seiner Übersetzung des Plato (vgl. I § 20). Die mehr der Literaturgeschichte angehörigen Vertrauten Briefe über Schlegels Lucinde (1800, zuerst anonym) nehmen sich eines verfehlten Machwerks an, wollen aber im Grunde nur den Satz von der ungeteilten Zusammengehörigkeit des geistigen und des sinnlichen Elements in der Liebe verteidigen. Aber seine Hauptleistung wird stets die religionsphilosophische bleiben. So hat er denn auch auf die moderne Theologie, als deren Begründer er gelten kann, weit mächtiger gewirkt als auf die Philosophie.

In der letzteren eine eigentliche Schule zu bilden, war seine vermittelnde und feine, jedoch der begrifflichen Schärfe ermangelnde Natur weder angetan noch gewillt. Dagegen hat er manche philosophische Denker lebendig angeregt. Dahin gehören u. a. die beiden Philosophiehistoriker Brandis (1790 - 1867, in Bonn) und H. Ritter (1791 - 1869, in Göttingen). Auch Franz Vorländer (1806 - 1867, in Marburg) ist ursprünglich von Schleiermacher ausgegangen, hat sich aber bald selbständig weiter entwickelt. Anfangs auch die Psychologie und Erkenntnislehre bearbeitend (Grundlinien einer organischen Wissenschaft der menschlichen Seele 1841, Wissenschaft der Erkenntnis 1847), hat er später vor allem das Gebiet der Moral-, Rechts-, Staats- und Geschichtsphilosophie gepflegt. Seine letzte Schrift Das Evangelium der Wahrheit und Freiheit, gegründet auf das Naturund Sittengesetz (anonym, Leipzig, E. H. Mayer 1865), legt in allgemein-verständlicher Sprache die »sittlich-natürliche« (hier zeigt sich noch die Nachwirkung Schleiermachers) Weltanschauung des Verfassers dar. Die Frage nach der Wahrheit kann ihm zufolge nur durch die Wissenschaft beantwortet werden, ist indes mit den Bedürfnissen des sittlich-reliösen Gemüts wohl vereinbar. Die sittliche Freiheit wird durch die freie Selbsttätigkeit der menschlichen Natur in Wollen und Erkennen, in allmählicher Entwicklung erreicht.


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