1. Leben und Schriften


Am nächsten steht der Philosophie der Romantik sachlich wie persönlich Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Geboren zu Breslau am 21. November 1768, aus einer alten Predigerfamilie, ward der reichbegabte Knabe 1783 - 85 in der Erziehungsanstalt der Herrnhuter zu Niesky, 1785 - 87 in dem Seminar der Brüdergemeinde zu Barby erzogen; ein Zug des dortigen Gefühlslebens ist ihm sein Leben lang geblieben. Aber frühe religiöse Zweifel drängten ihn aus der klösterlichen Abgeschiedenheit hinaus in ein freieres geistiges Leben. Von 1787 - 89 studiert er in Halle nicht bloß Theologie, sondern auch Plato und Aristoteles, Eberhard und Kant, und fand in den dann folgenden Hauslehrerund Hilfspredigerjahren bereits seinen eigenen Grundstandpunkt: Versöhnung kritischer Besonnenheit und freier Denkart mit innigem religiösem Gefühlsleben. Bald nach Kant lernt er Jacobis Schriften und, zunächst aus diesen, später auch selbständig, Spinoza kennen. 1796 als Prediger an die Charité zu Berlin berufen, tritt er mit dem dortigen romantischen Kreis, namentlich Friedrich Schlegel und Henriette Herz, in engste Verbindung, wenngleich er auch ihnen gegenüber jene Vereinigung von warmer Hingebung mit kritischem Sinne beibehielt. Später begeisterte er sich auch für Plato, den er zum größten Teil übersetzt und als den »göttlichen Mann« bezeichnet hat, der am meisten auf ihn gewirkt habe.

Aus diesen verschiedenen Bestandteilen, die er mit kritischer Aufnahmefähigkeit seinem eigenen Wesen anzupassen wußte, erwuchs ihm seine Weltanschauung, deren Kern schon in seinen beiden ersten bedeutenderen Schriften, den Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) und den zu Neujahr 1800 erschienenen Monologen, hervortritt. Weisen die Reden auf das Ewige und Unendliche hin, dessen Gefühl in uns Religion heißt, so predigen die Monologen einen hochgemuten Individualismus. Indem wir uns selbst darstellen, drücken wir die Menschheit in unserer Weise aus und wirken auch auf andere. In solchem weiten und tiefen Sinn faßte Schleiermacher auch sein Predigtamt auf, das er von 1802 - 04 in Stolpe und, nachdem er von 1804 - 07 als außerordentlicher Professor der Theologie und. Philosophie, dann auch Universitätsprediger in Halle gewirkt, von 1809 bis an seinen Tod an der Dreifaltigkeitskirche in Berlin mit reichem Erfolge ausgeübt hat. Durch die Franzosenherrschaft aus Halle vertrieben, zählte er in der preußischen Hauptstadt zu den Männern, welche die nationale Erhebung vorbereiteten, und seit der Gründung der Universität Berlin zu deren Theologie-Professoren. In der Reaktionsperiode wegen seines kirchlichen wie politischen Freisinns vielfach, u. a. auch von Hegel, angefeindet, schreibt er seine großen theologischen Werke, insbesondere: Der christliche Glaube (1821 - 22). Er starb mit der heiteren Ruhe eines platonischen Weisen am 12. Februar 1834: der größte Theologe, den der Protestantismus seit der Reformationszeit und vielleicht bisher überhaupt gehabt hat.

Wir haben nur seine philosophische Leistung zu betrachten. Das wichtigste von ihm selbst veröffentlichte Werk, abgesehen von jenen beiden, übrigens in einem etwas gekünstelt klingenden rhetorisch-poetischen Stile gehaltenen, Jugendschriften, sind die Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803); unter den nachgelassenen der Entwurf eines Systems der Sittenlehre (kritische Neuausgabe in Bd. II der Werke durch O. Braun, 1913), in anderer Form als Grundriß der philosophischen Ethik (hrsg. von Twesten 1841 mit guter Einleitung), außerdem die Dialektik (von Jonas 1839). Seinen Briefwechsel haben Jonas und Dilthey herausgegeben (4 Bände, 1858 - 63). Im folgenden stellen wir die philosophischen Hauptgedanken Schleiermachers nicht nach ihrer historischen Entwicklung, sondern vom systematischen Gesichtspunkte aus dar.


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