2. Metaphysik einschl. Naturphilosophie


Herbart hat sich öfter als einen Kantianer, »aber vom Jahre 1828«, dem Erscheinungsjahre seiner eigenen Metaphysik, bezeichnet. In der Tat hat er mit Kant nur die nüchtern-besonnene Opposition gegen die Spekulationen der philosophischen Romantik und das Ausgehen von der Erfahrung gemein. Aber »Erfahrung« bedeutet bei ihm nicht, wie bei Kant, wissenschaftliche Naturerkenntnis, sondern den sehr vieldeutigen Begriff des »Gegebenen« Ferner nimmt er zwar mit Kant an, dass »die Welt der Erfahrung nur eine Welt der Erscheinungen sei«, aber das Ding-an-sich ist ihm kein Grenzbegriff, sondern ein durch die Empfindung verbürgtes Reales, das nicht wegzuschaffen ist, und das er daher in seiner Metaphysik ergründen will. Metaphysik ist die Wissenschaft vom Realen, genauer, wie wir gleich sehen werden, von den Realen, weshalb man seine Lehre auch wohl als Realismus bezeichnet. Die Logik hat dieser Realphilosophie gegenüber nur eine formale Bedeutung; sie ist für die Metaphysik nur da, um ihr den unerschütterlichen Satz des Widerspruchs zu liefern: Was sich widerspricht, kann nicht wahr, nicht wirklich sein. Nun stecken aber die Grundbegriffe der Erfahrung voller Widersprüche. Die drei philosophisch wichtigsten sind: der Begriff eines Dinges mit mehreren Eigenschaften (Substanz), der der Veränderung überhaupt (damit auch derjenige der Kausalität), und der des Ich. Diese Widersprüche müssen nach Herbart durch die »Methode der Beziehungen« so lange bearbeitet, d.h. umgebildet werden, bis daraus eine widerspruchsfreie Realität hervorgeht; der nun einmal vorhandene Schein ist fortzuschaffen, bis wir auf das zu findende »Sein« stoßen, das ihm zugrunde liegt. Denn wie der Rauch auf das Feuer, so weist aller Schein auf ein Sein zurück. Letzteres ist die »absolute Position«, bei der es »sein Bewenden haben« soll. So führt der Begriff eines Dinges mit verschiedenen Eigenschaften, den wir beständig vor Augen haben, mit Notwendigkeit auf den Gedanken, dass viele einfache »wirkliche« Dinge oder Reale existieren müssen: ein gegen den Monismus der spekulativen Idealisten gerichteter und von Herbart als »qualitativer Atomismus« bezeichneter Standpunkt, der indessen mehr, als an Demokrits Atome, an Leibniz'- Wolffs Monadenlehre erinnert, oder auch als ein in den Plural übersetzter Eleatismus (vgl. Bd. I, § 6) bezeichnet werden könnte.

Nachdem die »Methodologie«, der erste Teil von Herbarts Metaphysik, uns auf die richtige Methode (»der Beziehungen«) geführt, schildert der zweite, die »Ontologie«, den Charakter des wahren Seienden. Das sogenannte »Ding« mit seinen verschiedenen Eigenschaften ist nur ein »Zusammen« von besonderen »Realen«, ein Stück Zucker z.B. ein System von weißen, von süßen, von rauhen usw. Realen. Jedes einzelne Reale ist infolge seiner Eigenschaften schlechthin einfach und unwandelbar; denn für das wahrhaft Seiende gibt es keinen Wechsel. Das einzige »wirkliche Geschehen« (die Veränderung) in der Welt besteht in der Selbsterhaltung (man fühlt sich an das »suum esse conservare« des Spinoza erinnert) der einzelnen Realen gegenüber den ihnen von anderen Realen drohenden Störungen, also in den wechselnden »Beziehungen« zwischen ihnen. Auf diese Selbsterhaltungen bezw. Widerstände und Störungen meint Herbart den gesamten »Schein«, d. i. die ganze Physik und Psychologie, also die Naturwissenschaft überhaupt zurückführen zu können; denn Erklären heißt nichts anderes als: die Widersprüche beseitigen. Die in die Erscheinung tretenden Eigenschaften und Veränderungen sind nur »zufällige Ansichten«; sie bleiben dem eigentlichen Wesen der Dinge fremd.

Die Metaphysik des nur »scheinbaren« Geschehens zerfällt in 1. die »Synechologie« oder Lehre von der Stetigkeit, vom Zusammenhängenden, welche die Grundlage zur Naturphilosophie bildet, und 2. die »Eidolologie« oder Lehre von den »Bildern«, d.h. Vorstellungen unseres Ich, die in die Psychologie ausmündet. Die Synechologie versucht zu zeigen, dass der Raum und die ihn erfüllende Materie ein »objektiver« Schein sein müsse, indem das Zusammensein der Realen für jede Intelligenz (nicht bloß die menschliche!) die räumliche Form des Außereinander ebenso annehmen muß, wie die zeitliche des Nacheinander. Die Raumbestimmungen sind bloß notwendige Auffassungsweisen des Zuschauers; real ist die Materie nur als »Summe einfacher Wesen« Durch das »Aneinander« der letzteren wird die »starre« (»diskrete«), durch den Übergang der Punkte ineinander die stetige Linie erzeugt und der intelligibele Raum der einfachen Realen, im Unterschiede von dem »phänomenalen« Raum unserer Wahrnehmung, hergestellt; analog verhält es sich mit der Zeit. Daran anschließend suchen die Umrisse der Naturphilosophie die einfachsten Naturerscheinungen, d.h. die chemischen, und weiter die der Wärme, der Elektrizität, der Schwere und des Lichts durch die »starken« und »schwachen«, »gleichen« (nahezu gleichen, nicht sehr ungleichen) und »ungleichen« (sehr ungleichen) Gegensätze der Elemente zueinander zu erklären: so dass er sich auf diesem Gebiete seinen »idealistischen« Gegnern gar nicht sehr entgegengesetzt zeigt, indem auch er die »sogenannte Physik« aus metaphysischen Prinzipien ableitet. Auch die sogenannten Lebenskräfte der Biologie sind ihm nichts Ursprüngliches, sondern stellen nur ein System von Selbsterhaltungen dar, durch welches ein Wesen (Organismus) konstituiert wird. Die Zweckmäßigkeit in der Natur vermag Philosophie nicht zu erklären; hier tritt der religiöse Glaube ein (s. unten S. 337). Ein Zusammenhang mit der modernen Naturwissenschaft wird nicht angestrebt.

 

Literatur: Vgl. Capesius, Die Metaphysik H. s in ihrer Entwicklungsgeschichte, 1878.


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