c) Fries
5. Bedeutender als sie alle ist J. Fr. Fries (1773 bis 1843, unter den Herrnhutern erzogen, Professor in Heidelberg und Jena, hier wegen seiner Beteiligung am Wartburgfest von 1817 längere Zeit suspendiert) mit seinem Versuch einer Vermittlung zwischen Jacobi und Kant in seiner Neuen Kritik der reinen Vernunft (1807), der 14 Jahre später seine Psychische Anthropologie folgte. Er steht indes der kritischen Philosophie ungleich näher als den Glaubensphilosophen und kann daher mit Recht als Halbkantianer bezeichnet werden. Wie Kant, erstrebt auch er Philosophie als »feststehende Wissenschaft«, gleich der Mathematik; wie Kant, vertritt er den Realismus der Wissenschaft gegenüber dem Rausche der Spekulation, ja er geht über ihn hinaus, indem er nicht nur Physik, Chemie und Astronomie, sondern auch die organische Welt allein dem Gesetze der mathematisch- mechanischen Erklärung unterwerfen will; wie Kant, hat auch er Ehrfurcht vor der Strenge des Sittengesetzes. Aber Kant habe das »transzendentale Vorurteil« besessen: »was die reine Vernunft behaupte, das müsse sie erst einem Beweise unterworfen haben« Nicht der Beweis aber ist für Fries der letzte Begründer der Wahrheit, sondern - und das nähert ihn Jacobi - das unmittelbare Gefühl. Freilich das dunkle Gefühl soll durch die Reflexion zum klaren Bewußtsein erhoben werden. Aber die »empirisch- psychologische« Natur der transzendentalen Erkenntnis habe der kritische Philosoph verkannt. Fries hält es demnach für seine Aufgabe, dem Kantischen Apriorismus einen festen psychologischen Unterbau zu geben. Das a priori ist eine Tatsache, die durch psychologische Analyse, innere Beobachtung, eine Art »Experimentalphysik des Inneren« gefunden werden muß. Das Fundament muß in einer philosophischen oder psychischen Anthropologie bestehen, die Fries namentlich in seinem zweiten Hauptwerke näher ausgeführt hat. Das Grundprinzip seiner Ethik (der »handelnden Vernunft«) ist der unserem Herzen entstammende Glaube an die Realität des Guten als eines ewig Wertvollen, mithin das Vermögen, die Werte der Dinge zu bestimmen, ihre höchste Aufgabe die Veredlung der Menschheit. Die Summe seiner Anschauung faßt er einmal in die Worte zusammen: »Wir wissen von den Erscheinungen (nämlich in der theoretischen Vernunft), wir glauben an das wahre Wesen der Dinge (in der ›handelnden‹ Vernunft), wir ahnden dieses in jenen (im religiösen und im ästhetischen Gefühl).« Vgl. die kleine Schrift Wissen, Glauben und Ahndung, Jena 1805, neu herausgegeben von L. Nelson, Göttingen 1905. Seine Philosophische Rechtslehre und Kritik aller positiven Gesetzgebung (1803) ist jetzt neugedruckt herausgegeben von der Fries-Gesellschaft (s. u.) Lpz. 1914. Fries' besonnene und gediegene Denkart hat ihm unter den Gegnern metaphysischer Spekulation eine ganze Reihe tüchtiger Anhänger erworben: so die freisinnigen Theologen de Wette, Henke und Karl Hase, ferner den berühmten Begründer der Pflanzenzellentheorie, Matthias Schleiden, und vor allem den früh verstorbenen Ernst Friedrich Apelt (1812-59), dessen Theorie der Induktion (1854), Epochen der Geschichte der Menschheit (1845-46) und Reformation der Sternkunde (1857) noch heute wissenschaftlichen Wert besitzen. Ja, in neuester Zeit hat sich sogar eine neue »Friessche Schule« (L. Nelson, G. Hessenberg u. a. in Göttingen) gebildet, die seit 1904 eigene Abhandlungen der Friesschen Schule in Neuer Folge herausgibt. Bis 1914 waren vier Bände zu je vier Heften erschienen. Der Gegenstand der transzendentalen Kritik ist diesen Friesianern Erkenntnis a priori, der Inhalt empirische Psychologie. Vgl. besonders L. Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Göttingen 1908. Auch Apelts Metaphysik (1857) ist 1911 von dem Theologen R. Otto neu herausgegeben worden, der Die Kant-Friessche Religionsphilosophie (Tüb. 1909) auf die Theologie anzuwenden sucht.