b) Transzendentaler Idealismus, Identitätssystem


3. Transzendentaler Idealismus (1800).

Nun sollte aber doch die Naturphilosophie nur ein Teil des Systems sein. So gibt der erst 25 jährige 1800 ein neues Buch, das System des transzendentalen Idealismus heraus, in dem er »alle Teile der Philosophie in einer Kontinuität und die gesamte Philosophie als fortgehende Geschichte des Selbstbewußtseins vortragen« will, das dabeisein übersichtlichstes und am meisten durchdachtes Werk geworden ist. In ihm geht er nicht von der Natur (dem Objekt), sondern noch einmal in der Weise Fichtes vom Ich (Subjekt) aus, das vermittelst seiner »intellektuellen Anschauung« die Entwicklung seiner eigenen Tätigkeit zu verfolgen vermag: von der Empfindung über die Anschauung, die Reflexion und das Urteil bis zum Wollen. Erst durch das letztere produzieren wir bewußt, wird uns die Welt objektiv. In den theoretischen Teil wird die Naturphilosophie eingereiht, indem die »Potenzen« der Natur zugleich als Momente in der Geschichte des Selbstbewußtseins dargestellt werden. Der praktische Teil ist wesentlich religiös gefärbte Geschichtsphilosophie; die Geschichte ist die Offenbarung des Absoluten, nämlich der Harmonie von Subjekt-Objekt, Bewußtem-Unbewußtem, ein System der Vorsehung, die anfangs nur als »Schicksal« und »Natur« erscheint. Die wahre Harmonie des theoretischen und praktischen Geistes jedoch - das hat Schelling aus Kants Kritik der Urteilskraft gelernt - vollzieht sich erst in der Kunst.

Philosophie und Poesie ergreifen das Letzte und Höchste, jene im Denken, diese in der künstlerischen Anschauung. Die Philosophie der Kunst ist deshalb der Schlußstein aller Philosophie; denn sie öffnet uns das »Allerheiligste, wo in einiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß«

4. Identitätssystem (1801-03).

Das System der Identität oder die Philosophie des Absoluten war auf den beiden vorigen Stufen von Schellings Philosophieren schon im Keime vorhanden, tritt aber erst in der Darstellung meines Systems (1801) als selbständiges Prinzip hervor. Über Bewußtsein und Natur, Subjekt und Objekt thront nämlich das Absolute als »totale Indifferenz von Subjekt- Objekt«, oder »absolute Identität des Idealen und Realen« Fichtes Lehre ist ihm jetzt nur Reflexionsphilosophie und subjektiver Idealismus, während durch Schellings neuen, objektiven Idealismus »aller Dualismus auf immer vernichtet und alles absolut Eines werden« soll. Er gerät so in die Nähe Spinozas, dessen »geometrische« Methode mit ihren Lehrsätzen, Erläuterungen, Beweisen und Zusätzen denn auch sein neues Buch kopiert. Das Absolute ist mit der ewig einen, sich selbst gleichen und sich selbst einleuchtenden Vernunft identisch (A = A), die Welt nur der »Grund« seiner Selbstoffenbarung, die Bedingung, unter welcher die totale Indifferenz sich in Tätigkeit setzt, in die »quantitative Differenz« übergeht.

Denn, indem sich nunmehr das Absolute in einer endlosen Stufenfolge von »Potenzen« ausdrückt oder entwickelt (A = A1, A2, A3 usw.), hat bald der subjektive Pol (der Geist), bald der objektive (die Natur) das Übergewicht. Wir folgen der geistvollen, jedoch zugleich sehr phantastischen Ableitung der einzelnen Potenzen der Natur (A1 = Schwerkraft, A2 = Licht, A3 = Organismus) nicht weiter. Zur Darstellung der idealen Reihe oder der geistigen Potenzen (der Wahrheit, Güte und Schönheit) kommt das Werk nicht, sondern es bricht schon bei den Anfängen des »Organismus« ab.

Der Dialog Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge (1802) führt dieselben Gedankengänge in mehr poetischer Weise aus. Das Absolute wird hier auch schon mit dem Namen Gottes bezeichnet; als Urgegensatz erscheint der des Unendlichen und Endlichen. Die vier einseitigen Auffassungen des Absoluten sind: Materialismus, Intellektualismus, Realismus, Idealismus, denen Bruno-Schelling als die wahre seinen »Ideal-Realismus« gegenüberstellt. In demselben Jahre veröffentlichte er noch die in den gleichen Zusammenhang gehörenden Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie.

Die der nämlichen Periode Angehörigen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) sind eine der anziehendsten und klarsten Schriften Schellings und eignen sich deshalb, wie bereits bemerkt worden ist, am besten zur Einführung des Anfängers in Schellings Eigenart. Auch hier wird das Wissen vom Absoluten als das Urwissen hingestellt, mit dem alle Philosophie beginnen muß, und das schließlich zur Identität mit sich selbst und so zu einem wahrhaft seligen Leben führt. Der Weg dazu ist die intellektuelle Anschauung; sie erfordert »Poesie«, d. i. produktives Vermögen. Nicht empirische, analytische oder formale, sondern spekulative Philosophie ist Schellings Losung. Alles Philosophieren außer demjenigen Spinozas und Schellings ist subjektiv- dualistisch. Keine kritische Scheidung der verschiedenen Bewußtseinsgebiete. In der »obersten« Wissenschaft ist »alles eins«, die Natur = Gott, Wissenschaft = Kunst, Religion = Poesie: so verkündet uns die romantische Weltformel. Dann werden die einzelnen Studienfächer behandelt. Die Theologie stellt den absoluten Indifferenzpunkt objektiv dar, Naturwissenschaft und Medizin repräsentieren die reelle, Geschichte und Rechtswissenschaft die ideelle Seite der Philosophie. Aufgabe der Wissenschaft ist nicht die trockene Empirie, sondern die von »höheren« Gesichtspunkten ausgehende »Konstruktion« der Religion, der Geschichte, des Staates, ja sogar der Materie, des Lichtes und der Schwere. Erste und notwendige Absicht der Philosophie bleibt: die Geburt aller Dinge aus Gott oder dem Absoluten zu begreifen.


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