b) Geistesverwandte Schellings
7. Geistesverwandte Schellings.
a) Romantiker. Eine eigentliche »Schule« konnte sich bei Schelling, dessen Philosophie in beständiger Umwandlung begriffen war, nicht bilden. Nur wenige, wie der Würzburger Professor Klein, schlossen sich eng an ihn, d.h. seinen früheren Standpunkt an. Desto zahlreicher sind die ihm verwandten und von ihm angeregten Naturen. In engerem oder weiterem Zusammenhang mit ihm, dem eigentlichen Philosophen der Romantik, steht jene gesamte Geistesrichtung, die auf das ästhetisch-literarische wie auf das religiöse und politische Leben der Zeit über Deutschland hinaus von so mächtigem Einfluß gewesen ist: die sogenannte »Romantische Schule« (s. § 60). Aber, obgleich die meisten Romantiker sich gelegentlich auch philosophisch geäußert haben, so haben sie doch auf die philosophische Entwicklung verhältnismäßig wenig eingewirkt. Selbst der theoretisch bedeutendste unter ihnen, der reichbegabte, aber im Grunde unschöpferische Friedrich Schlegel nicht, dem wir bereits (S. 286) unter den Anhängern Fichtes begegneten. Wie Schelling, sah auch er von seinem Standpunkte der Genialität vornehm auf die »Reflexionsphilosophie des Verstandes« herab. Aber er ging bald noch weiter, verwarf nicht bloß das »geistlose« Gesetz, sondern auch die »konventionelle« Moral, um dann plötzlich von dem Reflexionszynismus seiner bekannten Lucinde (1799) umzukippen in eine religiöse Mystik, die ihn einige Jahre später (1808) in die Arme der alleinseligmachenden Kirche führte. Er hat das Verdienst, das Wesen des romantischen Prinzips im Gegensatz zum klassischen als das unendliche Spiel der Phantasie mit ihren eigenen Produkten oder die »Ironie« bestimmt und als ihr Zentrum die individuelle Persönlichkeit dargelegt zu haben. Später verlangte er dagegen eine strenge, der Hegelschen (s. u.) ähnliche, Methode für die Philosophie, die der »Triplizität«, welche durch die Widersprüche hindurch zu der höheren Einheit vordringt. Seine Philosophie des Lebens (1828) und Philosophie der Geschichte (1829) tragen mystisch-religiöse Färbung.*) Noch weniger philosophischen Wert haben die allegorischen Phantasiebilder des neuerdings viel behandelten und edierten Novalis (Hardenberg). Bedeutender ist Solger (1780-1819), wenigstens als Ästhetiker, der in seinem Erwin den Schlegelschen Ironiebegriff vertiefte und erweiterte, indem er, den künstlerischen mit dem religiösen Gesichtspunkt verbindend, die »Tragödie« des Schönen auf der Erde, seinen Glanz und seine Nichtigkeit zugleich beschrieb.
b) Naturphilosophen. Am meisten wirkte Schellings Naturphilosophie auf die Zeitgenossen ein. Durch sie sind Eschenmayer, Steffens, Schubert, Oken u. a. angeregt worden. Eschenmayer forderte schon 1803 als Konsequenz von Schellings Identitätslehre den Übergang von der Philosophie zur »Nichtphilosophie«, dem Glauben; er endete in Geister- und Teufelsglauben. Der Norweger Hendrik Steffens (1773 - 1845), Geologe von Fach, aber an Lessing, Goethe, Spinoza gebildet. Sucht Schellings Ideen in seinen Beiträgen zur inneren Naturgeschichte der Erde (1801) eine fachwissenschaftliche Unterlage zu geben. Seine leitende Idee ist eine großartige Entwicklungsgeschichte der Natur vom Sonnensystem bis zu ihrem Hauptziel, der Entwicklung der Individualität im Menschen, dem dann ein physiologischer und ein psychologischer Teil gewidmet wird. Später neigte er Schleiermacher zu, noch später kehrte er zum Luthertum zurück. Lorenz Oken (1779 - 1851, in Jena und Zürich) dagegen bildet den Pantheismus Schellings naturalistisch weiter; die ganze Philosophie geht ihm in Naturphilosophie auf (Lehrbuch derselben 1809, Zeitschrift Isis 1817 ff.). Gott und Universum sind identisch. Er lehrte bereits - ein Vorläufer Häckels - eine Entwicklung aller Organismen durch allmähliche Umbildung aus einem organischen Urschleim. Der Mensch als Säugetier umfaßt in sich alle die Sinne, die sich auf den niederen Stufen isoliert (das Gefühl im Wurm, der Gesichtssinn im Insekt, der Tastsinn in der Schnecke, das Gehör im Vogel, der Geruch im Fisch, der Geschmack im Amphibium) ausgebildet haben. G. H. Schubert (1780 - 1860) wiederum schrieb eine Anzahl verbreiteter naturwissenschaftlicher Lehrbücher in religiös-erbaulichem Sinne; daneben beschäftigte er sich gern mit der »Nachtseite« der Natur, Somnambulismus, Träumen, Seelenstörungen u. ä.
c) Theosophen. Schellings Theosophie fand einen Geistesverwandten, der ihn selbst durch seinen Hinweis auf Jakob Böhme stark beeinflußt hat, in dem Bergwerksdirektor und späteren Professor der spekulativen Dogmatik zu München, Franz (von) Baader (1765 bis 1841), der Böhmesche Mystik mit einzelnen Gedanken Kants und Fichtes verbindet, im Grunde aber doch katholischer Philosoph bleibt, dem das selbständige Auftreten der Philosophie seit Baco und Descartes als Verirrung, das kirchliche Dogma dagegen als unüberschreitbare Schranke gilt, wenngleich er dasselbe oft im mystischen Sinne umdeutet und gegen die »römische Diktatur« polemisiert. Seine zum größten Teil nur aus kurzen Aufsätzen bestehenden, aphoristisch-orakelhaft gehaltenen Schriften sind in nicht weniger als 16 Bänden, 1851-60, von seinem treuen Schüler Franz Hoffmann und anderen herausgegeben worden. Hoffmanns eigenes Hauptwerk Spekulative Entwicklung der ewigen Selbsterzeugung Gottes (1835) kennzeichnet schon in seinem Titel die Tendenzen dieser Richtung.
d) Politiker. Wie die Romantik sich in religiöser Beziehung mit der Reaktion verknüpft zeigt, so auch in politischer. Doch gehören diese »Doktrinäre des Rückschritts«, wie L. v. Haller (• 1854), Adam Müller (• 1829) und der einflußreiche Rechtsphilosoph J. Stahl (• 1861) - sämtlich Konvertiten - mehr der Geschichte der Politik als der Philosophie an.
Dagegen sei bei dieser Gelegenheit noch der merkwürdige Bardili (1761 - 1808) erwähnt, der, Kants »Trennung« des Denkens vom Sein bekämpfend, ein System des »rationalen Realismus« aufstellte, welches in seinen aufsteigenden Seinsformen, von denen jedesmal die niedere in der höheren enthalten sein soll, gleichzeitig an Aristoteles und Schelling erinnert. Der Titel seines Hauptwerks lautet: Grundriß der ersten Logik, gereinigt von den Irrtümern bisheriger Logiken überhaupt, der Kantschen insbesondere; keine Kritik, sondern eine medicina mentis, brauchbar hauptsächlich für Deutschlands kritische Philosophen. Der Berliner Akademie der Wissenschaften, den Herren Herder, Schlosser, Eberhard, jedem Retter des erkrankten Schulverstands in Deutschland, mithin auch vorzüglich dem Herrn Friedrich Nikolai, widmet dies Denkmal die deutsche Vaterlandsliebe. Stuttgart 1800.
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*) F. Lederbogen (Friedrich Schlegels Geschichtsphilosophie, Lpz. 1908) unterscheidet drei aufeinander folgende Entwicklungsstufen derselben: eine ästhetische, ethische und religiöse.