Urteil
Urteil. Denken (s. d.) ist wesentlich Urteilen, und dieses ist die Verknüpfung von Vorstellungsinhalten zur Einheit des (logischen) Bewußtseins. Ein Urteil ist (rein verstandesmäßig) nichts anderes als „die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen“. „Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben, wenngleich das Urteil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen wül, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung notwendig zueinander, sondern sie gehören vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zueinander, d. i. nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, sofern daraus Erkenntnis werden kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatze der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind. Dadurch allein wird aus diesem Verhältnisse ein Urteil, d. i. ein Verhältnis, das objektiv gültig ist und sich von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjektive Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Assoziation, hinreichend unterscheidet. Nach den letzteren würde ich nur sagen können: Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer; welches soviel sagen will, als: diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen.“ Die logische Form der Urteile ist die „objektive Einheit der Apperzeption der darin enthaltenen Begriffe“, KrV tr. Anal. § 19 (I 157 f.—Rc 187 f.). Begriffe (s. d.) sind Prädikate möglicher Urteile. Dieselbe Einheitsfunktion, die im Urteile stattfindet, liegt auch den Kategorien (s. d.) zugrunde. „Diejenige Handlung des Verstandes aber, durch die das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen (sie mögen Anschauungen oder Begriffe sein) unter eine Apperzeption überhaupt gebracht wird, ist die logische Funktion der Urteile“, ibid. § 20 (I 159—Rc 191).
Objektiv (s. d.) sind Urteile, wenn sie in einem „Bewußtsein überhaupt“ (s. d.), d. h. darin notwendig vereinigt werden. „Die logischen Momente aller Urteile sind soviel mögliche Arten, Vorstellungen in einem Bewußtsein zu vereinigen. Dienen aber ebendieselben als Begriffe, so sind sie Begriffe von der notwendigen Vereinigung derselben in einem Bewußtsein, mithin Prinzipien objektiv gültiger Urteile.“ „Diese Vereinigung in einem Bewußtsein ist entweder analytisch, durch die Identität, oder synthetisch, durch die Zusammensetzung oder Hinzukunft verschiedener Vorstellungen zueinander“, Prol. § 22 (III 63). Von den „Wahrnehmungsurteilen“ sind die „Erfahrungsurteile“ (s. d.), die allein objektive Geltung haben, unterschieden. Synthetische Urteile a priori sind die Grundlagen reiner Wissenschaft.
„Etwas als ein Merkmal mit einem Dinge vergleichen heißt urteilen. Das Ding selber ist das Subjekt, das Merkmal das Prädikat. Die Vergleichung wird durch das Verbindungszeichen ist oder sind ausgedrückt, welches, wenn es schlechthin gebraucht wird, das Prädikat als ein Merkmal des Subjekts bezeichnet, ist es aber mit dem Zeichen der Verneinung behaftet, das Prädikat als ein dem Subjekt entgegengesetztes Merkmal zu erkennen gibt“, F. Spitzf. § 1 (V 1, 56). Die obere Erkenntniskraft (s. Erkenntnisvermögen) beruht nur auf dem „Vermögen, zu urteilen“, ibid. § 6 (V 1, 68 f.); vgl. Unterscheiden.
Von den Begriffen kann der Verstand (s. d.) keinen anderen Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt. „Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgendeine andere Vorstellung von demselben (sie sei Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen.“ Das Urteil ist also „die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben“. „In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird.“ „Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, da nämlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht und viele mögliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen werden.“ Die Begriffe selbst sind „Prädikate möglicher Urteile“, Prädikate „zu einem möglichen Urteile“, KrV tr. Anal. 1. B. 1. H. 1. Abs. (I 120 f.—Rc 139 f.). Die „logische Funktion des Verstandes in Urteilen“ (die „Funktion des Denkens“, jede Funktion der Einheit) läßt sich, wenn man von allem Inhalt des Urteils abstrahiert und nur auf die „bloße Verstandesform“ darin achtet, unter „vier Titel“ bringen, deren jeder „drei Momente“ unter sich enthält. Das ergibt folgende „Tafel“ von Urteilen: „1. Quantität der Urteile. Allgemeine. Besondere. Einzelne. 2. Qualität. Bejahende. Verneinende. Unendliche. 3. Relation. Kategorische. Hypothetische. Disjunktive. 4. Modalität. Problematische. Assertorische. Apodiktische“, ibid. § 9 (I 122—Rc 141 f.). „Ein Urteil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen, oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, sofern sie einen Begriff ausmachen.“ „In den gegebenen, zur Einheit des Bewußtseins im Urteile verbundenen Erkenntnissen besteht die Materie; — in der Bestimmung der Art und Weise, wie die verschiedenen Vorstellungen als solche zu einem Bewußtsein gehören, die Form des Urteiles“, Log. §§ 17 f. (IV 109 f.). Die Logik hat bloß den Unterschied der Urteile betreffs ihrer bloßen Form zu untersuchen, ibid. § 19 (IV 110). Diese Unterschiede der Urteile lassen sich auf die vier Hauptmomente der Quantität (s. d.), Qualität (s. d.), Relation (s. d.) und Modalität (s. d.) zurückführen, woraus sich durch Trichotomie die (oben angeführte) Einteilung in 12 Klassen ergibt, ibid. §§ 20 f. (IV 110 f.). Vgl. Kategorie, Erfahrungsurteil.
Urteile sind nichts anderes als „die Einheit des Bewußtseins im Verhältnis der Begriffe überhaupt“, Fortschr. d. Metaph. 1. Abt. V. Begriffen a priori (V 3, 97). „Wenn irgend etwas x, welches durch eine Vorstellung a erkannt wird, mit einem anderen Begriffe (b) verglichen wird, entweder daß es diesen einschließe oder ausschließe, so ist dieses Verhältnis ein Urteil. Dieses Urteil ist also entweder die Erkenntnis der Einstimmung oder des Widerstreits“, N 3920. „Ein bejahend Urteil stellt vor, daß ein Prädikat mit dem Subjekte identisch (sein Merkmal) ist“, N 3710. „Urteil ist ein Erkenntnis der Einheit gegebener Begriffe: daß nämlich B mit verschiedenen anderen Dingen x, y, z unter denselben Begriff A gehöre, oder auch: daß das Mannigfaltige, was unter B ist, auch unter A gehöre, imgleichen daß die Begriffe A und B durch einen Begriff B vorgestellt werden können“, N 3042. Urteil ist „das Verhältnis der Unterordnung der Begriffe untereinander“, „die Vorstellung der Einheit im Verhältnisse der Erkenntnisse“, N 3044; „die Vorstellung der Einheit des Verhältnisses des Erkenntnisgrundes zum möglichen Erkenntnisse eines Objekts“, N 3046; „die mittelbare Erkenntnis einer Vorstellung durch andere Vorstellungen“, N 3047; „das Bewußtsein, daß ein Begriff unter einem anderen enthalten ist“, N 3053. Vgl. Kopula, Prädikat, Hypothetisch, Problematisch, Apodiktisch, Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit, Verstand, Urteilskraft, Beurteilung, A priori, Annahme, Grundsätze, Erkenntnis, Wahrheit, Irrtum.