Denken
Denken. Das Denken ist eine aktive Funktion des Verstandes. Es ist Verknüpfung zur Einheit in Urteilen und Begriffen, auch in Schlüssen, begriffliche Bestimmung eines Gegebenen. Ohne Anschauung (s. d.) aus sich allein kann das Denken keine Erkenntnis materialer Art erzeugen, ist aber die Quelle aller Erkenntnis (s. d.). „Reines“ Denken ist der Inbegriff der apriorischen Denkbestimmungen, welche aber nur das Formale der Objekte betreffen (s. Kategorie). Denken reicht weiter als Erkennen, kann aber nur in Bezug auf Erscheinungen, Gegenstände möglicher Erfahrung Erkenntnis verschaffen. Das reine Denken liegt der Erfahrung (s. d.) selbst schon zugrunde, erzeugt Erfahrung der Form nach, während jede Sonder-erkenntnis nur an der Hand des Erfahrungsmaterials, in fortschreitender denkender Bestimmung von Anschauungsdaten erfolgt. Anschauung ohne Gedanken ist „leer“. Gedanken ohne Anschauungen sind „blind“ (vgl. Begriff). Mit den Gesetzen des „Denkens überhaupt“ hat es die (formale) Logik (s. d.) zu tun; die „transzendentale Logik“ hat das „reine“ Denken zum Objekt, welches sich in den Kategorien und Grundsätzen entfaltet. Das reine Denken enthält die grundlegenden Voraussetzungen der Erfahrung und ihrer Objekte, es stellt an der Hand des Anschauungsmaterials (vermittels des „Schematismus“, s. d.) allgemeingültige Zusammenhänge her, deren formale Struktur es in synthetischen Urteilen a priori (s. Urteile) formuliert. Alles Erfahrbare muß als solches (nicht als „Ding an sich“) der Gesetzgebung des reinen Denkens, durch die erst „Natur“ (s. d.) möglich ist, gemäß sein. „Das Denken (die Vernünftigkeit) ist ein Vermögen des Subjekts, wodurch es das, was seiner Beschaffenheit wegen nicht von seinen Sinnen erfaßt werden kann, sich vorzustellen vermag“, Mund. sens. § 3 (V 2, 96). Vgl. Intelligibel, Verstand.
Das Denken ist eine „Funktion“ des Verstandes (s. d.), beruht auf der „Spontaneität“ desselben, die sich in der Erzeugung von Begriffen und Urteilen äußert. Aber aus sich allein ist das Denken noch nicht Erkenntnis, sondern nur in Verbindung mit der Anschauung, durch die ihm ein (Material zu einem) Gegenstand „gegeben“ wird, und auf die schließlich alles Denken als Mittel abzielt, auf die es sich bezieht, KrV tr. Ästh. § 1 (I 75—Rc 92 f.). Das Denken ist „die Handlung, gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen“, ibid. tr. Anal. 2. B. 3. H. (I 279—Rc 342); es „ist zwar an sich kein Produkt der Sinne und so fern durch sie auch nicht eingeschränkt, aber darum nicht sofort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne Beitritt der Sinnlichkeit, weil es alsdann ohne Objekt ist“, ibid. V. d. Amphibolie Anmerk. (I 310—Rc 376). Durch bloßes Denken läßt sich keine Existenz (s. d.) von Dingen feststellen (gegen den Ontologismus). Dinge an sich kann ich nicht erkennen, aber ich kann ihr Verhalten nach Analogie (s. d.) des Verhältnisses von Erscheinungen zueinander denken und so das Übersinnliche symbolisch mir nahebringen. Vgl. Sinnlichkeit, Verstand, Noumenon, Objekt.
Denken heißt „Vorstellungen in einem Bewußtsein vereinigen“. „Diese Vereinigung entsteht entweder bloß relativ aufs Subjekt und ist zufällig und subjektiv, oder sie findet schlechthin statt und ist notwendig oder objektiv. Die Vereinigung der Vorstellungen in einem Bewußtsein ist das Urteil. Also ist Denken soviel als Urteilen oder Vorstellungen auf Urteile überhaupt beziehen“, Prol. § 22 (III 62 f.); vs. Urteil. „Etwas sich durch Begriffe d. i. im allgemeinen vorstellen, heißt denken, und das Vermögen zu denken: der Verstand“, Fortschr. d. Metaph. Beilage I 2. Abs. (V 3, 156). Das Denken ist „ein Festhalten eines Begriffes (der Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen)“, Str. d. Fak. 3. Abs. Beschluß (V 4, 162); ein „Vorstellen durch Merkmale“ Log. Einl. VIII (IV 64); es ist „die Erkenntnis durch Begriffe“ (cognitio discursiva), ibid. § 1 (IV 98).
Das „empirische“ Denken ist „Auflösen und Zusammensetzen gegebener Sinnenvorstellungen“, An Sömmering 10. Aug. 1795.
Das „reine“ Denken, dessen besondere Handlungen und Regeln die Transzendentalphilosophie vorträgt, ist jenes, „wodurch Gegenstände völlig a priori erkannt werden“, GMS Vorr. (III 7). „Das reine Denken (a priori), aber in Beziehung auf Erfahrungen, d. i. auf Objekte der Sinne, enthält Grundsätze, welche den Ursprung aller Erfahrungen d. i. desjenigen, was zu den Erfahrungen durchgängig bestimmt ist, enthält“, Lose Bl. 12.
Mit dem „Denken überhaupt“, seiner Form, seinen Handlungen und Regeln beschäftigt sich die Logik, GMS Vorr. (III 7); vgl. KrV Vorr. z. 2. A. (I 32—Rc 27).
Ein Gedanke a priori ist nicht Erfahrung, z. B. der Gedanke a priori eines Quadrates. Erfahrung ist der Gedanke dieses Quadrates, „wenn ich eine schon gezeichnete Figur in der Wahrnehmung auffasse und die Zusammenfassung des Mannigfaltigen derselben vermittelst der Einbildungskralt unter dem Begriffe eines Quadrates denke. In der Erfahrung und durch dieselbe werde ich vermittelst der Sinne belehrt; allein wenn ich ein Objekt der Sinne mir bloß willkürlich denke, so werde ich von demselben nicht belehrt und hänge bei meiner Vorstellung in nichts vom Objekte ab, sondern bin gänzlich Urheber derselben.“ „Aber auch das Bewußtsein, einen solchen Gedanken zu haben, ist keine Erfahrung; eben darum, weil der Gedanke keine Erfahrung, Bewußtsein aber an sich nichts Empirisches ist. Gleichwohl aber bringt dieser Gedanke einen Gegenstand der Erfahrung hervor oder eine Bestimmung des Gemüts, die beobachtet werden kann, sofern es nämlich durch das Denkungsvermögen alfiziert wird; ich kann daher sagen: Ich habe erfahren, was dazu gehört, um eine Figur von vier gleichen Seiten und rechten Winkeln so in Gedanken zu fassen, daß ich davon die Eigenschaften demonstrieren kann. Dies ist das empirische Bewußtsein der Bestimmung meines Zustandes in der Zeit durch das Denken; das Denken selbst, ob es gleich auch in der Zeit geschieht, nimmt auf die Zeit gar nicht Rücksicht, wenn die Eigenschalten einer Figur gedacht werden. Aber Erfahrung ist, ohne Zeitbestimmung damit zu verbinden, unmöglich, weil ich dabei passiv bin und mich nach der formalen Bedingung des inneren Sinnes alfiziert fühle“, Acht Kleine Aufsätze 1. Ist es eine Erfahrung, daß wir denken? (VIII 163). Vgl. Apperzeption, Orientieren, Erfahrungsurteil, Ontologisches Argument, Ding an sich.