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Sinnlichkeit

Sinnlichkeit. Sinnlichkeit bezeichnet einmal die Empfänglichkeit, vermöge deren uns Gegenstände in den Sinnen durch Empfindung gegeben sind. Die Dinge „affizieren“ unsere Sinnlichkeit (vgl. Ding an sich). Sie steht also im Gegensatz zur Spontaneität (s. d.) des Gemüts, zur Formung des sinnlichen Materials durch den Verstand (s. d.). Aber auch die Sinnlichkeit hat, als Vermögen der Anschauung (s. d.), ihre apriorischen Formen. Sie ist einerseits das bloß Subjektive in der Erkenntnis, andererseits ist sie aber Grenze und notwendige Bedingung unseres auf Erfahrung (s. d.) eingeschränkten Erkennens (vgl. Realität, Empfindung). — Sinnlichkeit bedeutet ferner im Gegensatz zur Autonomie der praktischen Vernunft die Gesamtheit der „sinnlichen“ Triebfedern, die Neigungen, das Begehrungsvermögen. — Das der Sinnlichkeit (in theoretischer und praktischer Bedeutung) Transzendente ist das „Übersinnliche“ (s. d.).

Sinnlichkeit (sensualitas) ist „die Empfänglichkeit des Subjekts, die es ermöglicht, daß sein Vorstellungszustand von der Gegenwart eines Gegenstandes in bestimmter Weise affiziert wird ...“ Der Gegenstand der Sinnlichkeit ist das Sinnliche („sensibile“). „Die Erkenntnis, insofern sie den Gesetzen der Sinnlichkeit unterworfen ist, ist die sinnliche (sensitiva).“ Der Gegenstand der Sinnlichkeit „hieß in den Schulen der Alten das Erscheinende (Phänomenon)“, Mund. sens. § 3 (V 2, 96). „Da sonach alles, was an der Erkenntnis sinnlich ist, von der besonderen Anlage des Subjekts abhängt, inwiefern es dieser oder jener Veränderung durch die Gegenwart von Gegenständen fähig ist, welche nach der Verschiedenheit der Subjekte bei verschiedenen verschieden sein kann; alle Erkenntnis aber, welche von solcher subjektiven Bedingung losgelöst ist, nur den Gegenstand betrifft, so ist klar: daß die sinnlichen Vorstellungen die Dinge geben, wie sie erscheinen, die Verstandesbegriffe aber so, wie sie sind“, ibid. § 4 (V 2, 96 f.). Zur sinnlichen Erkenntnis gehört „sowohl ein Stoff, der in der Empfindung besteht und demzufolge die Erkenntnisse sinnliche (sensuales) heißen, als eine Form, der gemäß, wenn sie sich auch leer von aller Empfindung finden sollte, die Vorstellungen den Sinnen angehörige (sensitivae) heißen“, ibid. § 5 (V 2, 97). Die sinnliche Erkenntnis ist nicht eine „verworrene“ Erkenntnis, wie die Leibnizianer meinen. „Die sinnlichen Begriffe können sehr deutlich und die des Verstandes sehr verworren sein“, ibid. § 7 (V 2, 99 f.). „Wenn ... sinnliche Erkenntnisse gegeben sind, so werden durch den logischen Gebrauch des Verstandes sinnliche Erkenntnisse anderen sinnlichen als den gemeinsamen Begriffen, und Erscheinungen den allgemeineren Gesetzen der Erscheinungen untergeordnet. Von der höchsten Wichtigkeit aber ist es hier, sich zu merken, daß die Erkenntnisse dabei immer als sinnliche gelten müssen, wie stark auch immer bei ihnen der logische Gebrauch des Verstandes gewesen ist. Denn sie heißen sinnlich wegen ihres Ursprungs, nicht wegen ihrer Vergleichung in bezug auf Identität oder Gegensatz. Deshalb sind selbst die allgemeinsten Erfahrungsgesetze nichtsdestoweniger sinnlich, und die Prinzipien der sinnlichen Form (die bestimmten Beziehungen im Raume), welche die Geometrie enthält, überschreiten, soviel auch der Verstand dabei zu tun hat, indem er aus dem sinnlich Gegebenen (durch die reine Anschauung) nach logischen Regeln Schlüsse zieht, doch nicht die Sphäre des Sinnlichen“, ibid. § 5 (V 2, 98).

„Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit“ Vermittelst ihrer werden uns Gegenstände „gegeben“, und sie allein liefert uns Anschauungen (s. d.). Alles Denken muß sich schließlich auf Anschauungen, also auf Sinnlichkeit beziehen, KrV tr. Ästh. § 1 (I 75—Rc 92). Die Sinnlichkeit ist nicht die „verworrene Vorstellung“ der Dinge an sich, nur daß sie undeutlich das enthielte, was der Verstand an ihnen deutlich erkennt. Eine noch so deutliche sinnliche Erkenntnis bleibt von der (unmöglichen) Erkenntnis der Dinge an sich „himmelweit unterschieden“. Der Unterschied zwischen dem Sinnlichen und Intellektuellen ist nicht (wie die Leibniz-Wolfsche Philosophie meint) ein bloß „logischer“, sondern „transzendental“, da er nicht bloß die Deutlichkeit oder Undeutlichkeit der Erkenntnisart betrifft, sondern den Ursprung und Inhalt derselben, ibid. § 8 (I 96 f.—Rc 114 f.). Die Sinnlichkeit ist „die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, sofern es auf irgendeine Weise affiziert wird“. Unsere Anschauung kann niemals anders als sinnlich sein, d. h. sie enthält nur die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, ibid. tr. Log. Einl. I (I 107—Rc 126). Den Kategorien kommt ihre Beziehung aufs Objekt durch die „Schemate“, d. h. von der Sinnlichkeit, „die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert“, auf Bedingungen der Sinnlichkeit einschränkt, ibid. tr. Anal. 2. B. 1. H. (I 189 f.— Rc 244 f.). Wir erkennen die Dinge nur in den „Formen“ unserer Sinnlichkeit, Raum und Zeit (s. Anschauungsformen), in Beziehung auf die (durch den Verstand bearbeiteten) Daten des äußeren und inneren Sinnes (s. d.).

„Die bloß subjektive Beschaffenheit des vorstellenden Subjekts, sofern das Mannie faltige in ihm (für die Zusammensetzung und die synthetische Einheit desselben) auf besondere Art gegeben ist, heißt Sinnlichkeit, und diese Art der Anschauung a priori gegeben die sinnliche Form der Anschauung.“ Vielleicht ist es zu vermeiden, gleich anfangs Sinnlichkeit durch „Rezeptivität, d. i. die Art der Vorstellungen, wie sie im Subjekte sind, sofern es von Gegenständen affiziert wird“, zu definieren; es ist dann als das zu bestimmen, „was in einem Erkenntnisse bloß die Beziehung der Vorstellung aufs Subjekt ausmacht“. „Daß aber dieses Subjektive nur die Art, wie das Subjekt durch Vorstellungen affiziert wird mithin bloß Rezeptivität desselben ausmache, liegt schon darin, daß es bloß die Bestimmung des Subjekts ist“, An J. S. Beck, 20. Januar 1792. „Man kann Sinnlichkeit durch das Subjektive unserer Vorstellungen überhaupt erklären; denn der Verstand bezieht allererst die Vorstellungen auf ein Objekt, d. i. er allein denkt sich etwas vermittelst desselben. Nun kann das Subjektive unserer Vorstellung entweder von der Art sein, daß es auch auf ein Objekt zur Erkenntnis desselben (der Form oder Materie nach, da es im ersteren Falle reine Anschauung, im zweiten Empfindung heißt) bezogen werden kann; in diesem Falle ist die Sinnlichkeit, als Empfänglichkeit der gedachten Vorstellung, der Sinn. Oder aber das Subjektive der Vorstellung kann gar kein Erkenntnisstück werden: weil es bloß die Beziehung derselben aufs Subjekt und nichts zur Erkenntnis des Objekts Brauchbares enthält; und alsdann heißt diese Empfänglichkeit der Vorstellung Gefühl“, MS Einl. I Anm. (III 11 f.). Die Sinnlichkeit ist das „Vermögen der Anschauungen“, ein „Vermögen der Rezeptivität“. Sie gibt „den bloßen Stoff zum Denken“, Log. Einl. V (IV 39 f.). „Vorstellungen, in Ansehung deren sich das Gemüt leidend verhält, durch welche also das Subjekt affiziert wird (dieses mag sich nun selbst affizieren oder von einem Objekt affiziert werden), gehören zum sinnlichen, diejenigen aber, welche ein bloßes Tun (das Denken) enthalten, zum intellektuellen Erkenntnisvermögen. Jenes wird auch das untere, dieses aber das obere Erkenntnisvermögen genannt. Jenes hat den Charakter der Passivität des inneren Sinnes der Empfindungen, dieses der Spontaneität der Apperzeption, d. i. des reinen Bewußtseins der Handlung, welche das Denken ausmacht und zur Logik (einem System der Regeln des Verstandes), so wie jener zur Psychologie (einem Inbegriff aller inneren Wahrnehmungen unter Naturgesetzen) gehört und innere Erfahrung begründet“, Anthr. 1. T. § 7 (IV 29 f.). Die Sinnlichkeit (der Erkenntnis) enthält den Sinn und die Einbildungskraft (s. d.), ibid. § 15 (IV 46).

Die Kritik kommt zu dem Ergebnis, daß „über die Grenze der Sinnlichkeit, folglich auch der möglichen Erfahrung hinaus, es schlechterdings keine Erkenntnis, d. i. keine Begriffe, von denen man sicher ist, daß sie nicht leer sind, geben könne“, Üb. e. Entdeck. Einl. (V 3, 5). Die Sinnlichkeit darf nicht intellektualisiert werden, sie ist keine „verworrene“ Erkenntnis ebendesselben, was der Verstand (s. d.) deutlich erkennt (gegen Leibniz). Unsere Anschauung (s. d.) ist nicht intellektuell; „wir verstehen darunter nur die Art, wie wir von einem an sich selbst uns ganz unbekannten Objekt affiziert werden, und da besteht die Sinnlichkeit so gar nicht in der Verworrenheit, daß vielmehr ihre Anschauung immerhin auch den höchsten Grad der Deutlichkeit haben möchte und, wofern in ihr unklare Teile stecken, sich auch auf diese ihre klare Unterscheidung erstrecken könnte, dennoch aber nicht im mindesten etwas mehr als bloße Erscheinung enthalten würde.“ Die Sinnlichkeit unterscheidet sich von der Verstandeserkenntnis nicht bloß durch die „logische Form“ (die Verworrenheit), sondern auch „transzendental, d. i. dem Ursprung und Inhalte nach, indem sie gar nichts von der Beschaffenheit der Objekte an sich, sondern bloß die Art, wie das Subjekt affiziert wird, enthält, sie möchte übrigens so deutlich sein, als sie wollte“. Die Sinnlichkeit ist eine „besondere Anschauungsart“, welche ihre „a priori nach allgemeinen Prinzipien bestimmbare Form“ hat, ibid. 1. Abs. C (V 3, 41). Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile (s. d.) a priori kann nur beantwortet werden, wenn die Sinnlichkeit, und zwar „das Vermögen einer Anschauung a priori“ mit in Betracht gezogen wird, also nicht von der (formalen) Logik, ibid. 2. Abs. (V 3, 68). Vgl. Empfindung, Anschauung, Affektion, Gefühl, Erkenntnis, Gegeben, Einbildungskraft, Schematismus.