Substanz
Substanz. Der Begriff der Substanz gehört zu den Kategorien (s. d.) der Relation. Er ist eine apriorische Bedingung der Erfahrungserkenntnis, macht einheitliche Erfahrung möglich, stammt also nicht aus der Erfahrung. Rein logisch ist Substanz das „Subjekt“, der Träger von Zuständen. Mit diesen bloßen Gedanken läßt sich aber nichts anfangen; der Substanzbegriff bedarf eines „Schema“ (s. d.), und dieses ist das Beharrende in der räumlich-zeitlichen Anschauung, das durch die Kategorie als Substanz bestimmt wird. Daß die Substanz im Wechsel des Geschehens beharrt, ist eine a priori gültige Voraussetzung der Erkenntnis. Substanzen sind die Dinge aber nur als Erscheinungen, als Gegenstände möglicher Erfahrung, nicht als Dinge an sich, die man höchstens nach Analogie einer Substanz denken kann. Die Seele (s. d.) ist uns nicht als Substanz gegeben; die innere Wahrnehmung bietet nichts Beharrliches, was hier die Anwendung des Substanzbegriffes gestattet. — Früher nimmt Kant noch die Erkennbarkeit von an sich als solche existierenden Substanzen an (s. Monade).
Durch die Kategorie der Substanz wird bestimmt, daß die empirische Anschauung des Körpers in der Erfahrung „immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat“ betrachtet werden müsse, KrV tr. Anal. § 14 (I 148—Rc 169 Anm.). Ohne die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wäre die Substanz nichts als „ein Etwas..., das als Subjekt (ohne ein Prädikat von etwas anderem zu sein) gedacht werden kann“. „Aus dieser Vorstellung kann ich nun nichts machen, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das Ding hat, welches als ein solches erstes Subjekt gelten soll“, ibid. tr. Anal. 2. B. 1. H. (I 189 f.—Rc 244 f.). Die Kategorie der Substanz bedarf, um gegenständliche Erkenntnis zu liefern, des „Schema“ (s. d.) der Beharrlichkeit. Das „Schema“ der Substanz ist „die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt“. „Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, korrespondiert in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden“ ibid. (I 187—Rc 242).
Zu den „Analogie“ (s. d.) der Erfahrung gehört der apriorische, aber „regulative“ Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz: „Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert“, KrV tr. Anal. 2. B. 2. H. 3. Abs. 3, 1. Analogie (I 219—Rc 277 Anm.); 1. A.: „Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen bloße Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existiert“, ibid. (I 219 Anm.—Rc 276). Beweis: „Alle Erscheinungen sind in der Zeit, in welcher als Substrat (als beharrlicher Form der innern Anschauung) das Zugleichsein sowohl als die Folge allein vorgestellt werden kann. Die Zeit also, in der aller Wechsel der Erscheinungen gedacht werden soll, bleibt und wechselt nicht, weil sie dasjenige ist, in welchem das Nacheinander-oder Zugleichsein nur als Bestimmungen derselben vorgestellt werden können. Nun kann die Zeit für sich nicht wahrgenommen werden. Folglich muß in den Gegenständen der Wahrnehmung, d. i. den Erscheinungen, das Substrat anzutreffen sein, welches die Zeit überhaupt vorstellt, und an dem aller Wechsel oder Zugleichsein durch das Verhältnis der Erscheinungen zu demselben in der Apprehension wahrgenommen werden kann. Es ist aber das Substrat alles Realen, d. i. zur Existenz der Dinge Gehörigen, die Substanz, an welcher alles, was zum Dasein gehört, nur als Bestimmung kann gedacht werden. Folglich ist das Beharrliche, womit im Verhältnis alle Zeitverhältnisse der Erscheinungen allein bestimmt werden können, die Substanz in der Erscheinung; d. i. das Reale derselben, was als Substrat alles Wechsels immer dasselbe bleibt. Da diese also im Dasein nicht wechseln kann, so kann ihr Quantum in der Natur auch weder vermehrt noch vermindert werden“, ibid. (I 219 f.— Rc 277 Anm.). Da unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinungen immer sukzessiv ist (vgl. Zeit), so ist alle Zeitbestimmung nur an einem beharrlichen Substrat möglich, wodurch das objektive Nacheinander und Zugleichsein bestimmt ist. Alles, was wechselt, gehört nur zu der Art, wie die Substanz existiert, mithin zu ihren Bestimmungen. „Bei allen Veränderungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Akzidenzen wechseln.“ Der Satz, daß die Substanz beharrlich sei, ist tautologisch. „Denn bloß diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Kategorie der Substanz anwenden“, ibid. (I 220 ff.— Rc 277 ff.). Wir können einer Erscheinung nur darum den Namen Substanz geben, „weil wir ihr Dasein zu aller Zeit voraussetzen“. Dies müssen wir aber, weil die Einheit der Erfahrung niemals möglich sein würde, „wenn wir neue Dinge (der Substanz nach) wollten entstehen lassen“. „Denn alsdann fiele dasjenige weg, welches die Einheit der Zeit allein vorstellen kann, nämlich die Identität des Substratum, als woran aller Wechsel allein durchgängige Einheit hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts, als die Art, uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen“, ibid. (I 222 f.—Rc 280 f.). Veränderung (s. d.) kann nur an Substanzen wahrgenommen werden. Es sind also Substanzen (in der Erscheinung), „die Substrate aller Zeitbestimmungen“. „So ist demnach die Beharrlichkeit eine notwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen, als Dinge oder Gegenstände, in einer möglichen Erfahrung bestimmbar sind“, ibid. (I 223 f.—Rc 281 f.); vgl. Akzidenzen. Das „empirische Kriterium“ einer Substanz liegt auch in der „Handlung“, also in Tätigkeit und Kraft. Wo Handlung ist, da ist auch Substanz, „Handlung bedeutet schon das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung in dem besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren, was die Zeit der Sukzession nach bezeichnet, so ist das letzte Subjekt desselben das Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d. i. die Substanz“. Handlung, als ein hinreichendes empirisches Kriterium, beweist also die Substantialität, „ohne daß ich die Beharrlichkeit derselben durch verglichene Wahrnehmungen allererst zu suchen nötig hätte“. „Denn daß das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen könne, ist ein sicherer Schluß, der auf empirische Notwendigkeit und Beharrlichkeit im Dasein, mithin auf den Begriff einer Substanz als Erscheinung ausläuft“, ibid. 2. Anal. (I 238—Rc 297 f.). Die inneren Bestimmungen einer im Raum erscheinenden Substanz (Materie) sind „nichts als Verhältnisse“, und sie selbst ist nur ein „Inbegriff von lauter Relationen“. Wir kennen sie nur durch Kräfte, ibid. tr. Anal. Anh. Von d. Amphibolie (I 294 f.—Rc 358 f.).
Der Begriff einer Substanz bedeutet „das letzte Subjekt der Existenz, d. i. dasjenige, was selbst nicht wiederum bloß als Prädikat zur Existenz eines anderen gehört“. „Nun ist Materie das Subjekt alles dessen, was im Raume zur Existenz der Dinge gezählt werden mag; denn außer ihr würde sonst kein Subjekt gedacht werden können, als der Raum selbst, welcher aber ein Begriff ist, der noch gar nichts Existierendes, sondern bloß die notwendigen Bedingungen der äußeren Relation möglicher Gegenstände äußerer Sinne enthält. Also ist Materie, als das Bewegliche im Raume, die Substanz in demselben.“ Die Teile der Materie sind Substanzen. „Materielle Substanz“ ist „dasjenige im Raume, was für sich, d. i. abgesondert von allem anderen, was außer ihm im Raume existiert, beweglich ist“, Anfangsgründe der Naturw. 2. H. Erklär. 5 u. Anmerk. (VII 235 f.). Den Satz von der Erhaltung (Beharrung) der Substanz wendet der Physiker „mit dem besten Erfolg“ an, weil er ein dem Verstand „unentbehrlicher Leitfaden“ ist, um Erfahrung anzustellen, Fortschr. der Metaph. Beilage I, Einl. (V 3, 149). „Die Begriffe der Notwendigkeit und Zufälligkeit scheinen nicht auf die Substanz zu gehen. Auch fragt man nicht nach der Ursache des Daseins einer Substanz, weil sie das ist, was immer war und bleiben muß, und worauf als ein Substrat das Wechselnde seine Verhältnisse gründet. Bei dem Begriffe einer Substanz hört der Begriff der Ursache auf. Sie ist selbst Ursache, aber nicht Wirkung. Wie soll auch etwas Ursache einer Substanz außer ihm sein, so daß diese auch durch jenes seine Kraft fortdauerte? Denn da würden die Folgen der letzteren bloß Wirkungen der ersteren sein, und die letztere wäre also selbst kein letztes Subjekt“, Beilage, Randbemerkungen (V 3, 162). — Die bloße Kategorie der Substanz enthält — wie jede andere Kategorie — „nur die logische Funktion, in Ansehung deren ein Objekt als bestimmt gedacht wird“, und gewährt dadurch allein, d. h. ohne sinnliche Anschauung, keine Erkenntnis (auch nicht des Übersinnlichen). Der reine Begriff der Substanz ist nur der Begriff „eines Etwas, dessen Existenz nur als die eines Subjekts, nicht aber eines bloßen Prädikates von einem anderen, gedacht werden muß“. Aus einem solchen Begriffe (wie aus dem der Ursache) ist „keine Erkenntnis von dem so beschaffenen Dinge herauszubringen, sogar nicht einmal, ob eine solche Beschaffenheit auch nur möglich sei, d. i. ob es irgend etwas geben könne, worin sie angetroffen werde“. Diese Möglichkeit muß zu einer theoretischen Erkenntnis durch eine den Begriffen der Substanz und Ursache korrespondierende Anschauung belegt werden; „allein, wenn je Begriffe nicht konstitutive, sondern bloß regulative Prinzipien des Gebrauchs der Vernunft abgeben sollen (wie dieses allemal der Fall mit der Idee eines Noumens ist), so können sie auch als bloße logische Funktionen zu Begriffen von Dingen, deren Möglichkeit unerweislich ist, ihren in praktischer Absicht unentbehrlichen Gebrauch für die Vernunft haben, weil sie alsdann nicht als objektive Gründe der Möglichkeit der Noumene, sondern als subjektive Prinzipien (des theoretischen oder praktischen Gebrauchs der Vernunft) in Ansehung der Phänomene gelten“, Üb. e. Entdeck. 1. Abs. C (V 3, 47 f.).
„Ein Gegenstand der Sinne ist nur das, was auf meine Sinne wirkt, mithin handelt und also Substanz ist. Daher ist die Kategorie der Substanz prinzipial“, Lose Bl. 13. „Substanz ist das letzte Subjekt der Realität. Ihr Verhältnis zum Dasein dieser heißt Kraft, und diese ist es allein, wodurch die Existenz der Substanz bezeichnet wird und worin ihre Existenz auch selbst besteht.“ „Daß ein Wesen als Einheit der Substanz existieren und dennoch in eine Vielheit derselben aufgelöst werden könne, involviert keinen Widerspruch.“ Die intensive Größe (der Grad) kann immer als „potentiale Vielheit der Subjekte angesehen werden, die geschieden werden kann“. So könnte auch die Einheit der Seele in eine Vielheit der Subjekte verwandelt werden, N 5650. „Der Begriff der Substanz bei den Erscheinungen beruht auf dem Widerstände, welcher der bewegenden Kraft geschieht, wenn sie eine gewisse Geschwindigkeit hervorbringt. Wenn wir den Gegenständen nicht Kräfte beilegten bei den Bewegungen, die sie haben, so würden sie nicht als Substanzen, d. i. als bestehende Subjekte der Bewegung, angesehen werden“, N 42. „Was schlechthin ... Subjekt ist, das letzte Subjekt, was nicht weiter als Prädikat ein ander Subjekt voraussetzt, ist Substanz“, N 5295. „Da wir ein Ding nur durch seine Prädikate kennen, so können wir das Subjekt nicht für sich allein kennen“, N 5290. — „Das Substantiale ist das Ding an sich selbst und unbekannt“, N 5292. „Alles an Substanzen, was wir erkennen, ist Kraft“, N 4824. „Das per se esse einer Substanz ist nicht ein a se esse“, N 5855. — „Wir empfinden nicht äußere Substanzen (nur äußere Wirkungen auf uns), sondern wir denken sie nur dazu, aber nur in dem Verhältnis auf die Affektionen unseres Gemüts; also nicht, was sie an sich selbst sind, sondern das Perdurable in der Erscheinung“, N 5358. „Ein Phaenomenon, was ein Substratum ist von anderen Phaenomenis, ist darum nicht Substanz als nur comparative“, N 5312; vgl. 5297. „Wir können nur an dem, was beharrt, das Wechseln bemerken. Wenn alles fließt, so kann selbst das Fließen nicht wahrgenommen werden. Die Erfahrung also vom Entstehen und Vergehen ist nur durch das, was beharrt, möglich. Also ist etwas in der Natur, was bleibt (weder entsteht noch vergeht), und dieses ist Substanz; nur die accidentia wechseln: Principium der Möglichkeit der Erfahrungen“, N 5871. „Die Idee der Substanz kommt eigentlich von der repraesentatione sui ipsius her“, N 3921. Vgl. Vorles. über Metaphys. S. 55 f., 81, 110 f., 330 f. Vgl. Inhärenz, Akzidenzen, Beharrung, Veränderung, Materie, Seele, Äther.