Synthesis
Synthesis. Verbindung liegt nicht im Material der Erfahrung als solchem, sondern entspringt aus der Funktion des erkennenden Bewußtseins selbst. Die Daten der Empfindung müssen (durch die „produktive Einbildungskraft“) erst zu Anschauungsbildern verbunden werden und das Anschauungsmaterial wird dann durch den Intellekt weiter verknüpft zu Begriffen und Urteilen. Die Synthesis erfolgt aber hier überall nicht blind, willkürlich und subjektiv variabel, sondern es gibt apriorische, in der Gesetzlichkeit des Verstandes selbst wurzelnde Bedingungen der Synthesis, oberste, allgemeingültige Prinzipien, denen gemäß das Gegebene zu einem einheitlichen Zusammenhange, zur Einheit der Erfahrung (s. d.) verknüpft werden muß. Die Quelle aller synthetischen Einheit (s. d.) der Erkenntnis ist die transzendentale Einheit der reinen „Apperzeption“ (s. d.), zu der alles, wenn es erkennbar, erfahrbar sein soll, zusammengehen muß. Diese oberste Einheit besondert sich in den Kategorien (s. d.), welche nur Begriffe von den verschiedenen Arten der synthetischen Einheit sind und Erfahrung möglich machen, welche die synthetische Einheit der Apperzeption voraussetzt, zur Grundlage hat. Die systematische Einheit der Synthesis stiften die „Ideen“ (s. d.) der Vernunft. Alles Denken ist Synthesis, Einheitsverknüpfung (s. Urteil, Begriff), und ebenso ist die Erfahrung selbst schon Synthesis, einheitliche Verbindung, die als solche nie gegeben, sondern dem Verstande aufgegeben ist, der durch sie „Erfahrung überhaupt“ erzeugt (wobei die einzelnen Erfahrungen durch das Gegebene der Sinne mit bedingt sind). Die Objekte (s. d.) der Erfahrung als solche setzen eine solche Synthesis voraus, bestehen nicht unabhängig von der Möglichkeit derselben; schon die „Wahrnehmung“ der Objekte beruht auf einer Synthesis (der „Apprehension“) in der „Einbildungskraft“ (s. d.), indem die Einheit der Anschauung eine verknüpfende Funktion zur Voraussetzung hat.
Es ist etwas anderes, „sich aus gegebenen Teilen die Zusammensetzung eines Ganzen mittelst eines abstrakten Verstandesbegriffes zu denken“, als „diesen allgemeinen Begriff, als eine Aufgabe der Vernunft, vermittelst des sinnlichen Erkenntnisvermögens auszuführen, d. h. in einer deutlichen Anschauung in concreto ihn sich vorzustellen“. „Das erstere geschieht durch den Begriff der Zusammensetzung überhaupt..., das letztere beruht auf den Bedingungen der Zeit, insofern der Begriff des Zusammengesetzten durch fortgehende Hinzufügung eines Teiles zu den anderen auf erzeugende Weise, d.h. durch Synthese, möglich ist, und gehört zu den Gesetzen der Anschauung“, Mund. sens. § 1 (V 2, 89). „Die Verbindung ist ... entweder eine qualitative, ein Fortgang in der Reihe des Untergeordneten von der Bedingung zu dem Bedingten, oder eine quantitative, ein Fortgang in der Reihe des Nebengeordneten von einem gegebenen Teile durch dessen Ergänzungen zu dem Ganzen“, ibid. 1. Anm. (V 2, 90).
Die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) erhalten ihren Stoff von der Sinnlichkeit. Die reinen Formen dieser, Raum und Zeit, enthalten „ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori“. Sie sind Bedingungen der „Rezeptivität“ (s. d.) unseres Geistes. Die „Spontaneität“ (s. d.) unseres Denkens nun erfordert es, „daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen“. „Diese Handlung nenne ich Synthesis“ „Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen.“ „Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und in der Zeit).“ „Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben) bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente in Erkenntnissen sammelt, und zu einem gewissen Inhalte vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir achtzugeben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen“, KrV tr. Anal. § 10 (I 127 f.—Rc 147 f.). Die Synthesis überhaupt ist die bloße Wirkung der Einbildungskraft (s. d.), „einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind. Allein, diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Funktion, die dem Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft.“ „Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht.“ So ist z. B. unser Zählen (s. d.) eine „Synthesis nach Begriffen, weil sie nach einem gemeinschaftlichen Grunde der Einheit geschieht (z. B. der Dekadik)“. Auf dem reinen Verstande beruhen die Begriffe, welche der reinen Synthesis Einheit geben; sie selbst (diese reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien) bestehen „lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit“, sie sind die ursprünglichen „reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand in sich enthält“, ibid. (I 128 ff.—Rc 148 ff.)-Die „Verbindung“ eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch die Sinne in uns kommen, also auch nicht schon in der reinen Form der Anschauung mitenthalten sein. Sie ist vielmehr „ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft“, d. h. des Verstandes, eine „Verstandeshandlung“, die wir als „Synthesis“ bezeichnen, um zu betonen, „daß wir uns nichts, als im Objekte verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben“. Unter allen Vorstellungen ist die Verbindung „die einzige, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist“. Der Begriff der Verbindung enthält außer dem Begriff des Mannigfaltigen und der Synthesis noch den der Einheit desselben. „Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen.“ „Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich“, ibid. § 15 (I 149 f.—Rc 169 f.).
Die Synthesis des Mannigfaltigen in den Kategorien bezieht sich auf die Einheit der Apperzeption; dadurch ist sie der Grund der Möglichkeit des Erkenntnis a priori, sofern diese auf dem Verstande beruht, und mithin „rein intellektual“. Indem aber der Verstand den „inneren Sinn“ (s. d.) durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen gemäß der Einheit der Apperzeption bestimmt, denkt er „synthetische Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori“, als die Bedingung, unter welcher alle Gegenstände unserer Anschauung notwendig stehen müssen und wodurch die Kategorien erst objektive Realität, d. h. Anwendung auf Gegenstände der Anschauung bekommen. Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung kann „figürlich“ (synthesis speciosa) genannt werden, zum Unterschied von derjenigen, „welche in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen Kategorie gedacht würde und Verstandesverbindung (synthesis intellectualis) heißt“. Beide sind „transzendental“, nicht bloß weil sie selbst a priori vorgehen, sondern auch die Möglichkeit anderer Erkenntnis a priori begründen, KrV tr. Anal. § 24 (I 163 f.—Rc 201 f.). Die „figürliche“ Synthesis, wenn sie bloß auf die transzendentale Einheit geht, die in den Kategorien gedacht wird, muß die „transzendentale Synthesis der Einbildungskraft“ heißen. Die Einbildungskraft selbst gehört zur Sinnlichkeit; sofern aber ihre Synthesis eine Leistung der „Spontaneität“ ist, welche „bestimmend“ (nicht, wie der Sinn, bloß „bestimmbar“) ist, mithin „a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen“ kann, so ist die Einbildungskraft insofern „ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen“; ihre „Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß“ muß die „transzendentale Synthesis der Einbildungskraft“ sein, die „eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung ... desselben auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist“. Die „intellektuelle Synthesis“ hingegen erfolgt „ohne alle Einbildungskraft“, rein gedanklich, ibid. (I 164 f.—Rc 203 f.). Die Synthesis der „Apprehension“ (s. d.) ist „die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung“. Diese muß den Kategorien (s. d.) gemäß sein. Alle Synthesis, durch die erst Wahrnehmung und Erfahrung möglich wird, ist durch die Kategorien bedingt, ibid. § 26 (I 170 ff.—Rc 215 ff.). Erfahrung, als „empirische Synthesis“, ist in ihrer Möglichkeit die einzige Erkenntnisart, welche aller anderen Synthesis Realität gibt. Die apriorische Synthesis hat nur dadurch Wahrheit („Einstimmung mit dem Objekt“), „daß sie nichts weiter enthält, als was zur synthetischen Einheit der Erfahrung überhaupt notwendig ist“, ibid. tr. Anal. 2. B. 2. H. 2. Abs. (I 197—Rc 253). Es gibt eine „Synthesis des Gleichartigen in allem, was mathematisch erwogen werden kann“, und eine „Synthesis des Mannigfaltigen, sofern es notwendig zueinander gehört ..., mithin auch als ungleichartig doch a priori verbunden vorgestellt wird“ („dynamische“ Verbindung, die wieder in die „physische“ und „metaphysische“ Verbindung zerfällt), ibid. 3. Abs. 1. Anm. (I 201—Rc 257).
Die „Vorerinnerung“ in der „Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“ gliedert sich nach der Verschiedenheit der Synthesis in folgende drei Abschnitte: „1. Von der Synthesis der Apprehension in der Anschauung.“ „2. Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung.“ „3. Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe.“ Damit aus dem Mannigfaltigen der Anschauung Einheit der Anschauung werde, „so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und dann die Zusammennehmung derselben notwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Apprehension nenne“, KrV 1. A. tr. Anal. 1. B. 2. H. 2. Abs. (I 708—Rc 174 f.). Eine empirische Synthesis der Reproduktion (s. d.) würde nicht stattfinden können, wenn nicht eine auf Prinzipien a priori gegründete Synthesis der Einbildungskraft vor aller Erfahrung bestände: die „reproduktive Synthesis“, die mit der Synthesis der Apprehension „unzertrennlich verbunden ist“, ibid. (I 709 f.— Rc 176 ff.). Endlich wäre ohne die Synthesis der Rekognition (s. d.) ein Wiedererkennen eines Gegenstandes als eines Identischen unmöglich. Vgl. Einbildungskraft, Apperzeption, Objekt.
Raum und Zeit als Formen der Sinnesobjekte führen zu der von ihnen unzertrennlichen Vorstellung des „Zusammengesetzten“. „Denn einen bestimmten Raum können wir uns nicht anders vorstellen, als indem wir ihn ziehen, d. i. einen Raum zu dem anderen hinzutun, und ebenso ist es mit der Zeit bewandt.“ „Nun ist die Vorstellung eines Zusammengesetzten als eines solchen nicht bloße Anschauung, sondern erfordert den Begriff einer Zusammensetzung, sofern er auf die Anschauung in Raum und Zeit angewandt wird. Dieser Begriff also (samt dem seines Gegenteiles, des Einfachen) ist ein Begriff, der nicht von Anschauungen als eine in diesen enthaltene Teilvorstellung abgezogen, sondern ein Grundbegriff ist, und zwar a priori, endlich der einzige Grundbegriff a priori, der allen Begriffen von Gegenständen der Sinne ursprünglich im Verstande zum Grunde liegt.“ Die „Arten der Zusammensetzung (Synthesis) mit Bewußtsein“, d. h. die „Arten der synthetischen Einheit der Apperzeption des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen“ sind die Kategorien, Fortschr. d. Metaph. 1. Abt. Von Begriffen a priori (V 3, 96 f.). „Da die Zusammensetzung nicht in die Sinne fallen kann, sondern wir sie selbst machen müssen, so gehört sie nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit, sondern zur Spontaneität des Verstandes, als Begriff a priori“, ibid. 1. Abt. V. d. Umfange... (V 3, 102). Die „Verkettung der Vorstellungen“ ist „eine Vorstellung von der inneren Handlung des Gemüts, Vorstellungen zu verknüpfen, nicht bloß beieinander in der Anschauung zu stellen, sondern ein Ganzes der Materie nach zu machen“. „Hier ist also Einheit nicht vermöge desjenigen, worin, sondern wodurch das Mannigfaltige in eins gebracht wird, mithin Allgemeingültigkeit“, Lose Bl. 7. Vgl. Apprehension, Apperzeption, Einheit, Objekt, Gesetz, Regel, Raum, Zahl, Größe, Konstruktion, Verbindung, Einbildungskraft, Verstand, Vernunft, Unendlich, Totalität, Teil, Antinomie, Reproduktion, Rekognition, Erkenntnis, Erfahrung, System.