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Einbildungskraft

Einbildungskraft. Einbildungskraft ist nicht bloß Phantasie, sondern, im weiteren Sinne, die Fähigkeit, Vorstellungen auch ohne Gegenwart des Objekts zu haben. Die „reproduktive“ Einbildungskraft verbindet die Vorstellungen nach Assoziationsgesetzen. Die „produktive“ Einbildungskraft verbindet sie nach Regeln des Verstandes, den reinen Begriffen desselben (Kategorien) gemäß, wobei die „Synthesis“ der Einbildungskraft schon eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit (zu der die Einbildungskraft als solche gehört) ist. Die produktive Einbildungskraft ist eine der subjektiven Erkenntnisquellen. Die „reine“, „transzendentale“ Synthesis der Einbildungskraft ist eine Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung, der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis. Die „transzendentale Einheit“ der Synthesis der Einbildungskraft ist eine reine Form aller Erkenntnis. Die Einbildungskraft liegt schon der Wahrnehmung der Objekte zugrunde (vgl. Apprehension). Die reine Einbildungskraft bringt das Mannigfaltige der Anschauung mit dem Verstande in Verbindung, sie vermittelt zwischen Verstand und Sinnlichkeit (s. Schematismus).

Die Synthesis (s. d.) des Mannigfaltigen der Anschauung ist zunächst „die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind“, KrV tr. Anal. § 10 (I 128—Rc 148). Einbildungskraft ist „das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben ... auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist“. Sofern die Einbildungskraft Spontaneität ist, heißt sie „produktive Einbildungskraft“, im Unterschiede von der „reproduktiven“, deren Synthesis nicht apriorischen Verstandesgesetzen, sondern nur „empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation“ unterworfen ist und rein psychologische, nicht transzendentale Bedeutung hat, ibid. § 24 (I 164 f.—Rc 203 ff.). Ein Produkt der „reinen Einbildungskraft apriori“ ist das „Schema“ (s. d.), welches der Kategorie Bedeutung gibt. Die Einbildungskraft ist eine der subjektiven Erkenntnisquellen, die alle entweder „empirisch, nämlich in der Anwendung auf gegebene Erscheinungen“, betrachtet werden können, oder auch als „Elemente oder Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch möglich machen“, KrV 1. A. tr. Anal. 1. B. 2. H. 3. Abs. (I 719— Rc 200). Sie stellt die Erscheinungen empirisch in der Assoziation (s. d.) und Reproduktion vor. Es besteht eine Synthesis der Reproduktion (s. d.) in der Einbildung, eine „auf Prinzipien a priori“ gegründete „reine“, „transzendentale“ „Synthesis der Einbildungskraft“. Diese liegt der Möglichkeit der Erfahrung zugrunde. Diese Synthesis gehört zu den „transzendentalen Handlungen des Gemüts“. Das Vermögen dazu ist das „transzendentale Vermögen der Einbildungskraft“, ibid. 2. Abs. V. d. Synthesis der Reproduktion in der Einbildung (I 708 ff.—Rc 176 ff.). Die „reproduktive“ Synthesis der Einbildungskraft beruht auf Bedingungen der Erfahrung, die „produktive“ findet a priori statt. Die letztere, die „reine Synthesis der Einbildungskraft“ ist eine Bedingung a priori der „Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis“. Diese Synthesis ist „transzendental“, wenn sie bloß auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht; die Einheit dieser Synthesis ist transzendental, „wenn sie in Beziehung auf die ursprüngliche Einheit der Apperzeption als a priori notwendig vorgestellt wird“. „Da diese letztere nun der Möglichkeit aller Erkenntnisse zum Grunde liegt, so ist die transzendentale Einheit der Synthesis der Einbildungskraft die reine Form aller möglichen Erkenntnis, durch welche mithin alle Gegenstände möglicher Erfahrung a priori vorgestellt werden müssen.“ Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand (s. d.), und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, ist der „reine Verstand“, dessen Erzeugnisse, die Kategorien (s. d.), die „notwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller möglichen Erscheinungen“ enthalten. Die Einbildungskraft ist „ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst“. Zur Erzeugung von „Bildern“ der Gegenstände gehört eben eine „Funktion der Synthesis“ der Eindrücke. „Es ist also in uns ein tätiges Vermögen der Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir Einbildungskraft nennen.“ Ihre unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Handlung ist die „Apprehension“ (s. d.), mit der sich die Synthesis der Reproduktion (s. d.) und Rekognition (s. d.) verbinden. Die Einbildungskraft als Vermögen einer Synthesis a priori heißt „produktive Einbildungskraft“. Sofern sie nur die „notwendige Einheit in der Synthesis“ der Erscheinungen zu ihrer Absicht hat, heißt diese die „transzendentale Funktion der Einbildungskraft“. Nur vermittelst dieser ist die Affinität (s. d.) der Erscheinungen, mit ihr die Assoziation, die Reproduktion nach Gesetzen, folglich die Erfahrung selbst möglich, „weil ohne sie gar keine Begriffe von Gegenständen in eine Erfahrung zusammenfließen würden“. Die Apperzeption (s. d.) erst macht die (an sich „sinnliche“) Funktion der Einbildungskraft „intellektuell“. Vermittelst der reinen Einbildungskraft bringen wir das „Mannigfaltige der Anschauung“ mit der Bedingung der „notwendigen Einheit der reinen Apperzeption“ in Verbindung. „Beide äußersten Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen, weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben würden“, ibid. 3. Abs. (I 721 ff.—Rc 204 ff.).

„Die Einbildungskraft (facultas imaginandi), als ein Vermögen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes, ist entweder produktiv, d. i. ein Vermögen der ursprünglichen Darstellung des letzteren (exhibitio originaria), welche also vor der Erfahrung vorhergeht; oder reproduktiv, der abgeleiteten (exhibitio derivativa), welche eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüt zurückbringt. Reine Raumes- und Zeitanschauungen gehören zur ersteren Darstellung; alle übrigen setzen empirische Anschauung voraus, welche, wenn sie mit dem Begriffe vom Gegenstande verbunden und also empirische Erkenntnis wird, Erfahrung heißt. Die Einbildungskraft, sofern sie auch unwillkürlich Einbildungen hervorbringt, heißt Phantasie. Der, welcher diese für (innere oder äußere) Erfahrungen zu halten gewohnt ist, ist ein Phantast.“ Die Einbildungskraft ist also „entweder dichtend (produktiv) oder bloß zurückrufend (reproduktiv). Die produktive aber ist dennoch darum eben nicht schöpferisch, nämlich nicht vermögend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu derselben immer nachweisen.“ — Die Einbildungskraft unterlegt dem Verstande Stoff, um den Begriffen desselben Inhalt zur Erkenntnis zu verschaffen, Anthr. 1. T. § 28 (IV 66 ff.). — „Wir spielen oft und gern mit der Einbildungskraft; aber die E, (als Phantasie) spielt ebenso oft und bisweilen sehr ungelegen auch mit uns“, ibid. § 31 (IV 77).

„Die produktive Einbildungskraft ist 1. empirisch in der Apprehension, 2. rein, aber sinnlich in Ansehung eines Gegenstandes der reinen sinnlichen Anschauung, 3. transzendental in Ansehung eines Gegenstandes überhaupt; die erstere setzt die zweite voraus und die zweite die dritte.“ „Die reine Synthesis der Einbildungskraft ist der Grund der Möglichkeit der empirischen in der Apprehension, also auch der Wahrnehmung. Sie ist a priori möglich und bringt nichts als Gestalten hervor. Die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft geht bloß auf die Einheit der Apperzeption in der Synthesis des Mannigfaltigen überhaupt durch die Einbildungskraft. Dadurch wird ein Begriff vom Gegenstande überhaupt gedacht nach den verschiedenen Arten der transzendentalen Synthesis. Die Synthesis selbst geschieht in der Zeit.“ Die Erscheinungen können in der Apperzeption nur vermittelst der Synthesis der Apprehension, d.i. der Einbildungskraft, angetroffen werden, welche mit der „absoluten Einheit der Apperzeption“ stimmen muß. Die Kategorien sind „Vorstellungen von Etwas (Erscheinung) überhaupt, sofern es durch transzendentale Synthesis der Einbildungskraft vorgestellt wird; also stehen alle Erscheinungen als Elemente möglicher Erkenntnis (Erfahrung) unter den Kategorien“. Das Mannigfaltige kann „nicht durchgängig zu einer Apperzeption gehören als vermittelst einer durchgängigen Synthesis der Einbildungskraft und den Funktionen derselben in einem Bewußtsein. Diese transzendentale Einheit in der Synthesis der Einbildungskraft also ist eine Einheit a priori, unter welcher alle Erscheinungen stehen müssen“, Lose Bl. B 12; vgl. N 228, 312—351. Vgl. Einheit, Schematismus, Assoziation, Apprehension, Synthese.

Im Geschmacksurteil wird die Einbildungskraft als „produktiv und selbsttätig (als Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauungen)“ betrachtet. Bei der Auffassung eines gegebenen schönen Gegenstandes der Sinne ist sie zwar an eine bestimmte Form derselben gebunden, aber so. daß diese Form „eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frei überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde“. Es besteht im Ästhetischen „eine Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz, und eine subjektive Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande ohne eine objektive“, KU § 22 Allg. Anmerk. (II 82 f.). Der Geschmack ist ein Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes „in Beziehung auf die freie Gesetzmäßigkeit der Einbildungskraft“, ibid.; vgl. Geschmacksurteil. Die ästhetische (s. d.) Zweckmäßigkeit besteht in dem harmonischen Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand. Die ästhetischen Ideen (s. d.) sind „Vorstellungen der Einbildungskraft“. Vgl. innere Anschauung, ästhetisches Ideal, Spiel, Erhaben, Dichtungsvermögen, Harmonisch.