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Systematische Einheit

Einheit, systematische. Mit ihren Ideen (s. d.) hat die Vernunft „nur eine systematische Einheit im Sinne, welcher sie die empirischmögliche zu nähern sucht, ohne sie jemals völlig zu erreichen“, KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 1. Abs. (I 494—Rc 631); vgl. Ideal, Notwendig. Die Vernunft (s. d.) vereinigt das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, „indem sie eine gewisse kollektive Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen setzt, welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschäftigt sind“. Diese Einheit ist ein Punkt, in dem die Verstandesbegriffe zusammenlaufen, nicht aber von ihm (der ein „focus imaginarius“ ist) als einem vermeintlichen überempirischen Gegenstande ausgehen, ibid. Anh. zur tr. Dial. (I 549 f.—Rc 690 f.). Diese Vernunfteinheit setzt die „Form eines Ganzen der Erkenntnis“ voraus, welche jedem Teile seine Stelle und sein Verhältnis zu den übrigen a priori bestimmt. Das Ziel der Vernunft ist „das Systematische der Erkenntnis“, d. h. „der Zusammenhang derselben aus einem Prinzip“. Sie postuliert „vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhängendes System wird“, ibid. (I 550—Rc 692 f.). Diese Einheit ist (als bloße Idee) „lediglich nur projektierte Einheit“, die den Verstandesgebrauch leitet und zusammenhängend machen soll. Sie ist zunächst ein „logisches“ Prinzip, das dazu dient, der Verschiedenheit der Verstandesregeln „Einhelligkeit unter einem Prinzip (systematisch) und dadurch Zusammenhang zu verschaffen, so weit als es sich tun läßt“. Die systematische Einheit ist „subjektiv — und logisch — notwendig“, als „Methode“ (z. B. bei der Znrückführung der Naturkräfte auf eine Gruhdkraft, als eine hypothetische Einheit der Systematisierung), ibid. (I 552 f.—Rc 694 f.). Aber es kann hier überall nicht bloß ein „ökonomischer Grundsatz der Vernunft“ vorliegen. Das logische Prinzip der Vernunfteinheit setzt ein „transzendentales“ als „inneres Gesetz der Natur“ voraus. In der Natur der Dinge selbst muß Stoff zur Vernunfteinheit liegen, wie man dies oft vorausgesetzt hat (so in dem Satze: „entia praeter necessitatem non esse multiplicanda“). Die Zurückführung der Arten von Dingen, Kräften usw. auf Vernunfteinheit (einzige Gattung, gemeinschaftliches Prinzip) ist kein „bloß ökonomischer Handgriff der Vernunft, um sich so viel als möglich Mühe zu ersparen“. Die Vernunfteinheit ist vielmehr eine Idee, „nach welcher jedermann voraussetzt, diese Vernunfteinheit sei der Natur selbst angemessen, und daß die Vernunft hier nicht bettle, sondern gebiete, obgleich ohne die Grenzen dieser Einheit bestimmen zu können“. Es muß in den Erscheinungen trotz ihrer Mannigfaltigkeit eine gewisse „Gleichartigkeit“ vorausgesetzt werden, ohne welche das logische Gesetz der Gattungen (s. d.), ja kein Verstand und keine Erfahrung möglich wäre, ibid. (I 554 ff.—Rc 697 ff.). Die „Prinzipien der systematische Einheit“ sind: 1. das „Prinzip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen“; 2. der „Grundsatz der Varietät des Gleichartigen unter niederen Arten“; 3. das „Gesetz der Affinität aller Begriffe“, welches „einen kontinuierlichen Übergang von einer jeden Art zu jeder anderen durch stufenartiges Wachstum der Verschiedenheit gebietet“. — Es sind das die Prinzipien der Homogenität (s. d.), der Spezifikation (s. d.) und der Kontinuität (s. d.) der Formen; das letztere entspringt aus der Vereinigung der beiden ersten Prinzipien, ibid. (I 559—Rc 702). Es gibt hiernach keine ursprünglichen und erste Gattungen, sondern alle sind Abteilungen einer obersten Gattung, es gibt keine letzten Arten (s. d.), sondern es sind immer noch Zwischenarten möglich, alle Arten grenzen stetig aneinander an. „Das erste Gesetz also verhütet die Ausschweifung in die Mannigfaltigkeit verschiedener ursprünglichen Gattungen und empfiehlt die Gleichartigkeit; das zweite schränkt dagegen diese Neigung zur Einhelligkeit wiederum ein und gebietet Unterscheidung der Unterarten, bevor man sich mit seinem allgemeinen Begriffe zu den Individuen wende. Das dritte vereinigt jene beiden, indem es bei der höchsten Mannigfaltigkeit dennoch die Gleichartigkeit durch den stufenartigen Übergang von einer Spezies zur anderen vorschreibt, welches eine Art von Verwandtschaft der verschiedenen Zweige anzeigt, insofern sie insgesamt aus einem Stamme entsprossen sind“, ibid. (I 560 f.—Rc 704). Die Kontinuität der Arten ist nicht bloß ein logisches, sondern zugleich ein „transzendentales Gesetz“ der Natur; die Verwandtschaft der Glieder der Natur wird „an sich selbst für vernunftmäßig und der Natur angemessen“ beurteilt. Diese Prinzipien sind nicht bloß „Handgriffe der Methode“, ibid. (I 561—Rc 705). Sie sind Prinzipien der Herstellung von Zusammenhang und Einheit in der Natur selbst. Mannigfaltigkeit, Verwandtschaft, Einheit sind Ideen, welche den Verstandesgebrauch für die Erfahrung regeln. Sie haben „objektive, aber unbestimmte Gültigkeit“, dienen zur „Regel möglicher Erfahrung“ und werden als „heuristische Grundsätze“ mit gutem Glücke gebraucht. Sie haben „objektive Realität“, aber nicht um etwas an den Gegenständen der Erfahrung zu „bestimmen“, sondern nur „um das Verfahren anzuzeigen, nach welchem der empirische und bestimmte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich selbst durchgängig zusammenstimmend werden kann, dadurch daß er mit dem Prinzip der durchgängigen Einheit, so viel als möglich, in Zusammenhang gebracht und davon abgeleitet wird“, ibid. (I 563 ff.—Rc 707 ff.). Diese Prinzipien beruhen auf einem „Vernunftinteresse“ und sind besser als „Maximen“ zu bezeichnen, von denen die einen diese, die anderen Forscher jene bevorzugen, ibid. (I 565—Rc 709). „Prinzipien“ der reinen Vernunft können in keiner Weise konstitutiv sein, weil ihnen kein korrespondierendes Schema der Sinnlichkeit gegeben werden kann und sie also keinen Gegenstand in concreto haben können. Die Vernunfteinheit ist „unbestimmt“ bezüglich „der Bedingungen, unter denen, und des Grades, wie weit der Verstand seine Begriffe systematisch verbinden soll“. Sie hat kein Schema in der Anschauung, aber doch ein „Analogon“ eines solchen, nämlich „die Idee des Maximum der Abteilung und der Vereinigung der Verstandeserkenntnis in einem Prinzip“. „Denn das Größeste und Absolutvollständige läßt sich bestimmt denken.“ Die Idee der Vernunft ist das Analogon eines Schema der Sinnlichkeit („Schema der Vernunft“), dessen Anwendung aber nicht eine Erkenntnis des Gegenstandes selbst ist, sondern nur „eine Regel oder Prinzip der systematischen Einheit alles Verstandesgebrauchs“, die dann indirekt auch von dem Gegenstände der Erfahrung gilt. Diese Regel ist, als auf dem „Interesse der Vernunft“ beruhend, eine „Maxime“ der spekulativen Vernunft, ibid. (I 563 f.—Rc 708 f.). Die Einheit des Vernunftbegriffs ist die Einheit des „Zusammenhanges in einem Prinzip“, die „Einheit des Systems“, welche dem empirischen Verstandesgebrauch „systematischen Zusammenhang“ gibt; dieser bewährt die Richtigkeit des Verstandesgebrauchs und dessen Ausbreitung. So ist das Prinzip dieser Einheit auch „objektiv“, aber „nicht als konstitutives Prinzip, um etwas in Ansehung seines direkten Gegenstandes zu bestimmen, sondern um, als bloß regulativer Grundsatz und Maxime, den empirischen Gebrauch der Vernunft durch Eröffnung neuer Wege, die der Verstand nicht kennt, ins Unendliche (Unbestimmte) zu befördern und zu befestigen, ohne dabei jemals den Gesetzen des empirischen Gebrauchs im mindesten zuwider zu sein“. Erfahrung selbst gibt nie ein Beispiel vollkommener systematischer Einheit, daher muß die Vernunft ihrer Idee zugleich einen Gegenstand („Vernunftwesen“, „ens rationis ratiocinatae“) geben, um alle Verknüpfung der Sinnendinge so anzusehen, als ob sie in diesem Gegenstande ihren Grund hätten, ibid. V. d. Endabsicht der natürl. Dial. (1 575—RC 721). Vgl. Als ob.

Die Natureinheit nach besonderen, empirischen Gesetzen (s. d.) und die Möglichkeit der Einheit der Erfahrung in bezug auf jene beurteilen wir als für unseren Verstand zufällig. Da aber ohne eine solche Einheit „kein durchgängiger Zusammenhang empirischer Erkenntnisse zu einem Ganzen der Erfahrung“ stattfinden würde, so muß die Urteilskraft es „als Prinzip a priori annehmen, daß das für die menschliche Einsicht Zufällige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich möglichen Erfahrung enthalte“. Wir müssen eine solche „systematische Einheit“ annehmen, ohne sie einsehen und beweisen zu können, KU Einl. V (II 20 f.).