Als ob
Als ob. Betreffs der Ideen (s. d.) der Vernunft und überhaupt bezüglich gewisser Begriffe, die nicht eine Erkenntnis erfahrbarer Gegenstände, wenigstens in rein theoretischer Hinsicht beinhalten, nimmt Kant öfter den Standpunkt der „Als Ob“-Betrachtung ein, den er sogar schließlich als den „höchsten“ Standpunkt der Transzendentalphilosophie (s. d. gegen Schluß) bezeichnet. Wo es keine Erkenntnis gibt und wo unsere Begriffe nicht — wenigstens nicht in der Form, in der wir sie nur denken können — für die Wirklichkeit gelten, in dieser keinen entsprechenden Gegenstand haben, da ist es nicht nur möglich, sondern auch theoretisch oder praktisch förderlich und geboten, die Dinge so zu denken, aufzufassen, zu erforschen, „als ob“ sie so wären oder so gegeben, bestimmt wären, wie die betr. Begriffe es meinen, also wenigstens nach Analogie (s. d.) der betr. Begriffsinhalte, denen aber ganz wohl etwas — wenn auch an sich Unerkennbares und seinem Eigenwesen nach von der Art, wie wir es auffassen, Verschiedenes — im Wirklichen entsprechen kann, so daß dann das „Als Ob“ keineswegs immer nur reine, leere Fiktionen bezeichnen würde. Jedenfalls dient das „Als Ob“ dazu, theoretisch-praktischen Werten ihren Einfluß auf das Handeln, ihre Geltung in praktischer Hinsicht zu sichern und die Anforderungen an unsere Pflichten zu steigern.
Die Ideen (s. d.) leiten uns an, uns so zu verhalten, „als ob ihre Gegenstände (Gott und Unsterblichkeit) ... gegeben wären“, Fried. i. d. Ph. 1. Abs. A (V 4, 33) —, „als ob“ die Dinge von einer höchsten Intelligenz ihr Dasein hätten, „als ob“ die Sinnenwelt einen einzigen obersten Grund außer ihr habe, KrV tr. Dial. Anh. V. d. Endabsicht. (I 568 ff.—Rc 713 ff.). Die Bibel (s. d.) ist so aufzufassen, „als ob“ sie eine göttliche Offenbarung wäre, Str. d. Fak. 1. Abs. Friedensabschluß u. Beilegung (V 111 f.). Eine böse Handlung muß so betrachtet werden, „als ob der Mensch unmittelbar aus dem Stande der Unschuld in sie geraten wäre“, Rel. 1. St. IV (IV 43); vgl. 3. St. VII (IV 139). Die Dinge an sich (s. d.) können wir per analogiam so denken, „als ob“ sie Substanzen, Ursachen usw. wären, KrV tr. Dial.; V. d. Endabsicht.. (I 577ff.—Rc 7231). Das Ding an sich ist nur ein „Gedankending“, Altpreuß. Mth. XIX 573, 577 f.; XXI 549, 551 ff., 567, 585, 599 u. ö. Es ist ein richtiger Grundsatz des Empirismus, so fortzugehen, „als ob“ es keine Grenze und keinen Anfang der Welt gebe, als ob alles in der Welt durch unveränderliche Naturgesetze bestimmt sei, als ob es keine von der Welt verschiedene Ursache gäbe, KrV tr. Dial. 2. B. 2. H. 3. Abs. (I 421 ff.—Rc 551 ff.). „Wir müssen über die Natur philosophieren, als wenn die Welt keinen Anfang habe, und über Gott, als wenn sie keine Sukzession habe“, N 5545. Die Handlungen des Menschen sind frei, d. h. so anzusehen, „als ob sie gar nicht in der Reihe der bestimmenden Gründe der Erscheinungen ständen, sondern a priori determiniert werden“, N 5964. Der Mensch handelt so, „als ob er frei wäre, und eo ipso ist er frei“, Vorles. üb. d. philos. Religionslehre, S. 119 ff. An eine göttliche Macht moralisch-praktisch glauben heißt, so handeln, „als ob eine solche Weltregierung wirklich wäre“, V. e. vorn. Ton 4. Anm. (V 4, 13). Alle Verbindung in der Welt ist so anzusehen, „a. o.“ sie aus einer allgenügsamen notwendigen Ursache entspränge, KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 5. Abs. (I 531—Rc 671). Es ist so zu handeln, „als ob ein Gott und andere Welt wäre“, Lose Bl. G 3. Gott kann nur nach der Analogie (s. d.) Verstand und Wille zugeschrieben werden, KU § 90, 1 (II 337 f.); Rel. 2. St. 1. Abs. b. Anm. (IV 71). Der kategorische Imperativ (s. d.) gebietet, so zu handeln, „als ob“ das vernünftige Wesen ein gesetzgebendes Glied im „Reich der Zwecke“ wäre, GMS 2. Abs. (III 65). Wir müssen nach Maximen der Freiheit handeln, „als ob sie Gesetze der Natur wären“, ibid. 3. Abs. (III 94). Wir sollen es uns zur Maxime machen, so zu handeln, „als ob“ wir durch dieselbe allgemein gesetzgebend wären, Lose Bl. E 5, „als ob“ eine übernatürliche Gesetzgebung bestände, ibid. E 9. Betreffs des Rechts ist jeder Bürger so anzusehen, „als ob“ er mit den anderen einen Vertrag geschlossen, mit einem „vereinigten Willen“ zusammengestimmt habe, Theor. Prax. II. Folgerung (VI 95). Der soziale Vertrag (s. d.) ist kein historisches Faktum, sondern eine „Idee“. Wir sollen so forschen, „als ob“ die Reihe der Erscheinungen unendlich, ohne erstes und letztes Glied wäre, „als ob die Reihe an sich unendlich wäre“, aber wo die Vernunft als Grund betrachtet wird (in der Freiheit), als ob sie (durch eine „intelligible Ursache“) angefangen würde, KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 7. Abs.; V. d. Endabsicht d. Dial. (I 569, 578—Rc 714, 725). Wir müssen so handeln, als ob die Idee (s. o.) der Unsterblichkeit Erkenntnis einer solchen wäre, als ob ein anderes Leben unabänderlich sei, Ende a. D. (VI 161); vgl. Lose Bl. F 5. Die Urteilskraft (s. d.) stellt durch den (regulativen) Zweckbegriff die Natur so vor, „als ob“ ein (anschauender) Verstand (s. d.) den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte, KU Einl. IV (II 16), als ob ein Verstand (nicht der unsrige) die besonderen Naturgesetze zum Behuf unserer Erkenntnis, um ein „System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen“, gegeben hätte, ibid. (II 17). Es ist dies so, „als ob“ es ein „glücklicher, unsere Absicht begünstigender Zufall“ wäre, ibid. Einl. V. vgl. § 61 (II 20 f.; vgl. 221). Die Urteilskraft beurteilt Naturobjekte so, als ob sie aus einer zwecksetzenden Idee abgeleitet wären, als ob die Zweckmäßigkeit in der Natur absichtlich wäre, ohne daß wir wirklich eine nach Zwecken wirkende Ursache in ihr als existierend behaupten können, ibid. §§ 68, 75 (II 247, 263 ff.). Vgl. Fiktion.