Innerer Sinn
Sinn, innerer. Der innere Sinn ist die Fähigkeit des Subjekts (der Seele), die eigenen Modifikationen anzuschauen (wahrzunehmen). Da alle Erkenntnis einer Mannigfaltigkeit von anschaulichen Daten bedarf, die dem Denken „gegeben“ werden, und da die „Form“, der Anschauung aus der Gesetzmäßigkeit der Anschauungsfunktion selbst entspringt, nicht etwas im Ding an sich abspiegelt, so erkennen wir uns selbst mittelst des inneren Sinnes nur als Erscheinung, als einen Zusammenhang von Vorgängen in der Zeit, als empirisches Ich (s. d.), das ebenso wie die materiellen Phänomene auf das reine (transzendentale) Subjekt bezogen ist. Was die Seele (s. d.) an sich ist, wissen wir nicht. Die Form des inneren Sinnes ist die Zeit (s. d.); da alles Erkennbare auch in die innere Wahrnehmung fällt, so ist die Zeit zugleich die Form aller Anschauung.
Die Urteilsfähigkeit ist das Vermögen des „inneren Sinnes, d. i. seine eigenen Vorstellungen zum Objekte seiner Gedanken zu machen“. Es ist ein „Grundvermögen“ und kann bloß vernünftigen Wesen eigen sein, F. Spitzf. § 6 (V 1, 70).
„Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird“, KrV tr. Ästhet. § 2 (I 78—Rc 95). Die Zeit ist (zunächst) die Form des „inneren Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes“, ibid. § 6 (I 89—Rc 106). — Den eigentlichen Stoff der „inneren Anschauung“ machen die Vorstellungen äußerer Sinne aus, mit denen wir „unser Gemüt besetzen“. Der Art, wie wir sie im Gemüt setzen, liegt a priori die Zeit zugrunde, durch die wir die Vorstellungen in die Verhältnisse des Nacheinanders, des Zugleichseins und des Beharrlichen bringen. Die innere Anschauungsform ist „die Art, wie das Gemüt durch eigene Tätigkeit, nämlich dieses Setzen seiner Vorstellung, mithin durch sich selbst affiziert wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form nach“. „Alles, was durch einen Sinn vorgestellt wird, is sofern jederzeit Erscheinung, und ein innerer Sinn würde also entweder gar nicht eingeräum werden müssen, oder das Subjekt, welches der Gegenstand desselben ist, würde durch denselben nur als Erscheinung vorgestellt werden können, nicht wie es von sich selbst urteilen würde, wenn seine Anschauung bloße Selbsttätigkeit, d. i. intellektuell wäre“. „Hierbei beruht alle Schwierigkeit nur darauf, wie ein Subjekt sich selbst innerlich anschauen könne; allein diese Schwierigkeit ist jeder Theorie gemein. Das Bewußtsein seiner selbst (Apperzeption) ist die einfache Vorstellung des Ich, und wenn dadurch allein alles Mannigfaltige im Subjekt selbsttätig gegeben wäre, so würde die innere Anschauung intellektuell sein. Im Menschen erfordert dieses Bewußtsein innere Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen, was im Subjekte vorher gegeben wird, und die Art, wie dieses ohne Spontaneität im Gemüte gegeben wird, muß, um dieses Unterschiedes willen, Sinnlichkeit heißen. Wenn das Vermögen, sich bewußt zu werden, das, was im Gemüte liegt, aufsuchen (apprehendieren) soll, so muß es dasselbe affizieren, und kann allein auf solche Art eine Anschauung seiner selbst hervorbringen, deren Form aber, die vorher im Gemüt zu Grunde liegt, die Art, wie das Mannigfaltige im Gemüt beisammen ist, in der Vorstellung der Zeit bestimmt; da es dann sich selbst anschaut, nicht wie es sich unmittelbar selbsttätig vorstellen würde, sondern nach der Art, wie es von innen affiziert wird, folglich wie es sich erscheint, nicht wie es ist.“ Das bedeutet aber nicht, die Seele „scheint“ nur in meinem Selbstbewußtsein gegeben zu sein, sondern als Erscheinung ist das Ich (s. d.) wirklich, ibid. § 8 (I 101 ff.—Rc 120 ff.). Der innere Sinn wird vom Verstand bzw. durch dessen synthetische Tätigkeit, „affiziert“ (s. Affektion). Das Ich erkennt sich als Objekt innerer Anschauung so, wie es sich in ihr erscheint, d. h. in der Zeitform, in der die Bestimmungen des inneren Sinnes (die Vorstellungen als solche) geordnet sich darstellen. Wir schauen uns nur so an, „wie wir innerlich von uns selbst affiziert werden“, nur „als Erscheinung“, ibid. tr. Anal. § 24 (1167 f.—Rc 209 f.).
„Erkenntnis unserer selbst“ ist „die Bestimmung unseres Daseins in der Zeit“. Dazu ist nötig, daß ich meinen inneren Sinn „affiziere“. „Geschehen Eindrücke auf meinen inneren Sinn, so setzt dies voraus, daß ich mich selbst affiziere (ob es gleich uns unerklärbar ist, wie dies zugeht), und so setzt also das empirische Bewußtsein das transzendentale voraus.“ — Der innere Sinn ist ohne den äußeren Sinn nicht möglich (s. Idealismus), woraus zu folgen scheint, „daß wir unser Dasein in der Zeit immer nur im Commercio [mit anderen Dingen] erkennen“, Acht kleine Aufsätze: Widerlegung des problemat. Idealismus (VIII 167 f.). — Der innere Sinn wird von dem inneren Gegenstande, d. h. „von uns selbst“ affiziert. Das „psychologische“ (sinnliche) Ich ist „mannigfacher Erkenntnis fähig, worunter die Form der inneren Anschauung, die Zeit, diejenige ist, welche a priori allen Wahrnehmungen und deren Verbindung zum Grunde liegt, deren Auffassung (apprehensio) der Art, wie das Subjekt dadurch affiziert wird, d. i. der Zeitbedingung gemäß ist, indem das sinnliche Ich vom intellektuellen zur Aufnahme derselben ins Bewußtsein bestimmt wird“. Um dies zu finden, wird nur erfordert, „daß wir den inneren Sinn ... vermittelst der Aufmerksamkeit affizieren (denn Gedanken, als faktische Bestimmungen des Vorstellungsvermögens, gehören auch mit zur empirischen Vorstellung unseres Zustandes), um eine Erkenntnis von dem, was uns der innere Sinn darlegt, zuvörderst in der Anschauung unserer selbst zu haben, welche uns dann uns selbst nur vorstellig macht, wie wir uns erscheinen“, Fortschr. d. Metaph. 1. Abt. Gesch. der Transzendentalphilosophie (V 3. 96). „Der innere Sinn ist nicht die reine Apperzeption, ein Bewußtsein dessen, was der Mensch tut, denn dieses gehört zum Denkungsvermögen, sondern was er leidet, wiefern er durch sein eigenes Gedankenspiel affiziert wird. Ihm liegt die innere Anschauung, folglich das Verhältnis der Vorstellungen in der Zeit (so wie sie darin zugleich oder nacheinander sind) zum Grunde.“ Es gibt nur einen inneren Sinn, „weil es nicht verschiedene Organe sind, durch welche der Mensch sich innerlich empfindet“, und man könnte sagen, „die Seele ist das Organ des inneren Sinnes, von dem nun gesagt wird, daß er auch Täuschungen unterworfen ist, die darin bestehen, daß der Mensch die Erscheinungen desselben entweder für äußere Erscheinungen, d. i. Einbildungen für Empfindungen, nimmt. oder aber gar für Eingebungen hält“, Anthr. 1. T. § 24 (IV 57). Die empirische Selbstkerkenntnis macht „bloß die Affektibilität des Subjekts, nicht die innere Beschaffenheit desselben als Objekts“ vorstellig, Anthr. Ergänz, aus der Handschrift (IV 294). Bei der empirischen Apperzeption (der Sinnlichkeit) geschieht es, daß, „wenn das Subjekt auf sich attendiert, es sich dadurch auch zugleich affiziert und so Empfindungen in sich aufruft, d. i. Vorstellungen zum Bewußtsein bringt, die der Form ihres Verhältnisses nach untereinander der subjektiven formalen Beschaffenheit der Sinnlichkeit, nämlich der Anschauung in der Zeit ..., nicht bloß den Regeln des Verstandes gemäß sind“ ibid. (IV 295). — Die Erkenntnis seiner selbst nach der Beschaffenheit des Menschen an sich ist „das Bewußtsein seiner Freiheit, welche ihm durch den kategorischen Pflichtimperativ, also nur durch die höchste praktische Vernunft kund wird“, ibid. (IV 296V vgl. N 283.
„Daß das denkende Wesen in der Vorstellung des inneren Sinnes ihm selbst bloß Erscheinung sei, bedeutet nichts weiter, als wenn ich sage: ich, in dem das Zeitverhältnis allein anzutreffen ist, bin in der Zeit. Das continens ist zugleich contentum.“ Ich denke mich „in zwiefacher Bedeutung“. Vom Ich als Ding an sich bleibt nur die Idee von Etwas, „was mein von allen diesen Zeitbedingungen unabhängiges Selbstbewußtsein als ein Objekt andeutet“. „Alle Dinge außer mir sind Erscheinungen, denn die Bedingung, ihr Dasein zu bestimmen, ist in mir“: „Ich selbst bin Erscheinung und die Zeit, die bloß in mir ist, kann nur mir selbst zur Bedingung dienen, sofern ich mein reines Ich davon unterscheide“, Lose Bl. B 6. — Der innere Sinn besteht nur in der Beziehung der Vorstellungen aufs Subjekt, N 5654. Vgl. Ich, Subjekt, Seele, Psychologie, Außenwelt, Idealismus, Einbildungskraft, Zeit, Apperzeption, Gefühl, Erfahrung (innere).