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System

System. Die Vernunft geht auf die systematische Einheit (s. d.) ihrer Inhalte aus. Ist auch die Totalität in der Erfahrungserkenntnis nicht erreichbar, so ist es doch eine Aufgabe, nach systematischer Vollständigkeit zu streben und von der Idee des Systems aus jedem Erkenntnisbestandteil seine Stelle in einer einheitlichen Ordnung anzuweisen. Systematisch, nach Prinzipien, muß das Material der Erkenntnis bearbeitet werden. Die Ideen (s. d.) der Vernunft geben die Richtung auf die Einheit eines Systems an und „erweitern“ so die Kategorien des Verstandes. Eine systematische Ordnung der Gesetze (s. d.) des Geschehens gehört zum obersten Erkenntnisziel, sowie die praktische Vernuni auf ein System der Zwecke des Handelns geht. Der Systemgedanke reguliert zuhöchst die Synthese alles Erfahrungsmaterials.

Die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach „architektonisch, d. i. sie betrachtet alle Erkenntnisse als gehörig zu einem möglichen System und verstattet daher auch nur solche Prinzipien, die eine vorhabende Erkenntnis wenigstens nicht unfähig machen, in irgendeinem System mit anderen zusammenzustehen“, KrV tr. Dial. 2. B. 2. H. 3. Abs. (I 427—Rc 557). Die Vernunft setzt sich zum Ziel das „Systematische der Erkenntnis“, d. h. den „Zusammenhang derselben aus einem Prinzip“. Die Vernunfteinheit setzt stets eine Idee voraus, nämlich die von der „Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen a priori zu bestimmen“. „Diese Idee postuliert demnach vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhängendes System wird“, ibid. tr. Dial. Anh. V. d. regulativen Gebrauch... (I 550—Rc 692); vgl. Einheit, systematische. Die Methode der Philosophie kann, wenn auch nicht „dogmatisch“, doch „systematisch“ sein. „Denn unsere Vernunft (subjektiv) ist selbst ein Sytem, aber in ihrem reinen Gebrauche, vermittelst bloßer Begriffe, nur ein System der Nachforschung nach Grundsätzen der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kann“, ibid. tr. Meth. 1. H. 1. Abs. (I 617—Rc 763 f.). Erkenntnis wird durch „systematische Einheit“ erst zu einer „Wissenschaft“, einem „System“. „Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile untereinander a priori bestimmt wird. Der szientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert. Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle Teile und in der Idee desselben auch untereinander beziehen, macht, daß ein jeder Teil bei der Kenntnis der übrigen vermißt werden kann, und keine zufällige Hinzusetzung oder unbestimmte Größe der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori bestimmten Grenzen habe, stattfindet. Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft (coacervatio); es kann zwar innerlich (per intus suseeptionem), aber nicht äußerlich (per oppositionem) wachsen...“ Das „Schema“ der Idee einer Wissenschaft (s. d.) gründet „architektonische“, nicht bloß „technische“ Einheit, d. h. eine organische Ordnung nach der Verwandtschaft und der Ableitung aus einem einigen obersten, inneren Zwecke, der das Ganze erst möglich macht. Das Schema des Systems ist oft erst noch versteckt, undeutlich, unentwickelt, ibid. 3. H. (I 686 ff.—Rc 840 ff.). — Die Philosophie der reinen Vernunft ist entweder Propädeutik (s. d.) und heißt Kritik, oder sie ist „das System der reinen Vernunft“ und heißt Metaphysik (s. d.), ibid. (I 692—Rc 847). — Später weist Kant die Behauptung, daß er nur „eine Propädeutik zur Transzendentalphilosophie, nicht das System dieser Philosophie“ habe liefern wollen, zurück, Erklärung i. Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre 1799 (VIII 307).

„Von der Philosophie als einem System: Wenn Philosophie das System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe ist, so wird sie schon dadurch von einer Kritik der reinen Vernunft hinreichend unterschieden, als welche ... nicht als Teil zu einem solchen System gehört, sondern sogar die Idee desselben allererst entwirft und prüft.“ „Die Einteilung des Systems kann weist nur die in ihren formalen und materialen Teil sein, davon der erste (die Logik) bloß die Form des Denkens in einem System von Regeln befaßt, der zweite (reale Teil), die Gegenstände, darüber gedacht wird, sofern ein Vernunfterkenntnis derselben aus Begriffen möglich ist, systematisch in Betracht zieht.“ „Dieses reale System der Philosophie selbst kann nun nicht anders als nach dem ursprünglichen Unterschiede ihrer Objekte und der darauf beruhenden wesentlichen Verschiedenheit der Prinzipien einer Wissenschaft, die sie enthält, in theoretische und praktische Philosophie eingeteilt werden; so daß der eine Teil die Philosophie der Natur, der andere die der Sitten sein muß...“, Erste Einl. in die KU, I (WW ed. Cassirer-Buek V 179). — Die Tatsache, daß nicht nur die transzendentalen, Erfahrung ermöglichenden Gesetze, sondern auch die empirischen Gesetze in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit ein System ausmachen, weist auf eine „formale Zweckmäßigkeit“ (s. d.) der Natur, ihre „Angemessenheit“ zum Vermögen der Urteilskraft (s. d.). Doch gewinnt durch diesen Begriff die Philosophie als „doktrinales System“ keinen neuen Teil. Denn die Vorstellung, wonach „das Aggregat besonderer Erfahrungen als System desselben“ betrachtet wird, die Idee also „der Natur als Kunst“, ist kein objektives Prinzip, ibid. II (V 185 ff.); vgl. V (V 196). Vgl. Spezifikation.

Die aprorischen Sätze, die sich auf die Erfahrung einschränken, stimmen nicht bloß miteinander wohl zusammen, sondern machen auch ein „System der Naturerkenntnis a priori“ aus, Fortschr. d. Metaph. Beilage I Einl. (V 3, 151). Wir müssen „die Gegenstände unserer Erfahrung im ganzen kennen lernen, so daß unsere Erkenntnisse kein Aggregat, sondern ein System ausmachen; denn im System ist das Ganze eher als die Teile, im Aggregat hingegen sind die Teile eher da“. „Die Idee ist architektonisch; sie schafft die Wissenschaften“, Phys. Geographie Einl. § 2 (IX 9). „Die Einteilung der Erkenntnisse nach Begriffen ist die logische, die nach Zeit und Baum aber die physische Einteilung. Durch die erstere erhalten wir ein Natursystem (Systema naturae), wie z. B. das des Linné, durch die letztere hingegen eine geographische Naturbeschreibung.“ „Das Systema naturae ist gleichsam eine Registratur des Ganzen, wo ich alle Dinge, ein jedes in seine ihm eigentümlich zukommende Klasse setze, mögen sie sich gleich auf der Erde in verschiedenen, weit voneinander entlegenen Gegenden vorfinden.“ „Indessen dürfte man die Systeme der Natur, die bisher verfaßt sind, richtiger wohl Aggregate der Natur nennen; denn ein System setzt schon die Idee des Ganzen voraus, aus der die Mannigfaltigkeit der Dinge abgeleitet wird. Eigentlich haben wir noch gar kein Systema naturae. In den vorhandenen sogenannten Systemen der Art sind die Dinge bloß zusammengestellt und aneinander geordnet“, ibid. § 4 (IX 11 f.). Vgl. Gesetz, Zweck, Erkenntnis, Idee, Urteilskraft, Methode, Aggregat, Metaphysik, Philosophie, Transzendentalphilosophie, Kritik der reinen Vernunft.