Veränderung
Veränderung. „Die Substanzen kann eine Veränderung nur treffen, insoweit sie mit andern verbunden sind; ihre gegenseitige Abhängigkeit bestimmt dann die wechselseitige Veränderung ihres Zustandes.“ „Deshalb ist eine einfache Substanz, die von aller äußeren Verknüpfung frei und sich allein überlassen ist, an sich völlig unveränderlich.“ „Aber auch wenn sie mit anderen in Verbindung steht, kann, falls dieses Verhältnis nicht verändert wird, auch keine Veränderung in ihrem inneren Zustande eintreten.“ „Deshalb wird in einer Welt, die von aller Bewegung frei ist (denn die Bewegung ist die Erscheinung einer veränderten Verbindung), durchaus nichts von Sukzession auch in dem inneren Zustande der Substanzen angetroffen werden.“ „Wird also die Verbindung der Substanzen völlig beseitigt, so verschwinden in gleicher Weise Sukzession und Zeit“, N. diluc. Propos. 12 (V 1, 42). Gott, als von aller Abhängigkeit frei, ist unveränderlich, ibid. Usus (V 1, 45). Alle Veränderung besteht darin, „daß entweder etwas Positives, was nicht war, gesetzt oder dasjenige, was da war, aufgehoben wird. Natürlich aber ist die Veränderung, insofern der Grund derselben ebensowohl wie die Folge zur Welt gehört. In dem ersten Falle demnach, da eine Position, die nicht war, gesetzt wird, ist die Veränderung ein Entstehen“, Neg. Größ. 3. Abs., 2 (V 1, 102).
„Es ist kein Zweifel, daß ich nicht meinen eigenen Zustand unter der Form der Zeit gedenken sollte und daß also die Form der inneren Sinnlichkeit mir nicht die Erscheinung von Veränderungen gebe.“ „Daß nun Veränderungen etwas Wirkliches seien, leugne ich ebensowenig, als daß Körper etwas Wirkliches sind, ob ich gleich darunter nur verstehe, daß etwas Wirkliches der Erscheinung korrespondiere. Ich kann nicht einmal sagen: die innere Erscheinung verändere sich, denn wodurch wollte ich diese Veränderung beobachten, wenn sie meinem inneren Sinne nicht erschiene? Wollte man sagen, daß hieraus folge: alles in der Welt sei objektiv und an sich selbst unveränderlich, so würde ich antworten: sie sind weder veränderlich noch unveränderlich“, denn sie werden „gar nicht in der Zeit vorgestellt“, An M. Herz, 21. Februar 1772.
Der Begriff der Veränderung ist „nur durch und in der Zeitvorstellung möglich“. Wäre die Zeit (s. d.) nicht eine Anschauung (a priori), so würde kein Begriff „die Möglichkeit einer Veränderung, d. i. einer Verbindung kontradiktorisch-entgegengesetzter Prädikate ... in einem und demselben Objekte“ begreiflich machen. „Nur in der Zeit können beide kontradiktorisch-entgegengesetzte Bestimmungen in einem Dinge, nämlich nacheinander, anzutreffen sein“, KrV tr. Ästh. § 5 (I 88—Rc 105). „Wenn ... ich selbst oder ein ander Wesen mich ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veränderung, gar nicht vorkäme“, ibid. § 7 (I 92—Rc 109). Der Begriff der Veränderung gehört nicht zu den „Data a priori“ der transzendentalen Ästhetik. Denn „die Zeit selbst“ (die apriorisch ist) verändert sich nicht, sondern „etwas, das in der Zeit ist“. „Also wird dazu die Wahrnehmung von irgendeinem Dasein und der Sukzession seiner Bestimmungen, mithin Erfahrung erfordert“, ibid. (I 95—Rc 113). Die Veränderung gehört als Begriff zu den „Prädikabilien“ (s. d.) des reinen Verstandes, ibid. tr. Anal. § 10 (I 132 —Rc 152). „Entstehen und Vergehen“ sind „nicht Veränderungen desjenigen, was entsteht oder vergeht“. „Veränderung ist eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren eben desselben Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel nur die Bestimmungen trifft, die aufhören oder auch anheben können, so können wir in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören und andere anheben.“ Veränderung kann daher „nur an Substanzen wahrgenommen werden, und das Entstehen oder Vergehen schlechthin, ohne daß es bloß eine Bestimmung des Beharrlichen betreffe, kann gar keine mögliche Wahrnehmung sein, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von dem Übergange aus einem Zustande in den anderen und vom Nichtsein zum Sein möglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was bleibt, empirisch erkannt werden können“. Das Entstehen oder Vergehen von Substanzen würde „die einzige Bedingung der empirischen Einheit der Zeit aufheben, und die Erscheinungen würden sich alsdann auf zweierlei Zeiten beziehen, in denen nebeneinander das Dasein verflösse: welches ungereimt ist“. Denn es ist „nur Eine Zeit, in welcher alle verschiedenen Zeiten nicht zugleich, sondern nacheinander gesetzt werden müssen“, KrV tr. Anal. 2. B. 2. H 3. Abs. 1. Analogie (I 223 f.—Rc 281 f.). Alle Erscheinungen der Zeitfolge sind nur Veränderungen d. h. „ein sukzessives Sein und Nichtsein der Bestimmungen der Substanz“. Die Veränderungen geschehen alle nach dem Gesetz der Verknüpfung durch Kausalität (s. d.). Wie überhaupt etwas verändert werden kann, wie es möglich ist, „daß auf einen Zustand in einem Zeitpunkte ein entgegengesetzter im anderen folgen könne“, davon haben wir a priori nicht den mindesten Begriff. Hierzu wird die Kenntnis wirklicher Kräfte gefordert, welche nur empirisch gegeben werden kann. Alle Veränderung ist nur durch eine „kontinuierliche Handlung der Kausalität“ möglich, ibid. 2. Analogie (I 239 f.—Rc 298 ff.); vgl. Stetigkeit. Die Veränderung wird durch „Momente“ als deren Wirkung erzeugt (ibid.). Das „Gesetz der Kontinuität aller Veränderung“ hat seinen Grund darin, „daß weder die Zeit, noch auch die Erscheinung in der Zeit aus Teilen besteht, die die kleinsten sind, und daß doch der Zustand des Dinges bei seiner Veränderung durch alle diese Teile, als Elemente, zu seinem zweiten Zustande übergeht“. Dieser Satz gilt a priori. Er ist a priori möglich, denn wir antizipieren in ihm nur unsere eigene, stetig fortlaufende Apprehension möglicher Gegebenheiten, ibid. (I 241 f.—Rc 300 f.). Veränderung läßt sich nur durch das Beispiel der Bewegung anschaulich machen; so auch die innere Veränderung im Seelischen, indem wir die Zeit figürlich durch eine Linie und die innere Veränderung durch das Ziehen dieser Linie (Bewegung) uns faßlich machen, ibid. 3. Abs. Allg. Anmerk. (I 268—Rc 330).
Veränderung ist (wie nach Baumgarten) zu erklären durch „die Existenz der Bestimmungen eines Dinges nacheinander (ihre Sukzession), mithin durch die Folge derselben in der Zeit“, Üb. e. Entdeck. 2. Abs. 3. Anm. (V 3, 62). Der Satz: „Alle endlichen Dinge sind veränderlich, das unendliche Ding ist unveränderlich“ ist analytisch. „Denn realiter, d. i. dem Dasein nach veränderlich ist das, dessen Bestimmungen in der Zeit einander folgen können; mithin ist nur das veränderlich, was nicht anders als in der Zeit existieren kann. Diese Bedingung aber ist nicht notwendig mit dem Begriffe eines endlichen Dinges überhaupt (welches nicht alle Realität hat), sondern nur mit einem Dinge als Gegenstand der sinnlichen Anschauung verbunden.“ Der Satz: alles Endliche als ein solches ist veränderlich, ist nur „logisch“, d. h. nur rein begrifflich gültig, „da dann unter verändeilich dasjenige gemeint wird, was durch seinen Begriff nicht durchgängig bestimmt ist, mithin was auf mancherlei entgegengesetzte Art bestimmt werden kann“. Ein „endliches“ Ding ist eben dann ein solches, durch dessen Begriff nicht bestimmt ist, „welche oder wieviel Realität ich ihm beilegen solle; d. i. ich kann ihm bald dieses, bald jenes beilegen und. dem Begriff von der Endlichkeit desselben unbeschadet, die Bestimmung desselben auf mancherlei Weise verändern“. Eben auf diese Art, d. h. logisch, ist das unendliche Wesen unveränderlich, weil dessen Prädikate absolut bestimmt sind, ibid. 2. Abs. (V 3. 60 t.). Rein logisch, nicht metaphysisch gültig ist auch der Satz: „Die Wesen der Dinge sind unveränderlich, d. i. man kann in dem. was wesentlich zu ihrem Begriffe gehört, nichts ändern, ohne, diesen Begriff selber zugleich mit aufzuheben.“ Dieser Satz hat mit dem Dasein der Dinge und ihren Veränderungen nichts zu tun, sondern betont nur, „daß, wenn ich den Begriff von einem und demselben Objekt behalten will, ich nichts an ihm abändern, d. i. das Gegenteil von demjenigen, was ich durch jenen denke, nicht von ihm prädizieren müsse“, ibid. 2. Abs. 3. Anm. (V 3, 61 f.).
„Die Möglichkeit der Veränderung läßt sich nicht a priori erkennen“. N 5802. „Die Veränderung ist durch die Erfahrung gegeben, und ein Problem für die Vernunft“. N 4485. „Wie ist Veränderung überhaupt möglich? Das läßt sich nicht erklären, weil sie Bestimmung in der Zeit ist und Kräfte voraussetzt, diese aber a posteriori“, N 5576. „Zufällig ist. dessen Gegenteil an seiner Stelle möglich ist. Veränderlich: das in Verknüpfung mit seinem Gegenteil möglich ist“. N 4041; vgl. 5788 ff. „Eine jede Veränderung in der Welt ist nur eine Fortsetzung einer schon vorhandenen Reihe, und es höret ebensoviel auf, als anfängt. Es verändert sieh daher zwar alles in der Welt; aber das All der Reihe verändert sich nicht, weil sich zwar Dinge in der Zeit verändern, aber nicht die Zeit selbst“, N 5392. „Veränderung ist gar kein intellektuales Prädikat; also nicht die Dinge, sondern ihre phaenomena verändern sich; aber diese Veränderung ist selbst ein phaenomenon. Die Dinge an sich selbst sind beständig, und die Veränderungen Erscheinungen ihrer Schranken. Was den Veränderungen in intellectualibus respondiere, wissen wir nicht. Es ist gar die Frage, ob nicht der Begriff der Substanz, welcher die Beständigkeit von Etwas bei dem Wechsel der Bestimmungen anzeigt, nur ein Begriff sei, der unter phaenomenis gelte“, N 4122. — „Es ist dasselbe Objekt, welches den Grund der Erscheinung zweier entgegengesetzter Zustände als sukzessiv existierender hervorbringt, und also die Erscheinung einer Veränderung“, N 5906. Es geschieht in den Subjekten, die sich Erscheinungen vorstellen, nichts, sondern sie stellen sich vor, was geschieht, „es ist in ihnen der Grund von den Vorstellungen, daß etwas geschehe“, N 5975. „In der intelligiblen Welt geschieht und verändert sich nichts, und da fällt die Regel der Kausalverbindung weg“, N 5612. In Gott ist keine Veränderung (ibid.). Vgl. Vorles. über Metaphys., S. 46 f. Vgl. Substanz, Beharrung, Zeit, Kausalitaet, Freiheit, Anfang.