Zum Hauptinhalt springen

Vollkommenheit

Vollkommenheit. Vollkommenheit, „respektiv“ aufgefaßt, ist „die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einer gewissen Regel, diese mag sein, welche sie wolle“. Absolut genommen aber ist etwas nur vollkommen, „insofern das Mannigfaltige in demselben den Grund einer Realität in sich enthält“. „Die Größe dieser Realität bestimmt den Grad der Vollkommenheit.“ Weil Gott die „höchste Realität“ ist, so würde dieser Begriff mit demjenigen übereintreffen, da man sagte, „es ist etwas vollkommen, insofern es mit den göttlichen Eigenschaften zusammenstimmt“, Üb. d. Optimismus Anm. (VI 6). Unter allen möglichen Welten ist eine die vollkommenste, ibid. (VI 6 f.); vgl. Optimismus.

Vollkommenheit ist „innere“ Zweckmäßigkeit objektiver Art. Die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge zum Begriff dessen, was das Ding sein soll, ist die „qualitative“ Vollkommenheit des Dinges. Die „quantitative“ Vollkommenheit ist ein bloßer Größenbegriff (die „Allheit“); sie ist „die Vollständigkeit eines jeden Dinges in seiner Art“. Durch das Geschmacksurteil (s. d.) wird keine Vollkommenheit von Gegenständen erkannt, KU § 15 (II 66 ff.); vgl. Schönheit.

Vollkommenheit bedeutet: 1. theoretisch, „Vollständigkeit eines jeden Dinges in seiner Art (transzendentale), oder eines Dinges bloß als Dinges überhaupt (metaphysische)“; 2. praktisch, „die Tauglichkeit oder Zulänglichkeit eines Dinges zu allerlei Zwecken“ (beim Menschen = Talent, Geschicklichkeit). Die „höchste Vollkommenheit in Substanz, d. i. Gott“ ist die Zulänglichkeit dieses Wesens zu allen Zwecken überhaupt. — Da bei der Vollkommenheit dem Willen ein Zweck (eine „Materie“) vorher gegeben ist, so ist sie als Motiv des Handelns empirisch-material und eignet sich daher nicht zum Prinzip der Ethik, welches rein formal sein muß, KpV 1. T. 1. B. 1. H. § 8 (II 54 f.). „Eigene Vollkommenheit“ ist ein Zweck (s. d.), der zugleich Pflicht ist. Es ist ein Widerspruch, fremde Vollkommenheit sich zum Zweck und zur Pflicht zu machen. „Denn darin besteht eben die Vollkommenheit eines anderen Menschen als einer Person, daß er selbst vermögend ist, sich seinen Zweck nach seinen eigenen Begriffen von Pflicht zu setzen, und es widerspricht sich, zu fordern (mir zur Pflicht zu machen), daß ich etwas tun soll, was kein anderer als er selbst tun kann“, MST Einl. IV (III 225 f.). Vollkommenheit bedeutet 1. „Allheit des Mannigfaltigen, was zusammengenommen ein Ding ausmacht“, 2. „die Zusammenstimmung der Beschaffenheiten eines Dinges zu einem Zwecke“ (quantitative oder materiale-qualitative oder formale Vollkommenheit). Die menschliche (der „Menschheit“ zugehörige) Vollkommenheit muß in das gesetzt werden, „was Wirkung von seiner Tat sein kann“, sonst wäre sie nicht Pflicht. „Sie kann also nichts anderes sein als Kultur seines Vermögens (oder der Naturanlage), in welchem der Verstand, als Vermögen der Begriffe, mithin auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberste ist, zugleich aber auch seines Willens (sittlicher Denkungsart), aller Pflicht überhaupt ein Genüge zu tun.“ „1. Es ist ihm Pflicht, sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Tierheit (quoad actum) immer mehr zur Menschheit, durch die er allein fähig ist, sich Zwecke zu setzen, emporzuarbeiten“, um der Menschheit in ihm würdig zu sein. „2. Die Kultur seines Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nämlich das Gesetz zugleich die Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen wird, zu erheben und ihm aus Pflicht u gehorchen, welches innere moralisch-praktische Vollkommenheit ist“, ibid. Einl. V (III 226 f.). Die „physische“ Vollkommenheit ist „Kultur aller Vermögen überhaupt zur Beförderung der durch die Vernunft vorgelegten Zwecke“. „Mit dem Zwecke der Menschheit in unserer eigenen Person ist ... auch der Vernunftwille, mithin die Pflicht verbunden, sich um die Menschheit durch Kultur überhaupt verdient zu machen, sich das Vermögen zu Ausführung allerlei möglicher Zwecke, sofern dieses in dem Menschen selbst anzutreffen ist, zu verschaffen oder es zu fördern, d. i. eine Pflicht zur Kultur der rohen Anlagen seiner Natur, als wodurch das Tier sich allererst zum Menschen erhebt, mithin Pflicht an sich selbst“, ibid. Einl. VIII (III 233). Eine ethische Pflicht ist auch die „Kultur der Moralität“ in uns. „Die größte moralische Vollkommenheit des Menschen ist: seine Pflicht zu tun und zwar aus Pflicht“, ibid. (III 234). „Unter den rationalen oder Vernunftgründen der Sittlichkeit ist doch der ontologische Begriff der Vollkommenheit (so leer, so unbestimmt, mithin unbrauchbar er auch ist, um in dem unermeßlichen Felde möglicher Realität die für uns schickliche größte Summe auszufinden, so sehr er auch, um die Realität, von der hier die Rede ist, spezifisch von jeder anderen zu unterscheiden, einen unvermeidlichen Hang hat, sich im Zirkel zu drehen und die Sittlichkeit, die er erklären soll, insgeheim vorauszusetzen nicht vermeiden kann) dennoch besser als der theologische Begriff, sie von einem göttlichen, allervollkommensten Willen abzuleiten“, GMS 2. Abs. Einteilung (III 70). Vollkommenheit ist aber jedenfalls ein Prinzip der „Heteronomie“, nicht der „Autonomie“ (s. d.) des Willens. Vgl. N 5505. Vgl. Gott, Theologie, Pflicht, Heiligkeit, Realität, Mensch.