Mensch
Mensch. Der Mensch ist ein Wesen, dessen Anlagen (s. d.) sich vollkommen nur in der Gattung, im Prozeß der geschichtlichen Entwicklung, entfalten können. Er ist zum Leben in der Gesellschaft (s. d.) bestimmt, in der er zur Kultur (s. d.) gelangt. Durch eigene Aktivität, durch vernünftig-zweckvolle Gestaltung, nicht durch Instinkte wie das Tier, erreicht er seine Bestimmung, schreitet er vom Tierischen zum rein Menschlichen fort, der Idee der Menschheit seine Triebe unterordnend. Als Sinnenwesen ist der Mensch Erscheinung, als geistiges, vernünftiges, Zwecke setzendes und (sich selbst) Gesetze gebendes, frei wollendes Wesen aber „Noumenon“ (s. d.), zur „intelligiblen Welt“ (s. d.) gehörig. Die Ethik fordert, den Menschen (die „Menschheit“ in jedem) nie bloß als Mittel, immer auch als Zweck zu behandeln. Der Mensch hat viele Schwächen (s. Böse), aus „so krummem Holze“ kann nichts Vollkommenes werden, aber er hat Anlagen (s. d.) zum Guten und zum Fortschritt der Gattung. Die reine Menschheit in allem ist „heilig“, sie verleiht dem Menschen „Würde“ (s. d.). Das Christentum (s. d.) enthält die Idee der zum Vorbild dienenden Gott wohlgefälligen Menschheit.
„Am Menschen (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln.“ „Die Natur hat gewollt, daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe und keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft verschafft hat“, G. i. weltbürg. Abs. 2. u. 3. Satz (VI 6 f.). „Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. Denn er mißbraucht gewiß seine Freiheit in Ansehung anderer seinesgleichen ... Er bedarf also eines Herrn, der ihm den eigenen Willen breche und ihn nötige, einem allgemeingültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen“, ibid. 6. Satz (VI 11). „Wie es mit den Einwohnern anderer Planeten und ihrer Natur beschaffen sei, wissen wir nicht; wenn wir aber diesen Auftrag der Natur [d. i. die Annäherung an die Idee einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft] gut ausrichten, so können wir uns wohl schmeicheln, daß wir unter unseren Nachbarn im Weltgebäude einen nicht geringen Rang behaupten dürften. Vielleicht mag bei diesen ein jedes Individuum seine Bestimmung in seinem Leben völlig erreichen, Bei uns ist es anders; nur die Gattung kann dieses hoffen“, ibid. Anm. (VI 12). „Wenn ... Menschengattung das Ganze einer ins Unendliche (Unbestimmbare) gehenden Reihe von Zeugungen bedeutet (wie dieser Sinn denn ganz gewöhnlich ist), und es wird angenommen, daß diese Reihe der Linie ihrer Bestimmung, die ihr zur Seite läuft, sich unaufhörlich nähere, so ist es kein Widerspruch, zu sagen: daß sie in allen ihren Teilen dieser asympto-tisch sei, und doch im ganzen mit ihr zusammenkomme, mit anderen Worten, daß kein Glied aller Zeugungen des Menschengeschlechts, sondern nur die Gattung ihre Bestimmung völlig erreiche“, Rezension zu Herders „Ideen“ III (VI 46). „Der vierte und letzte Schritt, den die den Menschen über die Gesellschaft mit Tieren gänzlich erhebende Vernunft hat, war: daß er (wiewohl nur dunkel) begriff, er sei eigentlich der Zweck der Natur, und nichts, was auf Erden lebt, könne hierin einen Mitbewerber gegen ihn abgeben.“ — „Und so war der Mensch in eine Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen, von welchem Range sie auch sein mögen, getreten: nämlich in Ansehung des Anspruchs, selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt und von keinem bloß als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht zu werden“, Anf. d. Menschengesch. (VI 54 f.). „Ein anderes Beispiel zum Beweise der Wahrheit des Satzes, daß die Natur in uns zwei Anlagen zu zwei verschiedenen Zwecken, nämlich der Menschheit als Tiergattung und ebenderselben als sittlicher Gattung, gegründet habe, ist das: Ars longa, vita brevis des Hippokrates ... Denn wenn der glücklichste Kopf am Rande der größten Entdeckungen steht, die er von seiner Geschicklichkeit und Erfahrenheit hoffen darf, so tritt das Alter ein; er wird stumpf und muß es einer zweiten Generation ... überlassen, noch eine Spanne im Fortschritte der Kultur hinzuzutun. Der Hang der Menschengattung zur Erreichung ihrer ganzen Bestimmung scheint daher unaufhörlich unterbrochen und in kontinuierlicher Gefahr zu sein, in die alte Rohigkeit zurückzufallen.“ Der Mensch „sollte sich aus der Rohigkeit seiner Naturanlagen selbst herausarbeiten, und indem er sich über sie erhebt, dennoch acht haben, daß er nicht wider sie verstoße; eine Geschicklichkeit, die er nur spät und nach vielen mißlingenden Versuchen erwarten kann, binnen welcher Zwischenzeit die Menschheit unter den Übeln seufzt, die sie sich aus Unerfahrenheit selbst antut“, ibid. Anmerk. Anm. (VI 57 f.). Es ergibt sich, „daß der Mensch aus dem Zeitabschnitte der Gemächlichkeit und des Friedens in den der Arbeit und der Zwietracht, als das Vorspiel der Vereinigung in Gesellschaft, überging“, ibid. Beschluß (VI 59). Der Mensch ist vor allen anderen Tieren durch sein Selbstbewußtsein ausgezeichnet, weswegen er „ein vernünftiges Tier“ ist, Fried, i. d. Phil. 1. Abs. A. Von den physischen Ursachen.. (V 4, 30). Nur der Mensch ist des Ideals der Vollkommenheit fähig. Freilich: „Wie kann man aber erwarten, daß aus so krummem Holze etwas völlig Gerades gezimmert werde“, Rel. 3. St. IV (IV 114).
Der Mensch hat einen Charakter, „den er sich selbst schafft, indem er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren, wodurch er als mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier (animal rationabile) aus sich selbst ein vernünftiges Tier (animal rationale) machen kann“. Das Charakteristische der Menschengattung ist, „daß die Natur den Keim der Zwietracht in sie gelegt und gewollt hat, daß ihre eigene Vernunft aus dieser diejenige Eintracht, wenigstens die beständige Annäherung zu derselben herausbringe, welche letztere zwar in der Idee der Zweck, der Tat nach aber die erstere (die Zwietracht) in dem Plane der Natur das Mittel einer höchsten, uns unerforschlichen Weisheit ist: die Perfektionierung des Menschen durch fortschreitende Kultur, wenngleich mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden desselben, zu bewirken“, Anthr. 2. T. E (IV 275 f.). „Unter den lebenden Erdbewohnern ist der Mensch durch seine technische (mit Bewußtsein verbunden-mechanische) zu Handhabung der Sachen, durch seine pragmatische (andere Menschen zu seinen Absichten geschickt zu brauchen) und durch die moralische Anlage in seinem Wesen (nach dem Freiheitsprinzip unter Gesetzen gegen sich und andere zu handeln) von allen übrigen Naturwesen kenntlich unterschieden“, ibid. (IV 276). Ursprünglich war der Mensch wohl ein einsiedlerisches (nicht geselliges) Wesen (ibid.). Bei dem Menschen erreicht nicht jedes Individuum seine ganze Bestimmung, sondern nur die Gattung, „so daß sich das menschliche Geschlecht nur durch Fortschreiten in einer Reihe unabsehlich vieler Generationen zu seiner Bestimmung emporarbeiten kann; wo das Ziel ihm doch immer noch im Prospekte bleibt, gleichwohl aber die Tendenz zu diesem Endzwecke zwar wohl öfters gehemmt, aber nie ganz rückläufig werden kann“, ibid. (IV 278). Der Mensch ist „durch seine Vernunft bestimmt, in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaften zu kultivieren, zu zivilisieren und zu moralisieren, wie groß auch sein tierischer Hang sein mag, sich den Anreizen der Gemächlichkeit und des Wohllebens, die er Glückseligkeit nennt, passiv zu überlassen, sondern vielmehr tätig, im Kampf mit den Hindernissen, die ihm von der Rohigkeit seiner Natur anhängen, sich der Menschheit würdig zu machen“. Der Mensch muß zum Guten erst erzogen werden, ibid. (IV 279 ff.). Die (richtige) „bürgerliche Verfassung“ ist „der höchste Grad der künstlichen Steigerung der guten Anlage in der Menschengattung zum Endzweck ihrer Bestimmung“, ibid. (IV 282). Die Menschheit soll und kann selbst die Schöpferin ihres Glücks sein; daß sie es sein wird, läßt sich mit Grund erwarten, ibid. (IV 284). Die Menschengattung ist also nicht böse, sondern „eine aus dem Bösen zum Guten in beständigem Fortschreiten unter Hindernissen emporstrebende Gattung vernünftiger Wesen“. Ihr Wollen ist im allgemeinen gut, das Vollbringen aber wird dadurch erschwert, „daß die Erreichung des Zwecks nicht von der freien Zusammenstimmung der einzelnen, sondern nur durch fortschreitende Organisation der Erdbürger in und zu der Gattung als einem System, das kosmopolitisch verbunden ist, erwartet werden kann“, ibid. (IV 290). Der Mensch erkennt „aus reiner Vernunft (a priori)“ das „Ideal der Menschheit“, mit dem er sich vergleicht und nach dessen Maßstab er sich beurteilt, ibid. Ergänz, aus der Handschrift (IV 311).
Der Mensch, „der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt“, „erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann“. Er ist sich teils „Phänomen“, teils aber „ein bloß intelligibler Gegenstand“, sofern er Verstand und besonders Vernunft betätigt; welches Vermögen von den empirischbedingten Kräften unterschieden ist, da die Vernunft ihre Gegenstände bloß nach Ideen erwägt und so eine (zeitlose) Kausalität der Freiheit (s. d.) ausübt, KrV tr. Dial. 2. B. 2. H. 9. Abs. Erläuterung der Kosmolog. Idee ... (I 479—Rc 614). Der Mensch als „intelligibler Charakter“ (s. d.) ist ein Noumenon (s. d.). In der Lehre von den Pflichten wird der Mensch „nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens, welches ganz übersinnlich ist, also auch bloß nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit (homo noumenon)“ vorgestellt, „zum Unterschiede von ebendemselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subjekt, dem Menschen (homo phaenomenon)“, MSR Einl. Einteilung der MS II (III 45 f.). „Der Mensch im System der Natur (homo phaenomenon, animal rationale) ist ein Wesen von geringer Bedeutung und hat mit den übrigen Tieren, als Erzeugnissen des Bodens, einen gemeinen Wert (pretium vulgare). Selbst daß er vor diesen den Verstand voraus hat und sich selbst Zwecke setzen kann, das gibt ihm doch nur einen äußeren Wert seiner Brauchbarkeit (pretium usus), nämlich eines Menschen vor dem anderen, d. i. einen Preis als einer Ware in dem Verkehr mit diesen Tieren als Sachen, wo er doch noch einen niedrigeren Wert hat als das allgemeine Tauschmittel, das Geld.“ „Allein der Mensch als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten inneren Wert), wodurch er allen anderen vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit schätzen kann.“ „Die Menschheit in seiner Person ist das Objekt der Achtung, die er von jedem anderen Menschen fordern kann, deren er aber auch sich nicht verlustig machen muß.“ Seine Geringfügigkeit als „Tiermensch“ kann dem Bewußtsein seiner Würde als „Vernunftmensch“ nicht Abbruch tun und er soll die moralische Selbstschätzung nicht verleugnen, d. h. sich nicht knechtisch verhalten. „Werdet nicht der Menschen Knechte. — Laßt euer Recht nicht ungeahndet von anderen mit Füßen treten“, MST § 11 (III 285 f.). „Der Mensch hat den unterscheidenden Trieb, daß er sich bei seinesgleichen in Wert zu setzen (entweder in Ansehen: durch Furcht, oder Achtung: durch Bewunderung, oder Zuneigung: durch Liebe) sucht, darum weil sein Wohlleben nicht bloß von ihm, sondern anderer Menschen Hilfe abhängt“, N 1452. Vgl. Menschheit, Leben (menschliches), Ich, Subjekt, Selbst, Charakter, Person, Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Fortschritt, Böse, Rasse, Entwicklung, Vernunft.