Jänner 1906
»Dem Richter wird der Vagant F.H.
»Dem Richter wird der Vagant F.H. wegen verbotener Rückkehr vorgeführt. — Richter: Sie wissen, daß Sie abgeschafft sind? — Angekl.: O, ja! — Richter: Warum kamen Sie zurück? — Angekl.: Daß i wieder eing’spirrt wer’; jetzt im Winter gibt’s ka Arbeit not! — Das Urteil lautet auf einen Monat strengen Arrests. — Angekl. (enttäuscht): An’ Monat? — Richter: Sie können berufen! — Angekl.: Dös is mir ja z’wenig! I will drei Monat’, daß i im Summer außi kumm, wann’s wieder a Arbeit gibt! — Da es kein Rechtsmittel eines Verurteilten gegen zu geringe Strafe gibt, wird H. zur Strafverbüßung abgeführt.« — Können wir’s in dieser besten aller Welten weiter bringen? Der strafende Staat, der Momo der Erwachsenen, hat seine Schrecken eingebüßt — auf freiem Fuß sein bedeutet Schmach und Jammer. Es gibt eine Verurteilung zur Freiheit. Aber F.H. braucht nicht einmal ewas Neues anzustellen, um die Unfreiheit zu genießen, so oft er will. Er muß bloß nach seiner jedesmaligen Enthaftung und Abschiebung in die »Heimatsgemeinde« nach Wien zurückkehren. Fand er dort nicht Arbeit, so findet er hier Verpflegung. Ein Staat, der mehr Arreste als Arbeitsstätten hat und der den armen Teufel vor dem Verhungern bewahrt, weil er Gesetze hat, die der arme Teufel übertreten kann, ist ein Musterstaat. Wenn der Revertent es zu einer lebenslänglichen Verköstigung im Prytaneum bringen könnte, wäre die Straferei endgültig ad absurdum geführt. Unsinn wird Vernunft, Plage Wohltat.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 194, VII. Jahr
Wien, 31. Jänner 1906.