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April 1905

Die Interessenten des Schwachsinns

Die Interessenten des Schwachsinns der Prinzessin Louise müssen jetzt das Furchtbare erleben, daß ihre Patientin, die sie so lange betreut haben, von Pariser Ärzten für unheilbar geistesgesund erklärt wird. Das Gefühl der Bestürzung weicht aber dem freudigen Bewußtsein, in einem Staat, in dem der Hinterteil der Mächtigen die einzige Rechtsquelle bildet, vor der Gerechtigkeit geschützt zu sein und eine Tat nicht verantworten zu müssen, die zu den schlechtesten gehört, die je mißbrauchte Gewalt veranlaßt hat. Und die Freude schafft Übermut. In der letzten Plenarversammlung der Wiener Advokatenkammer wurde — versteht sich, von einer Seite, die den Ernst der Sache gefährden konnte — dem Präsidenten eine Interpellation überreicht, die sämtliche gegen ihn als Kurator der Prinzessin erhobenen Angriffe wiedergab und an ihn die Frage stellte, ob er es nicht für geboten erachte, gegen diese Angriffe klagend aufzutreten. Herr Dr. von Feistmantel gab die Erklärung ab, er sei »keineswegs in der Lage, gegen unmotivierte, geradezu verleumderische Angriffe Prozesse zu führen«. Man solle ihn, meinte er beherzt, beim Disziplinarrat anzeigen. Und die Wiener Advokatenschaft rief »Bravo«! Aber die Ethik des Standes hat sich bis heute in den bedenklichsten Fällen vor dem Disziplinarrat sicher gefühlt, und gegen eine das Ansehen des Advokaten kompromittierende Logik gewährt er von Haus aus keinen Schutz. Der Präsident der Advokatenkammer würde nur dann klagen, wenn motivierte Angriffe gegen ihn gerichtet würden. Daß sie verleumderisch waren, geht schon daraus hervor, daß er nicht klagt. Wer ihm trotz dieser Rehabilitierung vorwerfen wollte, daß er seine Pflicht als Kurator vernachlässigt habe, den könnte er sofort mit einem Brief widerlegen, durch den bewiesen ist, daß er sich lebhaft für das Wohl des Papageis seiner Kurandin interessiert und diesen sogar ein kluges Tier genannt hat. Die Klugheit des Papageis besteht allerdings vor allem darin, daß die Erklärungen, die er abgibt, nie von ihm selbst ersonnen, sondern nachgesprochen sind. Er blamiert sich nicht gern.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 179, VII. Jahr
Wien, 15. April 1905.