Jänner 1907
In einem Artikel
In einem Artikel »Humanität und Prostitution« hat ein christlich-soziales Blatt das letzte Wort, das zu dieser Frage überhaupt zu sagen ist, ausgesprochen. Zunächst setzt der leider anonyme Verfasser auseinander, daß man den Prostituier ten »die Bonifikationen des Staatsschutzes, die jeder anständige Bürger beanspruchen darf, nicht angedeihen lassen kann, ohne das ehrliche Gewerbe herabzusetzen«. »Mit demselben Recht«, ruft er, »dürfte ja jeder Räuber und Mörder auf seinen Beruf pochen und denselben anerkannt und vom Staate geschützt wissen wollen«. Hier könnte man freilich einwenden, daß der Vergleich insofern nicht stimmt, als ja die Tätigkeit der Räuber und Mörder ihren Klienten nicht ganz dasselbe Vergnügen bereitet wie die Tätigkeit der Prostituierten den Klienten der Bor delle, und daß sich zum Beispiel Staatsbeamte, Offiziere und sogar christlich-soziale Redakteure nicht scharenweise all abendlich in den Räuberhöhlen und Mördergruben zu versammeln pflegen. Doch das macht nichts; der Verfasser will ja nur sagen: »Wie jener (der Mörder) sich am Gute des Nächsten vergreift und den Leib mordet, so wirkt die Dirne nur zu oft auch ehestörend und der Verkehr mit ihr mordet die Gesundheit des Vaters und ungeborner Geschlechter«, und für dieses Argument wird wohl jeder Leser, den die christlich-soziale Presse in Mauer-Öhling hat, Verständnis zeigen. Nicht minder für die praktischen Vorschläge, die der Verfasser macht. Er ist radikal. Der Dirne müßte »der Weg zum Laster auf jede mögliche Art erschwert, ja verleidet werden«. Wie aber macht man das? Nichts einfacher. »Wenn die öffentlichen Häuser als Naturnotwendigkeit erkannt werden, so hat man sie nicht als Vergnügungsetablissements, in welchen man an der Seite von mehr oder minder kostümierten Damen bei reichlichen Champagnerlibationen der Göttin der freien Liebe huldigt, sondern als Bedürfnisanstalten zu behandeln, die ohne jeden Sinnenkitzel nur ihrem Zweck dienen Ob aber die Metze, die sich ihres bürgerlichen Rechtes begab, als sie sich jenseits von Moral und Gesetz stellte, ihren Lohn allein behalten oder mit der Bordellmutter zu teilen hat, ist Nebensache. Zu viel Humanität wird dieser Kaste nur neue Anhängerinnen zuführen, während drakonische, alle Vergnügungen und Eitelkeit ausschließende Maßregeln eher abschreckend wirken dürften.« In der zügellosen Putzsucht sei der Urgrund der Prostitution zu finden. »Die seidenen Hemden und Strümpfe scheinen eben so mancher viel verlangenswerter als die grobleinene Arbeitsschürze.« Das ist nur zu wahr. Aber ungeachtet der Erfahrung, daß die seidenen Hemden und Strümpfe auch so manchem Besucher der Metze verlangenswerter scheinen als die grobleinene Arbeitsschürze, muß in den Bordellen auf größere Einfachheit gesehen werden. Wenn die Prostitution eine Folge der Putzsucht ist, so ergibt sich von selbst die Forderung, daß man dem Bordellwesen die Formen klösterlicher Lebensweise aufpräge. Nur kein Sinnenkitzel! Einfache, schmucklose Büßerhemdchen werden die Mädchen ganz gut kleiden, während die aufgedonnerten Toiletten einerseits die sittliche Entrüstung der Besucher erregen, anderseits mit Erfolg auf deren verwerflichste Instinkte abzielen. »Wie sehr korrumpierend solche Brutstätten des Lasters wirken, hat die Depravierung aller jener Organe dargetan, die, zur Kontrolle berufen, ihrer Pflicht in der schwülen Atmosphäre des Freudenhauses ebenso vergessen hatten wie die Inwohnerinnen Tugend und Ehre. Solche auf gemeinem Gewinn beruhende Institute sind Pestbeulen und müssen anderen, zielvoll und anständiger geleiteten Platz machen, wenn sie nicht überhaupt ganz aus der Welt zu schaffen sind. Es wird sich dann zeigen, ob die Prostitution ein wirklich notwendiges Übel ist, wenn sie alles Flitters, Tandes und Sinnenkitzels entbehren muß.« So war’s — wörtlich — am 13. Jänner der Zeitrechnung nach dem Prozeß Riehl zu lesen. Wie mag der Artikel aus der Anstalt in Mauer-Öhling geschmuggelt worden sein? Es heißt, eine Disziplinaruntersuchung sei eingeleitet worden, habe aber bisher zu keinem Resultat geführt. Die Anstaltsleitung stellt sich mit Recht auf den Standpunkt: Hoffnungslose Fälle nehmen wir auf; aber nicht in einem Stadium, in dem schon die Mitarbeit an einem christlich-sozialen Blatt stündlich eintreten kann.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 217, VIII. Jahr
Wien, 23. Jänner 1907.