Paris und Wien
»(Der entrüstete Polizist.) Um 6 Uhr abends wird auf dem Boulevard Haußmann eine Dame von einem Herrn verfolgt. Sie dreht sich um und ruft: ›Sie sind ein ganz unverschämter Mensch!‹ Das erregt die Aufmerk-samkeit der Vorübergehenden, man bleibt stehen und gleich nähert sich ein Polizist. Die Dame erklärt dem Manne des Gesetzes den Grund ihrer Erregung, während der Zudringliche sich verteidigt: ›Ich habe die gnädige Frau nie im Leben beleidigt, sondern ihr nur hundert Francs angeboten ...‹ Der Polizist ruft erstaunt: ›Hundert Francs!‹ und wendet sich dann entrüstet zu der Dame: ›Hundert Francs hat der Herr Ihnen angeboten und dann beschweren Sie sich noch? Ich glaube, Sie wollen sich über die Polizei lustig machen ...‹ Sagte es und ging in ehrlichem Zorn von dannen.«
»(Der entrüstete Polizist.) Die Hilfsarbeiterin Karoline W. sprach kürzlich abends auf der Straße einen Sicherheitswachmann an und machte ihm einen galanten Antrag. Sie nannte ihm, gleichsam um sein Gewissen zu beruhigen, zwei andere Wachleute, zu denen sie ebenfalls in zarten Beziehungen gestanden sei. Der Hüter des Gesetzes fühlte sich aber durch die Zumutung beleidigt und arretierte das Mädchen. Gestern war die W. vor dem Bezirksgerichte Landstraße wegen Wachebeleidigung angeklagt. Sie beteuerte, jeder Gedanke an eine Beleidigung sei ihr ferne gewesen; sie habe die ehrlichsten Absichten gehabt. Der Richter sprach die Angeklagte frei, da in dem inkriminierten Antrage eine Wachebeleidigung nicht erblickt werden könne.«
Vgl.: Die Fackel, Nr. 236, IX. Jahr
Wien, 18. November 1907.