Konzessionierte Schnüffler
Mai 1904
Die Ministerien des Handels und des Innern kamen zu der Erkenntnis: »Es hat sich ergeben, daß die Tätigkeit mancher dieser Unternehmungen Mißstände und insbesondere sehr bedauerliche Eingriffe in das Privat- und Familienleben hervorgerufen hat, durch die nicht nur jene, die die Tätigkeit derartiger Institute in Anspruch nahmen, sondern auch dritte Personen folgenschwere, ja mitunter geradezu verhängnisvolle Schädigungen ihrer Interessen zu beklagen hatten.« Und die Ministerien zogen die Konsequenz aus solcher Erkenntnis und verboten die Privatdetektivbureaus? Nein, sie erhoben sie gerade deshalb zum Rang eines konzessionierten Gewerbes. Der Staat, der die Prostitution für der Übel schlimmstes erklärt, erteilt die Befugnis zu ihrer Ausübung. Aber die Prostitution verletzt kein Rechtsgut, während die Ausübung des Detektivhandwerks eine permanente Bedrohung sämtlicher bestehenden Rechtsgüter darstellt. Ehrenbeleidigung durch Eingriff ins Privat- und Familienleben, Provokation zum Ehebruch, Unglaubwürdigmachen von Zeugen: das ist so das normale Arbeitspensum, das ein anständiges Detektivbureau an einem Tag leistet. Betrug, Erpressung, Anstiftung zu Meineid und zu anderen strafbaren Handlungen sind Fleißaufgaben, und das, was manchmal wie Untreue gegen den Auftraggeber aussieht, ist eben der außergewöhnliche Eifer, der seinen Ehrgeiz darein setzt, zwei Herren zu gleicher Zeit zu dienen. Der Staat lohnt solches Streben. Er verbietet das Gewerbe nicht, er erlaubt es. Wenn die Niederträchtigkeit den Befähigungsnachweis erbringen kann, mag sie bestehen bleiben. Ihr schadet das bißchen Bevormundung nicht, und den guten Staat macht es selig. So ward denn die Schnüffelei ein konzessioniertes Gewerbe. Nur »vollkommen verläßliche, unbescholtene Personen« werden sie betreiben dürfen. Ist’s nicht, als ob die Polizei, die Lizenzen für die Prostitution ausgibt, von ihren Bewerberinnen ein tadelloses Vorleben verlangte? Die sogenannte Sicherheitsbehörde hat längst die Konzessionierung der Privatdetektivbureaus empfohlen. Offenbar aus tiefster Dankbarkeit für die Hilfe beim Aufspüren von Verbrechen, die schon manchem Polizeirat zur Beförderung verholfen und dafür schon manchem Privatdetektiv die sorglose Ausübung der unsaubersten Praktiken ermöglicht hat. Nun hat der alte Geheimbund seine öffentliche Sanktion erhalten und die Gefährdung des Privatlebens der Staatsbürger ist jener Konzessionspflicht unterworfen, die in Wirklichkeit ein Recht, jenem scheinbaren Zwang, der die Freiheit für die Schnüffler bedeutet. Nicht Konzession, nur das Strafgesetz könnte über die gefährliche Nähe der Verdachtsfabriken beruhigen. Aber wenn »Gebärdenspäher und Geschichtenträger des Übels mehr auf dieser Welt getan, als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten«, so werden sie sich von jetzt an auf ihr Patent berufen können. Freilich haben »Bewerber um eine Konzession genau anzugeben, welches Gebiet und welche Tätigkeit sie zum Gegenstande ihres Geschäftsbetriebs zu machen beabsichtigen. Ausgeschlossen ist alles, was vom Standpunkt der öffentlichen Sicherheit oder der Sittlichkeit bedenklich erscheint«. Aber vielleicht verlangt die Polizei auch von den Prostituierten, daß sie das Gebiet und die Tätigkeit genau bezeichnen, die sie zum Gegenstand ihres Geschäftsbetriebs zu machen beabsichtigen, und schärft ihnen ein, daß sie alles, was vom Standpunkt der Sittlichkeit bedenklich erscheint, zu vermeiden haben. Hoffentlich hat die Behörde mit ihrer Verordnung nicht bezweckt, den armen Privatdetektivs, die ohnehin so sehr unter der Konkurrenz der Journalistik zu leiden haben, die letzte Möglichkeit einer Betätigung zu sperren. Was würde denn die schönste Konzession nützen, wenn die öffentliche Sicherheit und die Sittlichkeit gewahrt bleiben müßten? So schlimm kann’s nicht gemeint sein, und das ›Neue Wiener Journal‹, das dem verwandten Gewerbe seine Sympathie nicht versagen kann, glaubt so felsenfest, der Lebensnerv des Schnüfflertums werde nicht angetastet werden, daß es — wenn’s nicht doch etwa Heuchelei des Konkurrenten ist — geradezu die Hoffnung ausspricht, »daß nach Inkrafttreten der erwähnten Ministerialverordnung auch bei uns in Osterreich dieses Gewerbe einen Aufschwung nehmen wird«. Die Tischler legen den Hobel hin, die Schlosser seufzen über die schlechten Zeiten und selbst die Glaser haben, trotz den Gelegenheiten, die der Nationalitätenstreit bietet, wenig zu tun. Nur das Gewerbe des Privatdetektivs nimmt in Osterreich einen »Aufschwung«. Aber dem Privatdetektiv soll nach der Darstellung der Blätter geradezu »die Wahrung und der Schutz des Familienlebens zur strengsten Aufgabe gemacht« werden. Und wer sollte dazu berufener sein als gerade die Männer, die tagtäglich unter der Chiffre »In flagranti« annoncieren, »phrasenlos, unauffällig und gentlemanlike arbeiten« und sich in dieser verderbten Welt allein noch »vornehmste Gesinnungstüchtigkeit« bewahrt haben? Die Verordnung ist so witzig abgefaßt, daß an dem Ernst der Absicht, das Gewerbe zu fördern, nicht gezweifelt werden kann. Von den Bewerbern um die privatpolizeiliche Konzession fordert die Behörde außer einem tadellosen Vorleben auch noch eine genügende »allgemeine Bildung«. Es mag zweifelhaft sein, ob diese Qualitäten zur Erlangung eines Ministerportefeuilles in Österreich notwendig sind. Unerläßlich sind sie bei der Ausübung des Schnüfflerhandwerks. Sonst könnte ja jeder, der etwa als Politiker nicht reüssiert hat, die Karriere des Privatdetektivs ergreifen. Und zwar lediglich auf Grund einer Eigenschaft, die die Verordnung beim Bewerber um die Detektiv-Konzession voraussetzt: Er muß »den Mangel jedes Anstandes bei der Sicherheits- oder Sittenpolizei nachweisen können«.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 162, VI. Jahr
Wien, 19. Mai 1904.