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Empfindsam

Empfindsam, ein Ausdruck, der die Signatur einer ganzen Periode treffend charakterisiert. Obwohl er bereits von Frau Gottsched 1757 verwendet wird und in der Literatur von 1762 ab ebenso wie Empfindsamkeit wiederholt erscheint (vergl. Gomberts Belege im Jahresbericht des Königl. Gymn. zu Groß-Strehlitz 1897, 16 ff.), wird er doch erst durch Bodes Sterne-Übersetzung (1768) wirklich zum Schlagwort beflügelt. In der Vorrede dieses viel gelesenen und wiederholt aufgelegten Buches schrieb der Herausgeber, ein Freund, d. i. Lessing, habe ihm geraten: „Es kommt darauf an, Wort durch Wort zu übersetzen, nicht eines durch mehrere zu umschreiben. Bemerken sie sodann, dass sentimental ein neues Wort ist. War es Sterne erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden, so muss es eben darum auch seinem Übersetzer erlaubt sein. Die Engländer hatten gar kein Abjektivum von sentiment, wir haben von Empfindung mehr als eines, empfindlich, empfindbar, empfindungsreich, aber diese sagen alle etwas anders. Wagen sie empfindsam! wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt, bei der viel Mühe ist, so kann ja auch eine empfindsame Reise eine Reise heißen, bei der viel Empfindung war. Ich will nicht sagen, dass sie die Analogie ganz auf Ihrer Seite haben dürften, aber was die Leser vors Erste bei dem Worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach dabei zu denken gewöhnen.“

Wie rasch der Ausdruck seitdem als Schlagwort sich einbürgerte, hat Feldmann ZfdW. 6, 307 ff. anschaulich dargetan. Kein Wunder, dass die geradezu zu Tode gehetzten Worte empfindsam und Empfindsamkeit, die so recht eine allgemein obwaltende Zeitstimmung wiedergaben, schon in wenigen Jahren ihren guten Klang einbüßten und teils dem Fluch der Lächerlichkeit verfielen, teils zu leeren Modewörtern entwertet wurden.

Dies läßt sich schon seit Anfang der siebziger Jahre beobachten. Vgl. Gerstenbergs spöttische Kritik (Deutsche Lit.-Denkm. Nr. 128, 327ff.) am 2. März 1770, sowie Feldmanns Hinweis auf Voß (1773) und E. Stosch, Kritische Anmerkungen über die gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache (1775) S. 209: „Die Empfindsamkeit, ist also an sich etwas gutes, aber man kann sie auch übertreiben, und darin zu weit gehen, wenn man nämlich, durch die geringsten Kleinigkeiten, sich gar zu sehr rühren und in Bewegung setzen läßt, welche solcher Empfindungen nicht wert sind. So sind manche, jetzt gar zu empfindsam geworden. Die Nachahmer des Norick, treiben es zuweilen so weit, dass ihre Empfindsamkeit lächerlich wird.“

Es war ja eben die Periode des Gefühlskultus, des Werther-(1774) und Siegwartfiebers (1775/6). Im folgenden Jahrzehnt werden der Gegner immer mehr und ihre Angriffe immer heftiger. Vgl. den satirischen Moderoman Timmes „Der empfindsame Maurus Pankrazius Ziprianus Kurt, auch Selmar genannt“ (1781) oder Carl Wezels Roman „Wilhelmine Arend, oder die Gefahren der Empfindsamkeit“ (1782), Goethe schrieb (1787) einen ironischen „Triumph der Empfindsamkeit“, und Hermes offenbart seinen ganzen Groll gegen das verhaßte Schlagwort, Zween Märtyrer 1, 138 (1789) in der Äußerung: „Sie hatte nichts von jener Empfindsamkeit — und möchte doch dies Schandwort, welches unser Zeitalter brandmarkt, vergessen werden, sobalb alle diejenigen im Grabe liegen werden, deren Abirrung es heute bezeichnet.“

Wenn aber auch Schubart in seiner Vaterlandschronik (1789) S. 785 solche Abnutzung lebhaft bedauert: „So ist es auch dem herrlichen Worte empfindsam unter uns gegangen. Indem es blödsinnige Skribler jedem greinenden Buben, und jedem Mädchen von viel Herzblut und wenig Hirn beilegten; so wurde es lächerlich“ — der Prozeß war doch nicht aufzuhalten.

Feldmann zeigt mit einer verschwenderischen Fülle von Belegen, wie diese ganze Wortsippe modisch ausgebeutet wird. Daraus seien nur die polemischen Schlagworte: empfindeln, Empfindelei, Empfindler usw., die seit Ende der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts reichlich nachgewiesen werden, noch hervorgehoben. Außerdem möge auf die speziell von Hamann geprägten Ausdrücke empfindselig und Empfindseligkeit (vergl. 4, 65 f. und 109 ff.) verwiesen sein.

Vgl. auch DWb. So ist ein ursprünglich ziemlich farbloser Ausdruck plötzlich zum Schlagwort gesteigert, aber bereits in kurzer Zeit wieder zum Modewort verflüchtigt worden, das allerdings eine ganze Reihe schlagender Tadelsworte erneut hervorruft.