Errungenschaft
Errungenschaft, dieser Jahrhunderte alte, aber erst neuhochdeutsche Ausdruck der Rechtssprache wird unmittelbar nach der Berliner Revolution 1848 zum weithin flatternden Fahnenwort, um die den Regierungen abgenötigten Zugeständnisse zu kennzeichnen. Gombert zitiert ZfdW. 3, 174 aus einem einer Volksversammlung vom 23. März 1848 vorgelegten Ausrufe: „Das Recht zu politischen Versammlungen .. gehört .. selbstredend zu den Errungenschaften der Revolution.“ Meinhold erwähnt das „neue Berliner Wort „Errungenschaft"“ S. 7, um es S. 42 geradzu als ein recht dummes zu bezeichnen. Hebbel nennt 10, 76 (am 25. April 1848) „Konstitutionen Errungenschaften, keine Gnadengeschenke“; das Volksblatt aber höhnt in einem vom 24. Mai datierten Gedichte (1848, 766):
„Das ist der Freiheit gold’ne Zeit,
Erhört sind uns’re Bitten:
Errungenschaft so groß und weit
Hat nun ein Volk erstritten.“
Sehr rasch bildete man auch die besondere Schattierung Märzerrungenschaften. Siehe Arnolds Beleg ZfdW. 6, 363. Ferner Laubes stark ironische Zitate über die „März-Errungenschaften des deutschen Volkes“ (D. deutsche Parl. 2, 112 f.), sowie Bismarcks Bemerkungen über die „märzerrungenen Stellungen“ einzelner Minister, Polit. Reden 1, 85 (am 21. April 1849). Spätere Wortbildungen noch bei Sanders, Ergb. S. 425. Die ironische Kontrastbildung Novembererrungenschaften bringt Gombert aus dem Dez. 1848 bei (nach Wrangels Einzug in Berlin!).
Die Geschichte des Wortes Errungenschaft selbst hat Arnold in lehrreicher Darstellung geschrieben. Er zeigt, wie dieser spezifisch juristische Ausdruck für das von den Eheleuten während der Ehe erworbene Vermögen sich allmählich herausbildet, im Jahre 1582 zum ersten Male nachweisbar ist, und wie dies vermutliche Erzeugnis einer rheinpfälzischen Kanzlei seit dem 17. Jahrhundert in die Wörterbücher aufgenommen und so andauernd weitergeführt wird. Während des ganzen 18. Jahrhunderts wird der Ausdruck noch als Kanzleiwort empfunden trotz gelegentlicher Anwendung sogar in der schönen Literatur (durch Wieland 1763). Auch Heynatz 1, 384 (1796) konstatiert: „Errungenschaft für eigen erworbenes Vermögen, welcher Ausdruck in der rechtsgelehrten Sprache seiner Kürze wegen nicht ganz zu entbehren ist.“
Erst im 19. Jahrhundert wird der juristische Nebensinn allmählich abgestreift. Görres 2, 110 (1814) hofft, dass die kommende Zeit „kein unverächtliches Erbe aus ihrer Errungenschaft“ den folgenden Geschlechtern überliefern werde. Auerbach spricht 20, 119 (1846) von „geistigen Errungenschaften“, und die Grenzb. 1847, 2. Sem. 3, 291 erwähnen „ein ganzes Jahrhundert mit seiner Revolution, seinen halben Errungenschaften und großen Enttäuschungen“.
Die außerordentlich häufige Verwendung in den Revolutionsjahren nutzte die Schlagkraft des Ausdrucks stark ab, so dass jetzt meist nur ein leiser ironischer Ton mit anklingt, am deutlichsten noch in den von Sanders 2, 763b aufgezählten Variationen Verlorenschaft (Gutzkow) und Versprochenschaft (Scherr).