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Lachen und Sprache

Reine Kritik ist im Grunde nur ein artikuliertes Lachen. Jedes Lachen ist Kritik, die beste Kritik. Wenn durch Zufall oder Kunst zwei Dinge zueinandergebracht werden, die durchaus nicht zueinander passen, so lacht der natürliche Mensch. Zum Lachen müßte ein Mensch reizen, der versuchen wollte, etwa die Erde an einem Felsenzipfel anzufassen, um sie so der Sonne näher zu bringen. Tragikomisch wäre der Clown, der im Zirkus bis zur Spitze einer freistehenden Leiter emporkletterte und dann versuchen wollte, seine Leiter zu sich emporzuziehen. Er würde das Schicksal der Philosophen teilen und herunterfallen. Wer die Naivität verloren hat, lacht auch den Clown nicht mehr aus. Wer sie behalten hat, der muß auch über die Sprachkünstler lachen, die auf Wortleitern in die Höhe klettern möchten und glauben, sie könnten während des Aufstiegs das Wort von der Erde lösen. Und die Gefahr dieser Schrift, das Gewagte des Versuchs besteht nur darin, dem Lachen einen artikulierten Text unterlegt zu haben, so dass es für die Masse herauskommen könnte wie ein Lachen in der Oper.

Aber ganz unmöglich wäre es doch nicht, Kritik der Sprache sprechend zu üben. Die Sprache in ihrer systematischen Entwicklung ist eine Pyramide geworden, welche breit und roh auf der Erde lastet und in eine verwitterte Spitze ausgeht, die je nach dem Geschmack des Pyramidenführers und Pyramidenerklärers den Namen Gott, Begriff, Idee, Materie oder Kraft erhält. Wer die verwitterte Spitze mitsamt den Fremdenführern herunterholen will, der muß sein Handwerk von den Maurern lernen, die die Ziegel zusammengeklebt haben. Er muß entweder nachklettern und das gemeinste aller Kunstwerke abtragen von dem verwitterten höchsten Stein bis herunter zum sandigen Grund, oder er muß den sandigen Grund bloßlegen, bis der plumpe Bau in sich selbst zusammenstürzt. Beides kann nicht die Kraft eines Einzelnen. Pharaonenmacht und Sklavensinn von Millionen hat den stumpfen Koloß getürmt, absolute Macht und unbedingte Nachfolge nur könnte in jahrelangem Bemühen das niederträchtige Denkmal wieder stürzen. Weil aber der Einzelne schwach ist und ungeduldig, darum nimmt er den Explosivstoff des Lachens zu Hilfe, das Bauwerk fliegt auf, und es ist schlechter Lehm gewesen, und in seinem geheimnisvollen Innern vergessene Götzen, bemalte Särge, balsamierte Mumien und Moder: die Gespenster unserer eigenen Vergangenheit.

Das Lachen, das ich meine, ist ein großes, heiliges Lachen. Ein starkes Lachen, stärker als das Lachen der Aristophanes und Lukianos, der Babelais und Balzac, der Lichtenberg und Heine. Swift hätte dieses äußerste Lachen gehabt, wenn er rein gewesen wäre von Ichsucht; Voltaire, wenn er kein menschlicher Mensch gewesen wäre. Wohl aber hat Voltaire doch gesagt (Homme aux quarante écus): "Il me prend quelquefois envie de rire de tout ce qu'on m'a dit. — C'est une fort bonne envie." Und der recht ernst zu nehmende Lamettrie hat gesagt (Bergmann: "Die Satiren des Herrn Maschine" S. 25): "Croyez que la bonne plaisanterie est la pierre de touche de la plus fine raison."

Wer also in seinem Denken das Denken kritisierte, das heißt mit Hilfe der Sprache die Sprache selbst untersuchen wollte, gleicht eigentlich einem Physiologen, der lebendigen Leibes sein eigenes Gehirn bloßlegen und damit experimentieren wollte, was schon darum seine Schwierigkeiten hätte, weil der Forscher durch die schweren operativen Eingriffe in seinen Fähigkeiten doch herabgestimmt werden müßte. Und so bleibt dem Verfasser nichts weiter übrig, als nach dem Beispiel des weisen Münchhausen um den Baum der Erkenntnis so lange und so schnell herumzulaufen, bis er sich selbst beim Schöpfe zu fassen kriegt. Als Opfer hat er Schmerz zu leiden, als Sieger kann er nicht einmal lachen. Die niederste Erkenntnisform ist in der Sprache; die höhere ist im Lachen; die letzte ist in der Kritik der Sprache, in der himmelstillen, himmelsheiteren Resignation oder Entsagung.

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