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Spencer

Meine begriffliche Ablehnung der Evolution richtet sich aber nicht so sehr gegen Darwin selbst als gegen die philosophischen Begründer des Darwinismus. Darwin selbst ist ein wackerer Feind von Abstraktion, ist noch kein Darwinist. Für gewöhnlich entspricht er so sehr meinem Ideal eines Forschers, dass er überhaupt keine Schlüsse zieht, keine allgemeinen Sätze aufstellt. Für gewöhnlich lesen wir seine Bücher so, als ob sie gar nicht durch Sprache vermittelt wären, als ob dieser Heros des Aperçu mit uns zwischen allen Einzeldingen umherginge und stumm mit seinem Finger auf Ähnlichkeiten zeigte, die vor ihm noch kein Mensch beobachtet hatte. Nicht eine neue Philosophie tut sich uns da auf, sondern nur einerseits die Gewißheit, dass die alten Klassifikationen und die alten Abstraktionen auf unvollständigen Beobachtungen beruhen, und anderseits die Ahnung, dass eine übermenschliche, vollständige Kenntnis aller wirkenden Ursachen den fabelhaften Begriff der Zweckursache endlich würde vernichten können. Erst der philosophische Darwinismus hat (teils vor Darwin) die Lehre von der Evolution aufgestellt; meine Kritik dieses Begriffs wendet sich also nicht gegen Darwin, sondern gegen den jüngsten Mythologen, gegen Herbert Spencer.

Herbert Spencer hat das unleugbare Verdienst, eine fast unübersehbare Menge von wissenschaftlichen Tatsachen unter einem einzigen Gesichtspunkt vereinigt zu haben. Was in unserer Zeit der Arbeitsteilung unmöglich schien, das hat er mit unerhörtem Fleiße bewältigt. Mag man ihn dafür mit Aristoteles auf eine Stufe stellen.

Selbstverständlich sind die zahllosen Beobachtungen, die in der Zeit zwischen beiden Männern von Naturforschern gemacht worden sind, nicht umsonst gewesen. Das Wissen Spencers verhält sich zu dem Wissen des Aristoteles wie das eines Professors der Astronomie zu der Kalenderweisheit eines guten Pfarrers. In einem aber ist Spencer dem stupenden Kompilator des Altertums ganz gleich, dass er den allgemeinsten Begriff für den obersten Gesichtspunkt hält, dass er also die Gesamtheit unserer Welterkenntnis aus den leersten Worthülsen herausschälen möchte. Auch er unterliegt dem Fluche alles Philosophierens, gerade erst aus gedroschenem Stroh nahrhafte Brotfrucht gewinnen zu wollen. Herbert Spencer täuscht über die Scholastik seiner obersten Grundsätze durch die überwältigende Fülle von Beispielen, die er aus der leblosen Natur, aus der Biologie und aus der Soziologie herbeischleppt. Während aber Darwin für gewöhnlich nur Beispiele gibt und die Schlüsse dem Leser überläßt, schreitet Spencer über seine Beispiele hinweg von Abstraktion zu Abstraktion, von scholastischen Worten zu scholastischen Sätzen. Über hundert Seiten braucht er, um sein Evolutionsgesetz zu formulieren, und gelangt endlich ("Grundlage der Philosophie", deutsch von Vetter S. 401) zu folgender Definition, deren sich kein Logiker des Mittelalters zu schämen hätte: "Entwicklung ist Integration des Stoffes und damit verbundene Zerstreuung der Bewegung, während welcher der Stoff aus einer unbestimmten, unzusammenhängenden Gleichartigkeit in bestimmte, zusammenhängende Ungleichartigkeit übergeht und während welcher die zurückgehaltene Bewegung eine entsprechende Umformung erfährt." Für meine Leser verrät dieser letzte Schluß von Spencers Weisheit wohl sofort das durchbohrende Gefühl ihres Nichts. Damit mir aber, der ich mich frei gemacht habe von der toten Sprache älterer Philosophen, nicht dieser Engländer als der berufene Sprecher zeitgenössischer Wissenschaftlichkeit entgegengehalten werde, muß ich mich der schwierigen und undankbaren Aufgabe unterziehen, auch die Evolutionsphilosophie als ein sehnsüchtiges Wortgebäude ihres Begründers nachzuweisen. Ich brauche mich dann mit dem Evolutionsgeschwätze nicht mehr abzugeben, das aus dem Munde von Spencers Nachtretern im zweiten usw. Gliede unsere Akademien und Universitäten, unsere Festsäle und Volksversammlungen erfüllt und nach dem Glauben der Zeitungsschreiber und Zeitungsleser so etwas wie die Lösung des Welträtsels enthält.