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Schopenhauer

Schopenhauer, dessen Atheismus fest und unverschleiert erscheint und in dessen System der Deus des Spinoza kein Obdach mehr findet, macht dennoch seinen Unterschied zwischen Kirche und Religion, wobei ich ganz beiseite lasse, als nicht hiehergehörig, dass Schopenhauer sonst, der Staatsmann gewissermaßen, der konservative Mann, die Religiosität als Volkszaum sehr hochstellt und sie von der Wissenschaft schonend behandelt wissen will, wie er denn auch selbst in seinem glänzenden Dialog "über Religion" den Streit unentschieden läßt. Aber auch als unpolitischer Denker, als Diener der Wahrheit, ist und bleibt Schopenhauer im hergebrachten Gleise, weil er ein Diener des Worts ist. Die Kirche sei verabscheuungswürdig, weil sie Handel treibe mit dem metaphysischen Bedürfnis des Menschen; aber das metaphysische Bedürfnis selbst sei da und habe die Menschen zu allem Guten und Schönen getrieben, z. B. zur Philosophie.

Dieses metaphysische Bedürfnis läßt ihm die Religion in einem heiteren Lichte erscheinen und sogar das Christentum. Nun aber darf man nicht vergessen, dass Schopenhauer darum nicht religionslos war, weil er kein Christ mehr war. Christ war er freilich nicht, sowenig als Goethe einer war. Während aber Goethe sich bei seinem überlegenen Nichtwissen beschied, baute sich Schopenhauer aus christlicher Heilsordnung und buddhistischer Seelenwanderung ein neues Wortgebäude zusammen, das darum nicht weniger Religion ist, weil außer dem Stifter nicht viele wortwörtlich daran glauben. Auch wende man nicht ein, diese indische Lehre von einer Fortexistenz nach dem Tode sei nicht seine Religion, sondern seine Weltanschauung gewesen. Wir wissen, dass Weltanschauung eben auch nichts ist als die Summe der in den Worten niedergeschlagenen ererbten und erworbenen Anschauungen, mit denen die neuen Eindrücke der Wirklichkeitswelt sich vertragen müssen, wenn sie sich erhalten wollen. Dies, das relative Apriori, ist eben auch Religion; nur dass die einst so herrschsüchtige Religion bescheiden geworden ist und das Leben dem Leben überläßt, das metaphysische Bedürfnis aber am liebsten den ganzen Menschen gefangen nehmen möchte.

Dieser tiefe Mystizismus Schopenhauers ist eine neue, eine gottlose Religion, aber doch wieder Religion. Es geschieht ihm ganz recht, dass er dafür von Spiritisten und anderen "Okkultisten" wie ein Heiliger verehrt wird; die müssen sich freilich gerade an seine schwächsten Stellen halten, wie Schmeißfliegen an die Wunden der Pferde.

Diese Theologie seines metaphysischen Bedürfnisses ist schon versteckt nachzuweisen in dem Grundgedanken seines Systems, in der unzähligemal erklärten, bewiesenen, bejubelten und hinausgekrähten Entdeckung, dass das "Ding-an-sich" unser wohlbekannter Wille sei. In meinem "Wörterbuch der Philosophie" habe ich eine Kritik dieses Begriffs unter dem Schlagwort "Schopenhauer (Wille)" versucht. Ich zeige, wie Schopenhauer eigentlich nichts weiter behaupten durfte, als dass der angeblich wohlbekannte Wille und irgend eine angeblich unbekannte Naturkraft (z. B. Gravitation) im Grunde nur zwei gleicherweise unverständliche Worte seien, dass sie vielleicht ein und dasselbe bedeuten, dass es aber vermessen sei, das eine Wort eher als das andere auf beide anzuwenden. Er hätte sein Werk mit gleichem Recht "Die Welt als Schwerkraft und Vorstellung" oder "Die Welt als Elektrizität und Vorstellung" nennen können. Er sah aber in der Natur Zwecke, im Leben einen Zweck, ihm imponierte das krabbelnde Leben mehr als die heilige Stille der Pflanzenwelt, darum glaubte er die Bezeichnung vom Höchsten, vom Menschen, nehmen zu müssen und schuf einen neuen Wortfetisch, seinen "Willen", der sich dann in nichts von Spinozas Deus und wenig genug vom Gott des gebildeteren Pöbels unterschied.