Skepsis und Mystik
Dieser äußerste Skeptizismus, der doch wohl die eine Seite meiner ganzen Lehre ist, läßt mich wieder die leise Furcht empfinden, nicht ohne Lächeln empfinden, es könnten die aufmerksamen Verfechter des kirchlichen Dogmatismus auch aus der Sprachkritik Wortwaffen schmieden, so wie sie noch immer aus jeder skeptischen Lehre Gründe gegen die aufklärende Wissenschaft geschöpft haben. Bin ich doch im ersten Aufschrei gegen den Sprachaberglauben so weit gegangen wie die zynische Gaunersprache, die auf französisch für langue "la menteuse" sagt, auf englisch "prating cheat (die schwatzhafte Betrügerin, "Bescheißerin"). Und habe keinen Zweifel gelassen, dass ich die Unzuverlässigkeit der Sprache auf Gebiete ausdehne, an welche die Gaunersprache nicht zu denken wagt. Der skeptische Naturforscher, der mit mir die Trüglichkeit aller seiner Gesetze erkannt hat, arbeitet lächelnd weiter, als ob es Gesetze gäbe. Der konsequente Nominalist kann sich mit einem "als ob" nicht zufrieden geben und wendet seinen resignierten Haß gegen la menteuse.
Ich lasse den ethischen Skeptizismus beiseite. Den hat der alte Huet (De la faiblesse de l'esprit humain S. 242) mit einem prächtigen Worte abgetan; "Autre chose est de vivre, autre chose de philosopher. Lorsqu'il s'agit de conduire sa vie . . ., nous cessons d'être philosophes . . . Nous devenons idiots, simples, crédules, nous appellons les choses par leurs noms."
Aber die erkenntnistheoretischen Skeptiker sind im Kampfe mit dem philosophischen Dogmatismus immer wieder negative Dogmatiker geworden, während sie Kritiker bleiben wollten. Nur die ganz großen Skeptiker waren zugleich Mystiker. Gegen die negativen Dogmatiker hatten geistreiche Verfechter des alten Glaubens leichtes Spiel, weil ein lieb gewordener Kinderglaube schöner scheint als ein unfertiger neuer Glaube, der ebenso tyrannisch auftritt. Ich habe mich bemüht, in meinen Darlegungen auch die versteckteste Neigung zur Mystik jedesmal zu unterdrücken, so sehr ich auch für heilige Sonntagsstunden die großen Mystiker lieben mag, die stammelnd beredten "Stummen des Himmels". Hier aber, wo ich notgedrungen von dem Verhältnisse zwischen Sprachkritik und dem Begriffe Religion reden muß, möchte ich einige Sätze des edlen Meisters Eckart voraufschicken. "Einer unserer ältesten Meister, der die Wahrheit schon lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, den dünkte es, dass alles, was er von den Dingen sprechen könnte, etwas Fremdes und Unwahres in sich trüge; darum wollte er schweigen. Er wollte nicht sagen: Gebt mir Brot, oder gebt mir zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von den Dingen sprechen, weil er von ihnen nicht so rein sprechen könnte, wie sie aus der ersten Ursache entsprungen wären; darum wollte er lieber schweigen, und seine Notdurft zeigte er mit Zeichen der Finger. Da nun er nicht einmal von den Dingen reden konnte, so schickt es sich für uns noch mehr, dass wir allzumal schweigen müssen von dem, der da ein Ursprung aller Dinge ist." Und wieder: "Das Schönste, was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, dass er vor Weisheitsfülle schweigen kann." Und wieder: "Die Seele ist eine Kreatur, die alle genannten Dinge empfangen kann; und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie so tief in Gott empfangen wird, dass sie selbst namenlos wird."
Ich meine es kaum viel anders; nur die Sprache ist etwas verschieden, weil sechs Jahrhunderte dazwischen liegen.