Mittel gegen Rausch und Trunkenheit
Osiander führt 22 Mittel gegen Berauschung und Trunkfälligkeit in seiner Sammlung von Volksarzneimitteln (S. 500 — 508) auf. Die bekannten Mittel, einen Berauschten schnell nüchtern zu machen, sind:
1) Übergießungen des Kopfs und des nackten Körpers mit kaltem Wasser. In Russland führt man Betrunkene zum nächsten Brunnen und begießt sie mit kaltem Wasser. Dieses ist das beste Erweckungsmittel aus tiefem Rausch, so wie bei Vergifteten durch Opium, Belladonna, Stechapfel, Blausäure und andere Narkotika.
2) Brotwasser. Man röstet altes Weizenbrot, gießt kochendes Wasser darauf und lässt es kalt werden. Dasselbe soll dem Magen sehr gut bekommen und dazu dienen, die Folgen des zu vielen Weintrinkens zu heben (s. Sinclair l. c. S. 125).
3) Ein Glas Wasser, worin ein Teelöffel voll Kochsalz aufgelöst worden, — ein Berliner Volksmittel.
4) Sieben bittere Mandeln, vorher gegessen, sollen, nach Galen, die Berauschung verhüten.
5) Ebenso zwei bis drei Esslöffel voll Mandel- oder Mohnöl.
6) Gegen den sogenannten Katzenjammer, d. i. das unangenehme Gefühl von Schwindel, Kopfweh, Ekel einige Stunden, zumal am frühen Morgen, nach der Berauschung und nach meist schlaflos zugebrachter Nacht, ist nichts besser, als zwei bis drei Teelöffel voll Brausepulver (s. d.) zu nehmen, viel kaltes Wasser nach zu trinken, und alsdann ein bis zwei Stunden lang zu Fuß oder zu Pferd einen Morgenspaziergang zu machen. Zum Frühstück esse man darauf gesalzenes oder geräuchertes Fleisch, Hering, Sardellen mit Öl, Essig und vielen Zwiebeln, und Alles recht tüchtig gesalzt und gepfeffert.
7) Recht starker, schwarzer Kaffee mit vielem Zucker und zwei Teelöffel voll Zitronensaft ist eins der besten Mittel, schnell den Rausch zu vertreiben. Ich lernte dieses Mittel von einem talentvollen, aber oft zu viel pokulierenden Komiker kennen. Überhaupt bildet der Kaffee mit dem Weine gewissermaßen einen Gegensatz (s. Kaffee), indem er munter macht und die Neigung zum Schlafen bei Berauschten vertreibt. Außerdem ist der Kaffee noch das beste Surrogat für alle Spirituosa, wenn man sich zu sehr daran gewöhnt hat und man sich des Genusses derselben enthalten will. Menschen, welche noch im Kaffeetrinken und in der gelinden Aufregung, die er bewirkt, Genuss finden, sind selten — sagt mit Recht Osiander — Schnaps- oder Weintrinker von Profession, und es ist unleugbar, dass, seit die Sitte, Kaffee zu trinken, allgemein geworden ist, die Lust an unmäßigem Weintrinken sehr abgenommen hat. Sehr wahr sagt in dieser Hinsicht G. Cuvier (Recueil des Eloges historiques. Par. 1819. T. I. p. 8): „L’usage de cette graine (du caffé) est devenu vulgaire, et certainement elle a été plus efficace, que toute l’eloquence des moralistes, pour detruire Tabus du vin dans les classes superieures de la société.“
8) Ein alter Physikus, welcher bei Visitation einer Apotheke oft zu viel des süßen Weins zu sich genommen, pflegte sich 25—30 Tropfen Spiritus Salis Ammoniaci anisati in einem Glas Wasser geben zu lassen, worauf der kleine Spitz sogleich verschwand.
9) Das berühmte Brühl-Cramersche Mittel gegen die Trunksucht ist verdünnte Schwefelsäure mit bittern Extrakten. Nach zwei- bis dreiwöchentlichem Gebrauch stellt sich gewöhnlich ein Widerwille gegen den Branntwein ein. Am besten ist hier, nach Brühl-Cramer u. A. folgende Formel:
Nr. 115. Nimm: verdünnte Schwefelsäure, Bitterklee- und Kardobenedikten-Extrakt, von jedem ein Quäntchen, Krausemünzwasser, sechs Unzen. Dosis: drei- bis viermal täglich einen halben Esslöffel voll In einer Tasse Wasser. Schneider hat folgende Mischung: Hallers Sauer- und Kaskarillentinktur, von jedem ein Lot. Hiervon nimmt der Säufer dreimal täglich ganz rein 15—20 Tropfen. Der abscheuliche, zusammenziehende Geschmack des Mittels verleidet das Branntweintrinken sehr bald. Hinterher müssen die Spirituosa gänzlich vermieden werden (s. Hufelands Journal, 1841. Juniheft).
10) Kalte Fluss- und Seebäder. Unter allen Formen der Trunksucht ist die, welche periodisch auftritt, besonders hartnäckig und schwer zu heilen. Hierbei fällt mir der Ausspruch unsers, in Natur- und Menschenleben so kenntnisreichen genialen Goethe ein, wenn er sagt: „Es ist Forderung der Natur, dass der Mensch mitunter betäubt werde, ohne zu schlafen; daher der Genuss im Tabakrauchen, Branntweintrinken, Opiaten.“ Es gibt periodisch eintretende, mit dem Mondwechsel und mit Wetterveränderung nicht selten gleichzeitig erscheinende atmosphärische Einflüsse, welche aufs Gehirn und Nervensystem in noch nicht hinreichend erklärter Weise abnorm reizend, aufregend wirken, zu diesen Zeiten bei vielen Menschen Unlust zur Arbeit, verdrießliche Laune, Kopfweh, Schwindel, bei Epileptischen und Wahnsinnigen die periodischen Anfälle der Krämpfe, der Raserei u. s. w. erzeugen. Hier ist auch große Neigung zu Zank und Streit, so wie zum Genuss geistiger Getränke höchst auffallend. Ein recht fleißiger und mäßig lebender Hufschmied meiner Bekanntschaft bekam alle vier Wochen um die Zeit des Neumondes seine s. g. Saufperiode und Reisemanie. Er ging schon früh Morgens von einem Wirtshaus ins andere; setzte das Herumtreiben und Trinken mehrere Tage fort, aß dabei wenig, kam auch die Nächte nicht zu Haus, trieb sich auf den Strassen umher, so dass ihn die Nachtwächter oft aufgriffen und in die Hauptwache brachten, — kurz, er benahm sich ganz, wie ein Vieh. So blieb es oft bis zum fünften Tage. Alsdann versank er in einen tiefen Schlaf mit starkem, stinkendem Schweiße, wonach er munter erwachte, an seine Arbeit ging und in Allem ordentlich und mäßig lebte. Alle angewandten Mittel gegen dieses periodische Übel, wovon er selbst befreit zu sein wünschte, selbst das Brühl-Cramersche, halfen nichts. Da verordnete ich ihm — es war im Sommer — täglich ein kaltes Flussbad mit gleichzeitiger Dusche auf den Nacken und Rücken, — darneben drei Tage vor dem Neumond ein kräftiges Brechmittel, welches den anderen und den dritten Tag wiederholt wurde. Das Baden wurde bis zum Spätherbst kontinuiert, das Brechmittel alle vier Wochen, aber nur einmal, genommen, — und das Resultat war sehr erwünscht; Patient, der nicht einmal allmählich, sondern auf einmal, gleich nach dem ersten Brechmittel, allen Spirituosis völlig entsagen und bei jedesmaliger Anforderung der verwöhnten Natur einige Bonbons essen musste, (ein gutes Mittel, die Angewöhnung zu erleichtern; wohin auch Schokolade, Kaffee und Bier gehören) ist jetzt seit sechs Jahren von seiner Trinksucht völlig geheilt.
Ein anderer periodischer Trinker, ein Gärtner, vor einem unserer Stadttore wohnhaft, machte es gerade eben so, wie jener Schmied. Seine Saufperiode begann aber mit dem letzten Mondsviertel. Zweimal war sie durch das Brechmittel und durch die kalten Bäder glücklich vorübergegangen. Zum dritten Mal kommt er in seine alte Saufgesellschaft, versäumt Bäder und Brechmittel, lebt drei Tage und drei Nächte außerhalb des Hauses in den Schnapskneipen, ist fürchterlich berauscht, stürzt nieder und — stirbt apoplektisch. — Solche periodische Trinker habe ich nie am Delirium tremens, häufig aber an Mania potatorum mit epileptischen Anfällen leiden sehen.