Gourmand


Gourmand. In der deutschen Theaterkritik reißt jetzt eine Verzärtelung des Tones ein, die nachgerade peinlich berührt. Selbst ein sozialdemokratischer Literaturrichter, dem man doch eine derbere Methode zutrauen würde, läßt sich — siehe das Referat der Wiener 'Arbeiter-Zeitung' über Georg Hirschfeld's »Spätfrühling« — die folgende Wendung entschlüpfen: »Das Publikum, dem Hirschfeld in diesem Lustspiel eher zu viel zuliebe getan, hatte keinen Grund zu den peinlichen Insulten, die es nach jedem Akt gegen den lichtblonden zarten Dichter aufzischen ließ«. Dieser Kritiker liebt also die Lichtblonden, Zarten. Ein anderer ist mehr für die brünetten Literaten. Da schreibt ein Wiener Mitarbeiter der neuen Berliner Zeitschrift 'Die Schaubühne' (der hoffentlich die täuschendeÄhnlichkeit mit dem Umschlagblatt der 'Fackel' nicht schaden wird) über einen der Gründer des »Akademischen Vereines für Kunst und Literatur« und nennt den jungen Mann »einen von den durch und durch lieben, sozusagen wohlschmeckenden Menschen, wie man sie, scheint mir, außerhalb Wiens auf dem ganzen Globus nicht wieder findet«. Ja, es geht eben nichts über Wien und seine pakschierlichen Schriftsteller, seine mudelsauberen Dramaturgen, seine mollerten Dichter!

 

 

Nr. 197, VII. Jahr

28. Februar 1906.


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