Majestätsbeleidigung und Advokatenbeleidigung


Advokat. Die böhmische Justitia hat in der letzten Zeit schon einige Male fausse couche gemacht. In einem Fall hat der Oberste Gerichtshof sich sogar zum Kaiserschnitt entschließen müssen. In Prag war nämlich einer wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden, weil er sich über die Tätigkeit von Mitgliedern des Herrenhauses abfällig geäußert hatte und die Mitglieder des Herrenhauses bekanntlich von Seiner Majestät ernannt werden. Das Bezirksgericht Rochlitz aber verurteilte einen gar wegen Beleidigung eines Advokaten. Weil er nämlich gesagt hatte, der Advokat habe in einer Streitsache »viel zu viel gerechnet«. Das Kreisgericht Gitschin bestätigte das Urteil, aber der Oberste Gerichtshof hat nicht einsehen wollen, dass sich jedes Gericht an der Beleidigung eines Advokaten mitschuldig mache, wenn es dem Ersuchen einer Partei um Kostenermäßigung nachgibt. Wie schwer hätte zum Beispiel das Bezirksgericht Josefstadt den Dr. Elbogen beleidigt, der zwar die Vertretung meines Prozeßgegners erst eine Minute vor der Verhandlung — auf dem Korridor — übernahm, dessen schwierige Tätigkeit aber darin bestand, dass er durch volle zehn Minuten einer Verhandlung, die vertagt wurde, beiwohnen mußte. Er rechnete 140 Kronen. Ich beleidigte ihn, da ich fand, dass er viel zu viel gerechnet habe. Das Gericht fand dies auch und beleidigte ihn, indem es ihm bloß 40 Kronen zusprach. Er ließ die 40 Kronen, die ich ihm schickte, knapp vor deren Empfang pfänden. Der Amtsdiener, der die Pfändung vornehmen sollte, war frech. Ich beleidigte auch den Amtsdiener, indem ich ihm sagte, dass die Amtsdiener viel zu frech seien. Das Exekutionsgericht entschuldigte sich u. s. w. (Siehe Nr. 208) Trotzdem hat man in Rochlitz ganz recht, wenn man erkennt, dass die Ehre des Advokaten sich in seinen Expensen ausdrückt und dass, wer die Expensnote antastet, auch die Ehre des Advokaten antastet. Die Tantièmen, die ein Advokat für seine dramatische Tätigkeit bezieht, sind durch äußere Faktoren bestimmbar. Sie betragen bei einem leeren Hause acht Prozent von Null. Die Expensen aber sind ein ethisches Gut, sind der Maßstab des Wertes, den der Advokat seiner Tätigkeit selbst zuerkennt. Und der Oberste Gerichtshof hat zum mindesten eine große Unhöflichkeit begangen, da er ausgesprochen hat, es sei keine Ehrenbeleidigung, an der Gerechtigkeit dieser Selbstschätzung zu zweifeln.

 

 

Nr. 214-215, VIII. Jahr

22. Dezember 1906.


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