Habitué


Habitué. Herr st. g. von der 'Arbeiter-Zeitung' — noch nicht zu verwechseln mit Herrn st—g von der 'Neuen Freien Presse' —, der begeisterte Rezensent der uninteressanten Vorstellung der »Lustigen Weiber von Windsor«, ist jener Herr, dem das Deutsche Volkstheater am Saisonbeginn ein Stück abgenommen hat. Dieser Vogel im Käfig der Sozialdemokratie fliegt jetzt öfter ins Land des bürgerlichen Tantiemenerwerbs. Ein in der 'Arbeiter-Zeitung' gelobtes Land. Mit zwei Theatern, dem des Herrn Weisse und dem des Herrn Jarno, steht Herr Stefan Großmann als Dramatiker in Geschäftsverbindung, beiden Theatern hat er sich bisher als kulanten Kritiker gezeigt. Mit seiner Begeisterung für die 'Lustige Weiber'-Aufführung stand er aber so vereinsamt da, dass er sich's vorläufig überlegt hat, das »dankbare Nachwort«, welches er den Lesern der 'Arbeiter-Zeitung' versprochen hat, erscheinen zu lassen. Die Vorstellung verdiente wirklich ein Nachwort, wenn auch nicht das eines dankbaren Volkstheaterautors. Man müßte erzählen, dass der Berliner Humor-Saugapparat »Vallentin« versagt hat. Auf kaltem Wege läßt sich den Volkstheaterschauspielern nicht beibringen, was sie nicht haben. Sind ja brave Leute, täuschen bei entsprechendem Drill gewiß noch echtere Lebensechtheit vor als die Nachtasylbewohner, die Herr Vallentin in Berlin geschult hat. Aber für Shakespeare langt's nicht. In der ganzen figurenreichen Vorstellung hatten bloß die Herren John (Schaal) und Romanowsky (Schmächtig) und das wegen Begabung nicht beschäftigte Fräulein Schaffer (Anne Page) Stil. Der Rest ist Lärmen. Der tüchtige Herr Homma kann nichts für den bösen Willen der Direktion, die ihm den Falstaff zugemutet hat. Die Vorführung des Falstaff in einer Stadt, die Bernhard Baumeister, den lieben genialen Naturschwimmer, in dieser Rolle erlebt hat, wird nach Jahrzehnten noch ein parvenühaftes Unterfangen sein.

 

 

Nr. 199, VII. Jahr

23. März 1906


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